68 SPIELEN MIT ANDEREN KINDERN *
... für die Gemeinschaftsfläche, die die Hausgruppen miteinander verbindet, wäre also gesorgt — GEMEINSCHAFTSFLÄCHEN (67). Innerhalb dieser Gemeinschaftsflächen müssen Spielflächen für Kinder festgelegt werden. Dabei ist vor allem wichtig, daß der Zusammenhang zwischen nebeneinanderliegenden Gemeinschaftsflächen die Entstehung eines zusammenhängenden Spiel-Raums erlaubt.
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Wenn Kinder während der ersten fünf Lebensjahre nicht genug mit anderen Kindern spielen, besteht eine größere Wahrscheinlichkeit für psychische Erkrankungen in ihrem späteren Leben.
Kinder brauchen andere Kinder. Aufgrund mancher Erkenntnisse kann man sogar annehmen, daß sie andere Kinder mehr brauchen als die eigenen Mütter. Es ist empirisch bewiesen, daß sie, wenn sie ihre frühen Jahre gezwungenermaßen ohne ausreichenden Kontakt mit anderen Kindern verbringen, in späteren Jahren mit größerer Wahrscheinlichkeit an Psychosen und Neurosen leiden werden.
Allein ...
Da die Entstehung von Spielgruppen praktisch von der Figuration der Gemeinschaftsflächen zwischen den Häusern einer Nachbarschaft abhängt, hat diese eine entscheidene Wirkung auf die geistige Gesundheit der Menschen. Eine typische vorstädtische Parzellierung mit privaten Grundstücken entlang einer Straße sperrt die Kinder fast in ihre Häuser ein. Eltern fürchten den Verkehr oder die Nachbarn und halten die Kinder ,im Haus oder im eigenen Garten: So machen die Kinder nie genug Zufallsbekanntschaften mit anderen Kindern ihres Alters, durch die sich jene Gruppen bilden könnten, die für eine gesunde emotionale Entwicklung wesentlich sind.
Wir werden im folgenden zeigen, daß Kinder nur dann .ausreichenden Zugang zu anderen Kindern haben, wenn jeder Haushalt an irgendeiner Art von sicherer, zusammenhängender Gemeinschaftsfläche liegt, die gleichzeitig mindestens 64 andere Haushalte berührt.
Sehen wir uns zunächst Untersuchungsmaterial zu diesem Problem an. Der dramatischste Nachweis stammt aus der Arbeit der Harlows über Affen. Die Harlows zeigten, daß Affen, die während der ersten sechs Lebensmonate von anderen :gleichaltrigen Affen isoliert waren, in ihrem späteren Leben unfähig sind, normale soziale, sexuelle oder Spielbeziehungen mit anderen Affen einzugehen:
Sie zeigen Abweichungen des Verhaltens, das bei wild geborenen Tieren kaum zu beobachten ist. Sie sitzen in ihren Käfigen und starren ins Leere, laufen in den Käfigen wiederholt und stereotyp im Kreis, umklammern ihre Köpfe mit Händen oder Armen und wiegen sich lange Zeitspannen hindurch hin und her . . Das Tier kann an seinem Körper kauen und zerren, bis es blutet . . . Ähnliche Symptome emotioneller Störungen werden an verlassenen Kindern in Waisenhäusern und an kontaktunfähigen Jugendlichen und Erwachsenen in Nervenheilanstalten beobachtet. (Henry F. Harlow und Margaret K. Harlow, "The Effect of Rearing Conditions an Beharvior", Bull, Menniger Clinic, 26, 1962, S. 213-214.)
