10 DER ZAUBER DER STADT

 

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... neben dem MOSAIK AUS SUBKULTUREN (8) ist vielleicht das wichtigste Kennzeichen einer Stadtstruktur das Muster der Zentren intensivsten Stadtlebens. Diese Zentren können durch ihre Vielfalt zur Bildung des Subkulturen-Mosaiks beitragen; ebenso zur Bildung der STADT-LAND-FINGER (3), wenn sich jedes an einer Stelle befindet, wo verschiedene Finger zusammenkommen. Dieses Muster wurde zum ersten Mal von Luis Racionero beschrieben unter dem Titel "Downtowns of 300.000".

 

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Nur wenige Menschen können sich dem Zauber der Großstadt entziehen. Durch die Zersiedelung aber wird er jedem genommen, außer den Glücklichen oder Reichen, die in der Nähe der größten Zentren leben.

 

Das geschieht notwendigerweise in jeder städtischen Region mit einem einzigen, dicht bebauten Kern. Nah am Kern ist der Boden teuer; nur wenige Menschen können nah genug leben, um echten Zugang zum Stadtleben zu haben; die meisten leben weit außerhalb des Kerns. Sie sind in jeder Hinsicht in der Vorstadt und haben nur gelegentlich Zugang zum Stadtleben. Dieses Problem ist nur lösbar, indem der Kern dezentralisiert wird und eine Anzahl kleinerer Kerne bildet, jeder einer besonderen Lebensart gewidmet, sodaß trotz der Dezentralisierung jeder noch stark genug ist und einen Anziehungspunkt für die ganze Region darstellt.

Der einzelne isolierte Kern entsteht durch einen einfachen Mechanismus. Städtische Dienstleistungen neigen zur Agglomeration. Restaurants, Theater, Geschäfte, Volksfeste, Cafes, Hotels, Nachtklubs, Unterhaltung, spezielle Dienstleistungen tendieren zur Anhäufung, und zwar deshalb, weil jedes Unternehmen dorthin strebt, wo die meisten Leute sind. Sobald sich der Ansatz eines Kerns in der Stadt gebildet hat, lassen sich alle interessanten Dienstleistungen - gerade die interessantesten mit dem größten Besucherpotential - in diesem einen Kern nieder. Der eine Kern wächst immer weiter. Das Stadtzentrum wird riesig. Es wird reich, vielfältig, faszinierend. Aber allmählich steigt mit dem Wachsen des Stadtgebiets die durchschnittliche Entfernung einer Wohnung von diesem Zentrum; die Bodenpreise rund um das Zentrum steigen so sehr, daß Wohnungen von Geschäften und Büros verdrängt werden - bis bald niemand oder fast niemand wirklich mit dem Zauber in Berührung bleibt, der Tag und Nacht in diesem solitären Zentrum herrscht.

Das Problem liegt auf der Hand. Einerseits unternehmen die Leute nur begrenzte Anstrengungen, um Güter und Dienstleistungen zu erlangen, Veranstaltungen zu besuchen, auch wenn es die besten sind. Andererseits kann wirkliche Vielfalt und Auswahl nur bei konzentrierter und zentralisierter Aktivität entstehen; und wenn Konzentration und Zentralisierung zu stark werden, nehmen sich die Leute nicht mehr die Zeit hinzufahren.

Wenn das Problem durch Dezentralisierung der Zentren gelöst werden soll, müssen wir uns fragen, welche Minimalbevölkerung ein Zentralgebiet, das den Zauber der Stadt aufweist, tragen kann. Otis D. Duncan zeigt in "The Optimum Size of Cities" (Cities and SOciety, P. K. Hatt und A. J. Reiss, Hrsg., New York: The Free Press, 1967, S. 759-772), daß Städte mit mehr als 50.000 Einwohnern einen ausreichenden Markt zur Erhaltung von 61 verschiedenen Branchen von Einzelhandelsgeschäften bilden und daß Städte mit über 100.000 Einwohnern anspruchsvolle Juwelier-, Pelz- und Modehäuser erhalten können. Er zeigt auch, daß Städte mit 100.000 Einwohnern eine Hochschule, ein Museum, eine Bibliothek, einen Zoo; ein Symphonierorchester, eine Tageszeitung, ein Hörfunkstudio unterhalten können, aber daß eine Bevölkerung von 250.000 bis 500.000 Einwohnern erforderlich ist, um eine spezialisierte Ausbildungsstätte wie eine medizinische Fakultät, um eine Oper oder alle Studios aller TV-Sender zu unterhalten.

