43 UNIVERSITÄT ALS OFFENER MARKT
... das NETZWERK DES LERNENS (18) hat dargelegt, wie eine ganze Gesellschaft sich mit Hilfe dezentralisierter Lernmöglichkeiten dem Bildungsprozeß widmen kann. Zu diesem Netzwerk des Lernens kann eine Universität viel beitragen, die den Bildungsprozeß als normalen Teil des Erwachsenenlebens betrachtet, und zwar für alle Mitglieder dieser Gesellschaft.
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Konzentrierte, abgeschlossene Universitäten mit engen Aufnahmerichtlinien und strengen Auswahlverfahren darüber, wer unterrichten darf, sind für die Möglichkeiten des Lernens tödlich.
Die ursprünglichen mittelalterlichen Universitäten waren einfach Sammelbecken für Lehrer, die die Studenten anzogen, weil sie etwas zu bieten hatten. Es waren Marktplätze für Ideen, über die ganze Stadt verteilt, wo Leute sich nach den Ideen und Kenntnissen umsehen konnten, die ihnen sinnvoll erschienen; im Gegensatz dazu tötet die isolierte und überverwaltete Universität von heute die Vielfalt und Intensität der verschiedenen Ideen ab und beschränkt auch die Möglichkeit des Studenten, sich nach Ideen umzusehen.
Um diese Art akademischer Freiheit und die Gelegenheit zum Austausch und zum Entstehen von Ideen wiederzugewinnen, sind zwei Dinge notwendig.
Erstens muß die soziale und physische Umwelt einen Rahmen liefern, der Individualität und Freiheit des Denkens ermutigt statt abschreckt. Zweitens muß die Umwelt einen Rahmen liefern, der den Studenten ermutigt, selbst nach den tragfähigen Ideen zu suchen - einen Rahmen also, der ihm ein Maximum an Möglichkeiten gibt und ihn einer großen Vielfalt von Ideen aussetzt, sodaß er sich selbst entscheiden kann.
Das Bild, das diese Art von Rahmen am klarsten beschreibt, ist das Bild des traditionellen Marktplatzes, wo hunderte von kleinen Verkaufsständen - die eine je bestimmte Spezialität und besondere Geschmacksrichtung entwickeln, durch deren authentische Qualität sie Leute fesseln können - so angeordnet sind, daß ein potentieller Käufer frei herumgehen und die Waren vor dem Kauf mustern kann.
Was würde ein Zuschnitt der Universität nach diesem Modell bedeuten?
1. Jedermann kann Vorlesungen hören. Zunächst einmal gibt es an einem Universitätsmarkt kein Aufnahmeverfahren. Jeder, egal welchen Alters, kann kommen und eine Stunde zu nehmen suchen. Das „Vorlesungsverzeichnis" der Universität wird einfach veröffentlicht und in Zeitungen und im Rundfunk in Umlauf gesetzt sowie öffentlich in der ganzen Region plakatiert.
2. Jedermann kann eine Vorlesung halten. In gleicher Weise kann an einem Universitätsmarkt jeder kommen und einen Kurs anbieten. Es gibt keine strenge Unterscheidung zwischen Lehrern und dem Rest der Bevölkerung. Wenn sich Leute als Teilnehmer am Kurs melden, dann ist er eingerichtet. Es wird sicher Gruppen von Lehrern geben, die sich zusammenschließen und aufeinander abgestimmte Kurse anbieten; Lehrer können auch bestimmte Vorbedingungen setzen und die Teilnehmerzahl regulieren, wie sie es für richtig halten. Aber wie auf einem wirklichen Marktplatz schaffen die Studenten den Bedarf. Wenn über einen bestimmten Zeitraum niemand kommt, um am Unterricht eines Professors teilzunehmen, dann muß er sein Angebot ändern oder einen anderen Lebensunterhalt suchen.
Viele Kurse können, wenn sie einmal organisiert sind, in Wohnungen oder Sälen irgendwo in der Stadt stattfinden. Einige jedoch werden mehr Raum oder besondere Einrichtungen brauchen, und alle Lehrgänge werden Zugang zu Bibliotheken und verschiedenen anderen Gemeinschaftseinrichtungen brauchen. Der Universitätsmarkt braucht also eine bauliche Struktur, die seine soziale Struktur aufnimmt.