Es ist bekannt, daß junge Affen - wie junge menschliche Wesen - diese Mängel aufweisen, wenn sie ohne Mutter oder ohne Mutterersatz aufgezogen werden. Es ist jedoch weniger bekannt, daß die Wirkung der Isolation von anderen jungen Affen sogar stärker ist als die des Verlusts der Mutter. Tatsächlich haben die Harlows gezeigt, daß Affen erfolgreich ohne :Mutter aufgezogen werden können, vorausgesetzt, daß sie andere junge Affen zum Spielen haben, daß sie dagegen nicht erfolgreich von, einer Mutter allein aufgezogen werden können - ohne andere junge Affen -, selbst wenn die Mutter völlig normal ist. Die Harlows schließen daraus: „Es scheint, daß das Zuwendungssystem Kind-Mutter entbehrlich ist, während das Kind-Kind-System eine conditio sirre qua non für die spätere Anpassung des Affen in allen Lebenssphären ist." (Henry F. Harlow und Margaret K. Harlow, „Social Deprivation Monkeys", Scientific American, 207, Nr. 5. 1962, S. 136-146.)
Die ersten sechs Monate im Leben eines Rhesusaffen entsprechen den ersten drei Jahren im Leben eines Kindes. Es gibt zwar keinen formellen Nachweis, daß Kontaktmangel während dieser ersten drei Jahre für menschliche Kinder schädlich ist:; soweit uns bekannt ist, wurde dies auch niemals untersucht - aber es gibt deutliche Beweise für die Wirkung von Isolation im Alter von vier bis zehn.
Herman Lantz befragte eine Zufallsauswahl von 1000 Männern der US-Army, die wegen emotionaler Schwierigkeiten in eine Nervenklinik überwiesen worden waren (Herman K. Lantz, „Number of Childhood Friends as Reported in the Life Histories of a Psychiatrically Diagnosed Group of 1000", Marriage and Family Life, Mai 1956, S. 107-108). Psychiater der Armee stuften die Männer als normal, mit leichter bzw. schwerer Psychoneurose oder mit Psychose ein. Lantz teilte die Leute dann in eine von drei Kategorien ein: Jene, die nach eigener Aussage in jeder typischen Situation zwischen ihrem vierten und zehnten Lebensjahr mindestens fünf Freunde gehabt hatten, jene, die durchschnittlich etwa zwei Freunde und jene, die in diesem Alter keine Freunde gehabt haben. Die folgende Tabelle zeigt die relativen Prozentsätze getrennt in jeder der drei Kategorien der Häufigkeit von Freundschaften. Die Ergebnisse sind erstaunlich:
5 oder mehr Freunde | etwa 2 Freunde | keine Freunde | |
Normal | 39,5% | 7,2% | 0,0% |
Leichte Psychoneurose | 22,0% | 16,4% | 5,0% |
Schwere Psychoneurose | 27,0% | 54,6% | 47,5% |
Psychose | 0,8% | 3,1% | 37,5% |
Andere | 10,7% | 18,7% | 10,0% |
100,0% |
100,0% |
100,0% |
Unter den Leuten mit fünf oder mehr Freunden in 'de Kindheit sind 61,5% leichte Fälle und 27,8% schwere Fälle. Unter den Leuten ohne Freunde sind nur 5% leichte Fälle, dagegen 85% schwere Fälle.
Andererseits zeigt ein informeller Bericht von Anna Freud, wie -stark die Wirkung des Kontakts zwischen kleinen Kindern auf die emotionale Entwicklung dieser Kinder sein kann. Sie beschreibt fünf kleine deutsche Kinder, die in einem Konzentrationslager ihre Eltern früh verloren hatten und dann im Lager bis zum Kriegsende füreinander sorgten und die danach nach England gebracht wurden. (Anna Freud und Sophie Dann, „An Experiment in Group Upbringing", Reading in Child Behavior and Development, Hrsg. Celia Stendler, New York, 1964, 5; 122--140.) Sie beschreibt die schöne soziale und emotionale Reife dieser Kinder. Wenn man diesen Bericht liest, hat man das Gefühl, daß diese dreijährigen Kinder einander mehr zugewandt und für die Bedürfnisse des anderen sensibler waren als viele Leute das in irgendeinem Lebensalter sind.
Wir können also als gesichert annehmen, daß Kontakt wesentlich ist und daß Kontaktmangel in externen Fällen extreme Wirkungen hat. Eine beträchtliche Anzahl von weiteren Literaturangaben findet sich in Christopher Alexander, „The City as a Mechanism for Sustaining Human Contact", Environment for Man, Hrsg. W. R. Ewald, Bloomington: Indiana University Press, 1967, S. 60-109.