In einer Studie über die regionalen Einkaufszentren in Chicago stellte Brian K. Berry fest, daß Zentren mit 70 Einzelhandelsbranchen eine Bevölkerung von ungefähr 350.000 Menschen versorgen (Geography of Market Centers and Retail Distribution, New Jersey: Prentice-Hall, 1967, 5.47). T. R. Lakshmanan und Walter G. Hansen zeigten in "A Retail Potential Model" (American Institute of Planners Journal, Mai 1965, S.134-143) daß voll ausgestattete Zentren mit vielfältigem Einzelhandels- und Dienstleistungsspektrum und eben solchen Erholungs-und Kulturaktivitäten für eine Bevölkerung von 100.000 bis 200.000 möglich sind.

Es scheint also durchaus möglich, sehr komplexe und reiche städtische Funktionen in ein Zentrum zu bekommen, das nicht mehr als 300.000 Einwohner bedient. Da es aus den angeführten Gründen so viele Zentren wie möglich geben soll schlagen wir für die Stadtregion Zentren für je 300.000 Einwohner vor, so breit gestreut, daß jede Person in der Region nah genug an einem dieser größeren Zentren ist.

Um das konkreter zu machen, ist es interessant, sich die Entfernungen zwischen diesen Zentren in einer typischen Stadtregion vorzustellen. Bei einer Dichte von 2000 Einwohner/km² (die Dichte der weniger besiedelten Teile von Los Angeles), beträgt der Durchmesser der von 300.000 Einwohnern benötigten Fläche rund 15 km; bei einer höheren Dichte von 30.000 Einwohner/km² (die Dichte im Zentrum von Paris) hat die von 300.000 Einwohnern benötigte Fläche einen Durchmesser von etwa 3 km. Andere Muster unserer Sprache ergeben eine viel dichtere Stadt als Los Angeles, aber eine etwas weniger dichte als das zentrale Paris - HÖCHSTENS VIER GESCHOSSE (21), RINGE VERSCHIEDENER DICHTE (29). Wir nehmen also diese groben Schätzungen als Ober- und Untergrenze. Wenn jedes Zentrum 300.000 Einwohner versorgt, werden diese mindestens 3 km und wahrscheinlich nicht mehr als 15 km auseinander liegen.

Ein Punkt bleibt noch zu klären. Der Zauber einer Großstadt entsteht durch die enorme Spezialisierung von menschlichen Leistungen. Nur in einer Stadt wie New York kann man mit Schokolade überzogene Ameisen essen, einen dreihundert Jahre alten Gedichtband kaufen oder eine karibische Steel-Band mit amerikanischen Folksängern hören. Im Vergleich damit ist eine Stadt von 300.000 mit einer zweitklassigen Oper, ein paar großen Kaufhäusern und einem halben Dutzend guter Restaurants eine Provinzstadt. Es wäre absurd, wenn aus den neuen Stadtzentren für je 300.000, die den Zauber der Stadt erlangen wollen, schließlich ein Haufen zweitklassiger Provinzstädte würde.

Dieses Problem ist nur zu lösen, wenn jeder der Kerne nicht nur einen Einzugsbereich von 300.000 Einwohnern versorgt, sondern auch spezielle Merkmale bietet, die die anderen Zentren nicht haben, sodaß jeder Kern, obwohl er klein ist, in gewisser Hinsicht einige Millionen Einwohner versorgt und daher so anregend und einmalig wird, wie es nur in einer Stadt solcher Größe möglich ist.

Es muß also, wie in Tokyo oder London, das Muster so angelegt sein, daß ein Kern die besten Hotels hat, ein anderer die besten Antiquitäten, einer anderer die Musik und wieder ein anderer Fische und Segelboote. Dann lebt jede Person in Reichweite von mindestens einem Stadtzentrum, andererseits sind alle Stadtzentren einen Besuch wert und haben wirklich den Zauber einer Großstadt.

 

Daraus folgt:

Mach den Zauber der Stadt für jeden Einwohner eines Großstadtgebiets erreichbar. Durch eine gemeinsame Regionalpolitik muß das Wachstum zentraler Bereiche so stark eingeschränkt werden, daß keiner über die Versorgung von 300.000 Einwohnern hinauswächst. Mit diesem Einzugsbereich liegen die Zentren zwischen 3 km und 15 km auseinander.

 

Eine Muster Sprache   10 DER ZAUBER DER STADT Grafik

 

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Behandle jedes Stadtzentrum als eine Fußgänger- und Lokalverkehrszone - LOKALVERKEHRSZONEN (11), PROMENADE (31) mit guten Verbindungen zu den Außengebieten - ÖFFENTLICHES VERKEHRSNETZ (16); fördere eine reiche Konzentration des Nachtlebens in jedem Zentrum - NACHTLEBEN (33) - und halte zumindest bestimmte Teile frei für spontane Elemente des Straßenlebens - VERGNÜGUNGSPARK (58), TANZEN AUF DER STRASSE (63) ....

 

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