16 ÖFFENTLICHES VERKEHRSNETZ *
... die Stadt, wie sie in STADT-LAND-FINGER (3) beschrieben ist, erstreckt sich bandförmig über das Land und ist in LOKAL VERKEHRSZONEN (11) aufgeteilt. Um die Verkehrszonen miteinander zu verbinden und den Fluß der Menschen und Güter entlang der Stadt-Finger aufrechtzuerhalten, ist nun ein öffentliches Verkehrsnetz erforderlich.
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Das öffentliche Verkehrssystem - das ganze Netz von Flugzeugen, Hubschraubern, Luftkissenfahrzeugen, Zügen, Booten, Fähren, Bussen, Taxis, Kleinbahnen, Karren, Schiliften, Transportbändern - kann nur funktionieren, wenn alle Teile richtig verbunden sind. Das sind sie gewöhnlich nicht, weil es keinen Anreiz für die verschiedenen Betreiber der verschiedenen öffentlichen Verkehrsarten gibt, sich zusammenzuschließen.
Das allgemeine Problem des öffentlichen Verkehrs ist kurz folgendes: Eine Stadt umfaßt eine große Anzahl von Orten, die ziemlich gleichmäßig über eine Fläche verteilt sind. Die gewünschten Fahrten sind typischerweise zwischen zwei zufälligen Punkten auf dieser Fläche. Kein lineares System (wie ein Bahnsystem) kann direkte Verbindungen der ungeheuren Zahl möglicher Punktpaare in der Stadt liefern.
Öffentliche Verkehrssysteme können daher nur funktionieren, wenn es zahlreiche Verbindungen zwischen einer großen Vielfalt von verschiedenen Systemen gibt. Aber diese Verbindungen sind nur brauchbar, wenn es wirklich schnelle und kurze Verbindungen sind. Die Wartezeit auf einen Anschluß muß kurz sein. Und die Geh-Entfernung zwischen den zwei Systemen darf nur sehr kurz sein.
Soweit, so klar; und jeder, der sich mit öffentlichem Verkehr beschäftigt hat, akzeptiert das. Aber so klar es ist, so schwer ist es durchzuführen.
Es gibt zwei praktische Schwierigkeiten, die beide daher kommen, daß verschiedene Arten des öffentlichen Verkehrs gewöhnlich in den Händen verschiedener Betreiber sind, die ungern zusammenarbeiten; teils, weil sie wirklich im Wettbewerb stehen, und teils, weil gerade die Zusammenarbeit ihnen das Leben schwerer macht.
Das trifft besonders auf Pendelverkehrsstrecken zu. Eisenbahn, Busse, Mini-Busse, Schnellbahnen, Fähren und vielleicht sogar Flugzeuge und Hubschrauber konkurrieren um die Fahrgäste entlang derselben Strecken. Wenn jede Verkehrsart von einer 'unabhängigen Dienststelle betrieben wird, gibt es keinen besondern Anreiz, zu weniger flexiblen Verkehrsmitteln Zubringerdienste zu leisten. Viele Betriebe sträuben sich sogar, gute Zubringerverbindungen zu Schnellbahnen, Eisenbahnen und Fähren zu liefern, weil ihre Pendelstrecken die lukrativsten sind. In ähnlicher Weise übernehmen in vielen Städten der Entwicklungsländer Mini-Busse und Gruppentaxis den öffentlichen Verkehr entlang der Hauptpendelstrecken und ziehen Fahrgäste von den Bussen ab. So werden die Hauptlinien von kleinen Fahrzeugen bedient, während auf den peripheren Strecken fast leere Busse fahren, weil die öffentlichen Busbetriebe diese Gebiete gewöhnlich bedienen müssen, selbst wenn es Verlust bringt.
Die Lösung eines öffentlichen Verkehrsnetzes hängt also von der Lösung des Koordinationsproblems der' verschiedenen Systeme ab. Wir schlagen eine Lösung vor. Die traditionelle Betrachtungsweise des öffentlichen Verkehrs sieht die Linien als primär und die Umsteigestellen zur Verbindung dieser Linien untereinander als sekundär. Wir schlagen das Gegenteil vor: Nämlich daß die Umsteigestellen primär und die Linien sekundäre Elemente zur Verbindung der Umsteigestellen sind. Stellen wir uns folgende Organisation vor: Jede Umsteigestelle wird von der Gemeinschaft, die sie benutzt, betrieben. Die Gemeinschaft beruft einen Leiter für jede Umsteigestelle, teilt ihm ein Budget zu und gibt ihm eine Dienstanweisung. Der Umsteigeleiter koordiniert den Betrieb seiner Umsteigestelle; er sichert sich vertraglich die Dienste einer beliebigen Zahl von Verkehrsunternehmen - die Unternehmen selbst stehen beim Angebot von Verkehrsleistungen in freiem Wettbewerb miteinander.
