67 GEMEINSCHAFTSFLÄCHEN **
... genauso wie man öffentliche Flächen auf der Ebene der genauso wie man öffentliche Flächen auf der Ebene der Nachbarschaft braucht — ERREICHBARE GRÜNFLÄCHEN (60) —, besteht auch ein Bedarf innerhalb der Hausgruppen und Arbeitsstätten, aus denen sich die Nachbarschaften zusammensetzen, an kleineren und privateren öffentlichen Flächen für einige wenige Arbeitsstätten oder Familien. Die öffentlichen Flächen bilden sogar den Kern und sind die Seele jeder Hausgruppe. Wenn sie festgelegt sind, siedeln sich die einzelnen Gebäude der Gruppe rundherum an — HAUSGRUPPE (37), REIHENHÄUSER (38), WOHNHÜGEL (39), GEMEINSCHAFT VON ARBEITSSTÄTTEN (41).
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Ohne Gemeinschaftsflächen kann kein soziales System überleben.
In vorindustriellen Gesellschaften gab es automatisch Gemeinschaftsflächen zwischen Häusern und zwischen Werkstätten — deshalb brauchte man kein Gewicht darauf zu legen. Die Wege und Straßen, die die Gebäude erschlossen, waren sichere, soziale Räume und funktionierten automatisch als Gemeinschaftsflächen.
Aber in einer Gesellschaft, die sich schneller Autos und Lastwagen bedient, ergeben sich Gemeinschaftsflächen mit dem sozialen Effekt, die Menschen zusammenzubringen, nicht mehr automatisch. Straßen, auf denen Autos und Lastwagen nicht nur in Schrittgeschwindigkeit fahren, funktionieren zweifellos nicht als Gemeinschaftsflächen; viele Gebäude sind vom sozialen Netz abgetrennt, weil sie nicht durch Grundflächen miteinander verbunden sind, die sie gemeinsam besitzen. In einer solchen Situation müssen Gemeinschaftsflächen eigens vorgesehen werden, als soziale Notwendigkeit, planmäßig und ebenso lebenswichtig wie Straßen.
Die Gemeinschaftsflächen haben zwei spezifische soziale Funktionen: Erstens schaffen sie die Gelegenheit, daß Menschen sich außerhalb ihrer Gebäude und ihres privaten Bereichs wohlfühlen und sich daher einem übergeordneten sozialen System verbunden fühlen — nicht notwendigerweise mit bestimmten Nachbarn. Und zweitens funktionieren Gemeinschaftsflächen als Treffpunkt
Die erste Funktion ist komplex. Gewiß sind die unmittelbaren Nachbarn in der modernen Gesellschaft weniger wichtig als in der traditionellen. Das kommt daher, daß die Menschen Freunde bei der Arbeit, in der Schule, in Interessengruppen finden und deshalb nicht mehr ausschließlich auf die Freundschaft mit Nachbarn angewiesen sind. (Siehe z. B. Melvin Webber: „Order in Diversity: Cornmunity Without Propinquity", Cities and Space, ed. Lowdon Wingo, Baltimore: Resources for the Future, 1963; und Webber: „The Urban Place and the Nonplace Urban Realm", in Webber et al., Explorations into Urban Structure, Philadelphia, 1964, S. 79-153.)
Wenn das wahr ist, könnten die Gemeinschaftsflächen zwischen Häusern als freundschaftlicher Treffpunkt weniger wichtig sein als früher. Aber die Gemeinschaftsflächen zwischen Gebäuden können eine tiefere psychologische Funktion haben, deren Bedeutung nicht abnimmt, auch wenn die Leute keine Beziehung zu ihren Nachbarn haben. Um diese Funktion zu schildern, stelle man sich vor, daß das eigene Haus von der Stadt durch eine gähnende Kluft getrennt ist, die man jedesmal, wenn man das Haus verläßt oder betritt, überqueren muß. Das Haus wäre auf eine beunruhigende Weise isoliert; man selbst wäre im Haus von der Gesellschaft abgeschnitten - bloß durch diesen äußeren Sachverhalt. Wir glauben, daß - psychologisch gesehen - ein Gebäude ohne Gemeinschaftsfläche davor von der Gesellschaft so abgeschnitten ist, als hätte es an dieser Stelle eine solche Kluft.
