EINE MUSTER-SPRACHE

STÄDTE - GEBÄUDE - KONSTRUKTION

Christopher Alexander, Sara Ishikawa, Murray Silverstein

mit Max Jacobson, Ingrid F. King, Shlomo Angel 

Für Verbreitung, Schulung und Ergänzung digitalisiert von:
THE PATTERN COMMUNITY - Institut zur Förderung menschengerechter Dörfer, Städte und Regionen

STÄDTE

Wir beginnen mit jenem Teil der Sprache, durch den eine Stadt oder Gemeinde definiert wird. Diese Muster können keinesfalls mit einem Schlag "entworfen" oder "gebaut" werden - nur geduldige und schrittweise Entwicklung, daraufhin angelegt, daß jede individuelle Maßnahme zur Entstehung dieser größeren, umfassenden Muster beiträgt, wird langsam und sicher über Jahre ein Gemeinwesen herbeiführen, das diese umfassenden Muster enthält. geduldige und schrittweise Entwicklung, daraufhin angelegt, daß jede individuelle Maßnahme zur Entstehung dieser größeren, umfassenden Muster beiträgt, wird langsam und sicher über Jahre ein Gemeinwesen herbeiführen, das diese umfassenden Muster enthält. 

GEBÄUDE

Hier werden die übergeordneten Muster ergänzt, die eine Stadt oder eine Gemeinde definieren. Wir beginnen jetzt jenen Teil der Sprache, die Gebäudegruppen und Einzelgebäuden ihre Form gibt, dreidimensional auf dem Grundstück. Das sind die Muster, die "entworfen" oder "gebaut" werden können - die Muster, die die einzelnen Gebäude und den Raum zwischen Gebäuden definieren. Zum ersten Mal behandeln wir Muster,die innerhalb der Kontrolle von Einzelpersonen oder kleinen Personengruppen liegen, die diese Muster in einem Zug realisieren können.

 

KONSTRUKTION

In dieser Phase haben wir einen vollständigen Entwurf für ein einzelnes Gebäude. Wenn die gegebenen Muster befolgt wurden,so hat man ein Schema der Räume, sei es mit Stecken auf dem Boden markiert oder auf einem Stück Papier - etwa aufeinen halben Meter genau. Man kennt die Höhe der Räume, die ungefähre Größe und Lage der Fenster und Türen, und man weiß ungefähr, wie die Dächer des Gebäudes und die Gärten anzuordnen sind.

Der nächste und letzte Teil der Sprache erklärt einem, wie man direkt aus diesem groben Raumschema ein baubares Gebäude macht, und erklärt auch im Detail, wie es zu bauen ist.

PROLOG

 

018.0

... ein anderes Netz, nicht ein bauliches wie das des Verkehrs, sondern ein gedankliches, ebenso wichtiges, ist das Netzwerk des Lernens: die tausenden Gegebenheiten einer Stadt, die miteinander in Zusammenhang stehen und die in Wirklichkeit den "Lehrplan" der Stadt beinhalten: die Lebensart, die sie ihren jungen Menschen vermittelt.

 

❖ ❖ 

 

In einer Gesellschaft, die besonderen Wert auf den Unterricht legt, werden Kinder und Studenten - und Erwachsene - passiv und unfähig, selbständig zu denken und zu handeln. Schöpferische, aktive Individuen können nur in einer Gesellschaft aufwachsen, die dem Lernen mehr Gewicht beimisst als dem Lehren.

 

Wir müssen nichts zur Kritik der öffentlichen Schulen hinzufügen. Diese Kritik ist umfassend und kaum zu ergänzen. Die Vorgänge des Lernens und Lehrens sind ebenfalls erschöpfend studiert worden...  Die Frage ist, was man tun soll. (George Dennison: Lives of Children, New York: Vintage Books, 1969, S. 3.)

Bis heute stammt die gründlichste Analyse und der umfassendste Vorschlag für einen alternativen Rahmen des Bildungssystems von Ivan Illich in seinem Buch "Entschulung der Gesellschaft
und seinem Artikel "Education without Schools: How It Can Be Done", in der New York Review of Books, New York, 15 (12): 25-31, special supplement, Juli 1971.