Mit Sicherheit kann ein Markt nie die Form eines isolierten „Campus" haben. Er wird eher offen und öffentlich sein, in die Stadt verwoben, vielleicht mit einer oder zwei Straßen, wo sich Universitätseinrichtungen konzentrieren.
In einer früheren Version dieses Musters, die speziell für die Universität von Oregon in Eugene verfaßt war, haben wir den baulichen Rahmen für einen Marktplatz der Ideen im Detail beschrieben. Unsere Empfehlung lautete:
Mach aus der Universität eine Reihe von kleinen Gebäuden, An einem Fußgängerweg, von denen jedes ein oder zwei Lehrprojekte enthält. Leg alle horizontale Erschließung zwischen diesen Projekten, soweit sie öffentlich ist, ins Erdgeschoß. Das bedeutet, daß alle Projekte sich direkt zum Fußgängerweg öffnen und daß die Obergeschosse der Gebäude durch Stiegen und Eingänge direkt mit dem Boden verbunden sind. Verbinde alle Fußgängerwege untereinander, sodaß sie - wie ein Marktplatz ein großes Fußwegesystem darstellen, an dem viele Eingänge und Öffnungen liegen. Im großen gesehen führt dieses Muster dazu, daß die Umgebung aus einer Reihe verhältnismäßig niedriger Gebäude besteht, die sich auf ein zusammenhängendes System von Fußgängerwegen öffnen, wobei jedes Gebäude eine Reihe von Eingängen und Stiegen enthält, die etwa 15 in voneinander entfernt sind.
Diese Vorstellung von der Universität als offener, in der Stadt verteilter Markt halten wir noch immer für richtig. Die meisten Einzelheiten sind in anderen Mustern in diesem Buch angegeben: GEBÄUDEKOMPLEX (95), FUSSGÄNGERSTRASSE (100), ARKADEN (119) und OFFENE TREPPEN (158).
Wie soll schließlich ein Universitätsmarkt verwaltet werden? Wir wissen es nicht. Am vernünftigsten scheint ein Gutschein-System zu sein, wo jeder Zugang zu bezahlten Gutscheinen hat. Es ist auch eine Methode erforderlich, die Bezahlung und die Hörerzahl auszugleichen, sodaß Lehrer nicht bloß nach der Zahl der aufgenommenen Studenten bezahlt werden. Man braucht schließlich auch eine Methode der Bewertung, sodaß den Stadtbewohnern eine zuverlässige Information über Kurse und Lehrer zur Verfügung steht.
Es gibt verschiedene Versuche im Bereich der Hochschulausbildung, die zur Lösung dieser Verwaltungsprobleme beitragen könnten. Die Open University of England, die verschiedenen „freien" Universitäten, wie Heliotrope in San Francisco, die 20 Zweigstellen der University Without Walls an verschiedenen Orten der Vereinigten Staaten, die Universitäts-Weiterbildungsprogramme, die ihre Kurse ganz auf Berufstätige abstimmen —all das sind Beispiele von Institutionen, deren Experimente sich auf verschiedene Aspekte des Gedankens eines Universitätsmarktes beziehen.
Daraus folgt:
Richte die Universität als einen offenen Markt der Hochschulbildung ein. Vom sozialen Standpunkt heißt das, daß die Universität für Menschen aller Altersstufen offen ist, und zwar auf Ganztags-, Teilzeit- und Einzelkursbasis. Jedermann kann Lehrtätigkeit anbieten. Jedermann kann Lehrveranstaltungen besuchen.Baulich hat der Universitätsmarkt eine zentrale Straßenkreuzung mit den wichtigsten Gebäuden und Büros, während die Hörsäle und Laboratorien sich von diesen zentralen Straßen verzweigen - zunächst in kleinen Gebäuden entlang von Fußwegen konzentriert und dann allmählich verstreuter werdend, mit der Stadt verwoben.
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Leg an der zentralen Kreuzung der Universität eine PROMENADE (31) an; gruppiere die Gebäude in der Umgebung der Kreuzung entlang von Straßen - GEBÄUDEKOMPLEX (95), FUSSGÄNGERSTRASSE (100). Dieser zentrale Bereich muß Zugang zu ruhigen Grünflächen - RUHIGE HINTERSEILEN (59) - und einen normalen Anteil an Wohnnutzung - WOHNEN DAZWISCHEN (48) - haben. Was den Unterricht betrifft, sollte er wo immer möglich dem Modell MEISTER UND LEHRLINGE (83) folgen ...
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