Eine neue emotionale Störung - eine Art Agoraphobie taucht in den heutigen Städten auf. Die Opfer dieser Störung haben Angst, aus irgendeinem Grund aus dem Haus zu gehen - selbst einen Brief aufzugeben oder an der Ecke einzukaufen- sie haben ganz wörtlich Angst vor dem Marktplatz - der Agora. Wir haben keinen Beweis dafür, aber wir nehmen an, daß diese Störung durch das Fehlen von Gemeinschaftsflächen begünstigt wird, durch eine Umwelt nämlich, in der die Leute nicht das „Recht" zu haben glauben, sich außerhalb ihres Straßeneingangs aufzuhalten. Wenn wir damit recht haben, wäre die Agoraphobie der konkreteste Ausdruck dafür, daß es keine Gemeinschaftsflächen mehr gibt.
Die zweite soziale Funktion von Gemeinschaftsflächen ist unkompliziert. Gemeinschaftsflächen bieten einen Versammlungsort für die wechselnden, gemeinsamen Aktivitäten, die sich in einer Hausgruppe ergeben. Die größeren öffentlichen .Flächen der Nachbarschaften — die Parks, die Gemeinschaftseinrichtungen — decken diesen Bedarf nicht. Sie sind gut für die :Nachbarschaft als Ganzes. Für die gemeinsamen Funktionen einer Hausgruppe bieten sie keine Grundlage.
Lewis Mumford:
Selbst in Siedlungen mit nur dreißig Familien pro Hektar — vielleicht eben gerade dort fehlen oft Plätze, wo die Mütter an schönen Tagen :Unter einem großen Baum oder einer Pergola zusammenkommen können, um zu nähen oder zu plaudern, während ihre Kinder im Kinderwagen schlafen oder in einer Sandkiste herumgraben. Vielleicht war :das Beste an Sir Charles Reillys Plänen für Dorfwiesen, daß sie so etwas °nahen: Ebenso wie die Planer von Surinyside, Long Island, die Herren Stein und Wright, das schon 1924 getan hatten. (The Urban Prospect, New York, Harcourt, Brace and World, 1968, S. 26.)
Wieviel an Gemeinschaftsflächen sind erforderlich? So viel, daß sie brauchbar sind, daß Kinder dort spielen und kleine Versammlungen stattfinden können. Und die Gemeinschaftsflächen müssen groß genug sein, sodaß sie psychologisch nicht von den privaten Freiflächen beherrscht werden. Wir schätzen, daß die Gemeinschaftsflächen in einer Nachbarschaft größenordnungsmäßig etwa 25% des Bodens in Privatbesitz ausmachen sollten. Das ist die Ziffer, die von den Planern der green-belts typischerweise für ihre Gemeinde- und Grünflächen angenommen haben. (Siehe Clarence Stein, Toward New Towns in America, Cambridge: M. I. T. Press, 1966.)
Eine Straße in Berkley, die in eine Gemeinschaftsfläche umgewidmet wurde.
Im Zusammenwirken der Bewohner müßte es möglich sein, dieses Muster schrittweise in bestehende Nachbarschaften ein-zubauen, indem man Straßen stilllegt.
Daraus folgt:
Widme mindestens 25% der Bodenfläche einer Hausgruppe als Gemeinschaftsfläche, die unmittelbar an die zugehörigen Wohnungen angrenzt oder wirklich ganz in der Nähe ist. Ganz wichtig: Sei vorsichtig mit den Autos; sie dürfen diese Flächen auf keinen Fall beherrschen.
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Leg die Gemeinschaftsfläche so an, daß sie eine gewisse Umschließung und Sonnenlicht hat - AUSSENRAUM NACH SÜDEN (105), POSITIVER AUSSENRAUM (106); und so, daß sich kleine und privatere Freiflächen und Nischen anschließen - HIERARCHIE VON AUSSENRÄUMEN (114); sieh Gemeinschaftsfunktionen vor ÖFFENTLICHES ZIMMER IM FREIEN (69), LOKALER SPORT (72), GEMÜSEGARTEN (177) -, und verbinde die verschiedenen Gemeinschaftsflächen miteinander, sodaß sich durchgehende Streifen von Spielplätzen ergeben - SPIELEN MIT ANDEREN KINDERN (68). Straßen können Teile von Gemeinschaftsflächen sein, wenn sie als GRÜNE STRASSEN (51) behandelt werden ....
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