In diesem Schema verschiebt sich die Verantwortlichkeit für den öffentlichen Verkehr von den Linien zu den Umsteigestellen. Die Umsteigestellen sind für die Verbindungen untereinander verantwortlich, und die lokale Gemeinde, die die Umsteigestelle benutzt, entscheidet über den Verkehr, der sie quert. Dann ist' es Sache des Leiters der Umsteigestelle, diese Verkehrsarten dazu zu bringen, dort durchzufahren.
Langsam wird sich eine Verkehrsversorgung, die die Umsteigestellen verbindet, aufbauen. Ein Beispiel, das unserem Modell sehr nahe kommt und beweist, daß es zu einer besseren Versorgung fähig ist als irgendein zentraler Betreiber, ist das berühmte Schweizer Eisenbahnsystem.
Das Schweizer Eisenbahnsystem ... ist das dichteste Netz der Welt. Mit großen Kosten und Schwierigkeiten hat man es dazu gebracht, den Bedarf der kleinsten Orte und entlegensten Täler zu decken, nicht als lukratives Unternehmen, sondern weil das Volk es so wollte. Es entstand aus harten politischen Kämpfen. Im 19. Jahrhundert brachte die "demokratische Eisenbahnbewegung" die kleinen Schweizer Gemeinden in Konflikt mit den großen Städten, deren Pläne in Richtung auf eine Zentralisierung zielten .... Den Unterschied zwischen einem zentralisierten Staat und einem föderativen Bund sehen wir am Vergleich des Schweizer Systems mit dem französischen. Dieses ist mit einer bewundernswerten geometrischen Regelhaftigkeit völlig auf Paris zentriert, sodaß Prosperität oder Verfall, Leben oder Tod ganzer Regionen immer von der Qualität der Verbindung zur Hauptstadt abhängen. Die Karte der Eisenbahnlinien ist auf einen Blick zu lesen, aber stellen wir uns darübergelegt die Wirtschaftsströme und die Bevölkerungsbewegung vor. Die Verteilung der industriellen Entwicklung über die ganze Schweiz, auch in entlegene Gebiete, beweist die Stärke und Stabilität der Sozialstruktur des Landes. Sie verhinderte die schrecklichen Industriekonzentrationen des 19. Jahrhunderts mit ihren Slums und ihrem entwurzelten Proletariat. (Colin Ward: "The Organization of Anarchy", in Patterns o[ Artarchy, hrsg. von Leonard 1 Krimerman . und Lewis Perry, New York, 1966.)
Daraus folgt:
Behandle die Umsteigestellen als primär und die Verkehrslinien als sekundär. Schaff Anreize, daß alle verschiedenen Arten öffentlichen Verkehrs - Flugzeuge, Hubschrauber, Fähren, Boote, Bahnen, Schnellbahnen, Busse, Mini-Busse, Schilifte, Rolltreppen, Rollsteige, Aufzüge - ihre Linien als Verbindungen der Umsteigestellen auffassen, mit dem Ziel, daß nach und nach an jeder Umsteigestelle viele verschiedene Linien verschiedenster Art zusammenkommen. Überlasse den örtlichen Gemeinden die Kontrolle über ihre Umsteigestellen, sodaß sie das Muster verwirklichen, indem sie nur jene Verkehrsgesellschaften beauftragen, die bereit sind, diese Umsteigestellen zu versorgen.
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Leg alle verschiedenen Linien, die an einer einzelnen Umsteigestelle zusammenkommen, und ihre Parkgelegenheit auf weniger als 200 m zusammen, sodaß die Leute zu Fuß überwechseln können - UMSTEIGESTELLE (34). Es ist entscheidend, daß die größeren Stationen von einem guten Zubringersystem bedient werden, damit die Leute ihre privaten Autos überhaupt nicht verwenden müssen - MINI-BUSSE (20) ...
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