Wenn wir davon ausgehen, daß informeller, nachbarschaftlicher Kontakt zwischen Kindern eine lebenswichtige Erfahrung ist, können wir die Frage nach der Art von Nachbarschaften stellen, die die Entstehung spontaner Spielgruppen fördern. Die Antwort ist nach unserer Meinung eine Form sicherer Gemeinschaftsflächen, in Verbindung mit einem Kinderhaus, von de-nen aus der Kontakt mit vielen anderen Kindern möglich ist. Die entscheidende Frage ist: Wieviele Haushalte müssen an diesem zusammenhängenden Spielareal liegen?
Die genaue Zahl der erforderlichen Haushalte hängt von der Zahl der Kinder in den Haushalten ab. Nehmen wir an, daß Kinder etwa ein Viertel einer gegebenen Bevölkerung ausmachen (etwas weniger als die Regelziffer für Haushalte am Stadtrand), und daß diese Kinder eine gleichmäßige Altersverteilung von 0 bis 18 aufweisen. In einer groben Annahme wird ein Vorschulkind von x Jahren mit Kindern spielen, die x -1 oder x oder x + 1 Jahre alt sind. Für eine ausreichende Anzahl von Kontakten und für das Entstehen von Spielgruppen muß jedes Kind mindestens fünf Kinder seiner Altersstufe erreichen können. Die statistische Analyse zeigt, daß eine 95%ige Chance für jedes Kind fünf potentielle Spielgefährten zu erreichen, für jedes Kind eine Reichweite von 64 Haushalten erfordert.
Man kann das Problem so darstellen: In einer unendlichen, Bevölkerung von Kindern sind für jedes gegebene Kind ein. Sechstel im richtigen Alter und fünf Sechsel im falschen Alter. Wir wählen eine zufällige Gruppe von r Kindern. Die Wahrscheinlichkeit, daß die Gruppe von r Kindern 5 oder mehr Kinder im richtigen Alter enthält, ist FORMEL, worin Pr, k die hypergeometrische Verteilung darstellt. Wenn wir nun fragen, bei welchem kleinsten r der Ausdruck FORMEL > 0,95 wird,Wein wir nun fragen, bei welchem kleinsten r der Ausdruck 1 — Pr, k > 0,95 wird,ergibt sich für r die Zahl 54.
Wenn wir 54 Kinder brauchen, brauchen wir eine Gesamtbevölkerung von 4 x 54 = 216, was bei 3,4 Personen je Haushalt 64 Haushalten entspricht.
Verbindungswege.
Vierundsechzig ist eine ziemlich große Zahl von Haushalten, die an einer zusammenhängenden Gemeinschaftsfläche liegen sollen. Zunächst ist man versucht, das Problem durch die - Zusammenfassung von 10 oder 12 Wohnhäusern zu einer Gruppe zu lösen. Aber das genügt nicht: Während das aus anderen Gründen eine sinnvolle Konfiguration ist - HAUSGRUPPE (37) und GEMEINSCHAFTSFLÄCHEN (67) -, löst es noch nicht das Problem des zusammenhängenden Kinderspielareals. Es sind außerdem sichere Wege erforderlich, die die einzelnen Gemeinschaftsflächen verbinden.
Daraus folgt:
Leg Gemeinschaftsflächen, Wege, Gärten und Brücken so an, daß Gruppen von mindestens 64 Haushalten durch einen Landstreifen ohne Straßenquerung verbunden sind. Definiere dieses Land als den zusammenhängenden Spielraum für die Kinder dieser Haushalte.
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Um das zu erreichen, verbinde einige HAUSGRUPPEN (37) durch GRÜNE STRASSEN (51) und sichere Wege. Leg das lokale KINDERHAUS (86) in dieses Spielareal. Innerhalb des Spielareals sollen die Kinder Zugang zu Schlamm, Pflanzen, Tieren und Wasser haben - STEHENDES WASSER (71), TIERE (74); halt eine Fläche für alle Arten von Gerümpel frei, aus dem die Kinder etwas machen können - ABENTEUERSPIELPLATZ (73) ...
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