54 STRASSENÜBERQUERUNG
... nach der Anleitung von PARALLELE STRASSEN (23) und NETZ VON FUSS- UND FAHRWEGEN (52) werden Wege nach und nach rechtwinklig zu Hauptstraßen entstehen — nicht neben ihnen entlang wie heute üblich. Dadurch entsteht eine völlig neue Situation, die nur funktioniert, wenn sie auch baulich völlig neu behandelt wird.
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Wo Wege Straßen überqueren, haben die Autos die Macht, die Leute beim Gehen einzuschüchtern und zu unterdrücken, auch wenn die Leute von Rechts wegen Vorrang haben.
Das ist immer der Fall, wenn der Weg und die Straße auf gleicher Höhe liegen. Kein Aufwand an aufgemalten Linien, Übergängen, Verkehrsampeln, knopfdruckgesteuerten Signalregelungen kann die Tatsache aus der Welt schaffen, daß ein .Auto eine Tonne oder mehr wiegt und jeden Fußgänger überrollt, wenn der Fahrer nicht bremst. Meistens bremst der Fahrer ja. Aber jeder weiß von genügend Fällen, in denen Bremsen versagt haben oder Fahrer eingeschlafen sind, sodaß die ständige Vorsicht und Angst bestehen bleibt.
Die Menschen werden sich beim Überqueren einer Straße nur dann entspannt und sicher fühlen, wenn die Überquerung ein bauliches Hindernis ist, das physisch dafür sorgt, daß die Autos bremsen und den Fußgängern den Vorrang lassen müssen. An vielen Stellen ist es gesetzlich vorgesehen, daß Fußgänger den Vorrang vor Automobilen haben. An den entscheidenden Punkten aber, wo Wege die Straßen überqueren, gibt die Willi--phe Anordnung den Autos den Vorrang. Die Straße ist durchgehend, glatt, schnell und unterbricht den Fußgängerweg an der Kreuzungsstelle. Diese durchgehende Straßenoberfläche impliziert in Wirklichkeit den Vorrang des Autos.
Wie sollen Übergänge aussehen, die den Bedürfnissen der Fußgänger gerecht werden?
Die Tatsache, daß Fußgänger sich durch Autos weniger gefährdet fühlen, wenn sie sich etwa 45 cm höher befinden, wird im nächsten Muster ERHÖHTER GEHWEG (55) erörtert. Umso mehr gilt dieses Prinzip, wo Fußgänger eine Straße überqueren müssen. Die querenden Fußgänger müssen von der Straße aus äußerst gut sichtbar sein. Die Autos sollten außerdem gezwungen sein, beim Heranfahren an den Übergang abzubremsen. Wenn der Fußweg 15 cm bis 30 cm über der Fahrbahn liegt und die Fahrbahn schräg auf ihn hinaufführt, werden beide Forderungen erfüllt. Eine Neigung von 1 : 6 oder weniger ist für Autos ungefährlich und hart genug, sie zum Bremsen zu bringen. Um den Übergang aus der Entfernung noch leichter sichtbar und das Recht des Fußgängers, sich hier zu bewegen, noch deutlicher zu machen, könnte der Fußgängerweg am Rand der Straße durch eine Überdachung markiert sein — MARKISENDÄCHER (244).
Fast ein Sraßenübergang ... aber die Schwelle fehlt.
Wir wissen, daß dieses Muster eher ungewöhnlich ist. Deshalb halten wir es für wesentlich, daß der Leser es nicht schematisch bei jeder Straße anwendet, sondern nur an solchen Straßen, wo es dringend erforderlich ist. Wir schließen daher die Darstellung dieses Problems mit der Beschreibung eines einfachen Experiments, mit dem man entscheiden kann, ob ein bestimmter Straßenübergang so behandelt werden muß.
Geh öfters und zu verschiedenen Tageszeiten zu der betreffenden Straße. Zähl jedesmal die Sekunden, die du vor dem Überqueren der Straße warten mußt. Beträgt die durchschnittliche Wartezeit mehr als zwei Sekunden, dann empfehlen wir die Anwendung des Musters. (Das bezieht sich auf Buchanans Feststellung, daß Straßen für Fußgänger bedrohlich werden, wenn ihre Verkehrsmenge Leute, die sie zu Fuß überqueren wollen, durchschnittlich zwei Sekunden oder länger aufhält. Siehe die ausführliche Erläuterung in Colin Buchanan: Verkehr in Städten, Essen 1964.) Wenn dieses Experiment nicht durchführbar ist oder die Straße noch gar nicht gebaut ist, kann man die Notwendigkeit aufgrund des unten stehenden Diagramms abschätzen. Das Diagramm zeigt, welche Kombinationen von Verkehrsmenge und Straßenbreite in der Regel eine durchschnittliche Wartezeit von über zwei Sekunden bewirken.
Eine letzte Bemerkung. Dieses Muster wird sich vielleicht nicht ausführen lassen, wo noch Verkehrsplaner das letzte Wort haben. Trotzdem ist diese funktionelle Frage von entscheidender Bedeutung und muß beachtet werden. Eine große breite Straße mit mehreren stark befahrenen Spuren kann eine fast unüberschreitbare Barriere bilden. In diesem Fall kann man :das Problem zumindest teilweise lösen, indem man Inseln schafft — mindestens eine in der Mitte und vielleicht noch Weitere zwischen den einzelnen Spuren. Dies wirkt sich sehr -:auf die Überquerbarkeit aus, und zwar aus einem einfachen Grund. Wenn man eine breite Straße überqueren will, muß man warten, bis in allen Spuren gleichzeitig eine Lücke auftritt. Das Warten auf ein Zusammentreffen der Lücken ist das :schwierige. Wenn man aber von Insel zu Insel „hüpfen" kann, immer bei einer Lücke in einer Spur, über eine Spur nach der anderen, ist die Überquerung im Nu geschafft - weil die Lücken in einzelnen Spuren viel häufiger sind als die großen Lücken in allen Spuren gleichzeitig. Wenn also das Anheben des Übergangs nicht möglich ist, schaff zumindest Inseln, wie z.B. Trittsteine.
Daraus folgt:
An jedem Punkt, wo ein Fußgängerweg eine Straße kreuzt, wo der Verkehr so stark ist, daß er die Leute beim Überqueren mehr als zwei Sekunden aufhält,mach einen „Knoten" an der Übergangsstelle: verenge die Straße auf die bloße Breite der Spuren; setz den Fußgeherweg durch den Übergang fort, und zwar etwa 30 cm über der Straßenfläche; schaff Inseln zwischen den Spuren; laß die Straße auf den Übergang schräg anlaufen (max. 1: 6); kennzeichne den Fußweg seitlich mit einer Überdachung, damit man ihn sieht.
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Verbreitere den Fußweg auf einer Seite der Straße zu einem kleinen Platz, wo sich Imbißstände u. dgl. um eine Bushaltestelle gruppieren können - KLEINE PLÄTZE (61), BUSHALTESTELLE (92), IMBISSSTÄNDE (93); leg ein oder zwei Buchten als Stellplätze für Autobusse und Autos an - KLEINE PARKPLÄTZE (103) -, und wenn ein Weg nach dem Übergang entlang der Straße laufen muß, führ ihn nur auf einer Seite und mach ihn so breit wie möglich, auf höherem Niveau als die Straße - ERHÖHTER GEHWEG (55). Bau die Überdachung vielleicht als Pergola oder Markise - LAUBENWEG (174), MARKISENDÄCHER (244) ...
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