Illich beschreibt einen Lernstil, der dem der Schulen genau entgegengesetzt ist. Er ist besonders auf die reichhaltigen Lernmöglichkeiten abgestimmt, die in jedem Großstadtgebiet auf natürliche Weise vorhanden sind:

Die Alternative zu einer Kontrolle der Gesellschaft durch die Schule besteht in freiwilliger Teilnahme an der Gesellschaft mittels "Netzwerken", die Zugang zu allen Lernquellen bieten. Tatsachlich gibt es diese Netzwerke bereits, aber sie werden selten für Bildungszwecke genützt. Die Krise des Schulwesens wird - wenn sie denn zu etwas gut sein soll - unweigerlich dazu führen, daß es Teil eines umfassenden Bildungsprozesses wird ....

Schulen beruhen auf der Vermutung, daß jedes Ding im Leben ein Geheimnis birgt; daß die Qualität des Lebens von der Kenntnis dieses Geheimnisses abhängt; daß man Geheimnisse nur in der richtigen Reihenfolge kennenlernen kann; und daß nur Lehrer diese Geheimnisse auf die rechte Weise offenbaren können. Wer einen geschulten Kopf  hat, stellt sich die Welt als eine Pyrarnide aus klassifizierten Paketen vor, zu der Zugang nur hat, wer die richtigen Preisschilder trägt. Neue Bildungseinrichtungen würden diese Pyramide aufbrechen. Ihr Ziel muß sein, dem Lernenden den Zugang zu erleichtern: ihm einen Blick in die Fenster des Kontrollraums oder Parlaments zu gestatten, wenn er schon nicht durch die Tür hineingelangen kann. Außerdem sollten solche neuen Einrichtungen Kanäle sein, zu denen der Lernende ohne Beglaubigung oder Stammbaum Zutritt erhält: Öffentliche Räume, in denen ihm Gleichaltrige und Altere außerhalb seines engsten Umkreises zur Verfügung stehen ...

Während die Verwalter von Netzwerken sich vor allem darauf konzentrieren würden, Straßen zu bauen und zu unterhalten, die zu den Bildungsmöglichkeiten hinführen, würde der Pädagoge dem Schüler bei der Suche nach dem Weg helfen, der ihn am schnellsten an sein Ziel bringt. Möchte ein Student von einem chinesischen Nachbarn Kanton-Chinesisch lernen, so würde der Pädagoge dazu da sein, den Stand ihrer Kenntnisse zu beurteilen und ihnen 'bei der Auswahl des Lehrbuches und der Methoden behilflich zu sein, die ihrer Begabung, ihrem Charakter und der ihnen zur Verfügung stehenden zeit am angemessensten sind. Er könnte einem angehenden Flugzeugmechaniker bei der Suche nach der besten Lehrstelle behilflich sein. Jemandem, der anregende Partner für Gespräche über die Geschichte Afrikas sucht, könnte er Bücher empfehlen. Ebenso wie der Verwalter des Netzwerkes würde der pädagogische Berater sich selbst als hauptberuflichen Erzieher verstehen. Zutritt zu beiden sollten die einzelnen Lernenden durch Bildungsgutscheine erhalten....

Ergänzend zu den vorläufigen Schlußfolgerungen des Berichtes der Carnegie-Kommission hat das letzte Jahr eine Reihe von wichtigen Stellungnahmen hervorgebracht, die zeigen, daß sich verantwortliche Menschen. der Tatsache bewußt werden, daß Unterricht um eines Zeugnisses willen nicht mehr die zentrale erzieherische Einrichtung einer modernen Gesellschaft sein kann. Julius Nyere aus Tansania hat angekündigt, die Erziehung ins Dorfleben zu integrieren. In Kanada hat die Wright-Kommission für Weiterbildung berichtet, daß keines der bekannten formalen Bildungssysteme den Bürgern von Ontario gleiche Chancen gewährleisten kann. Der Präsident von Peru hat die Empfehlung seiner Bildungskommission aufgegriffen, wonach das freie Schulwesen zugunsten von freien, das ganze Leben begleitenden Bildungsmöglichkeiten abgeschafft werden soll. Es wird sogar berichtet, daß er darauf besteht, das Programm vorerst langsam einzuführen, um die Lehrer an den Schulen und von den wahren Erziehern fernzuhalten ....
(Auszug aus: Ivan Illich, Deschooling Society, Vol. 44 in World Perspectives Series, ed. by Ruth Nanda Anshen, New York Harper & Row, 1971; dt.: Entschulung der Gesellschaft, München: Kösel, 1972)

 

Kurz, ein so radikal dezentralisiertes Bildungssystem entspricht der städtischen Struktur selbst. Menschen kommen aus den verschiedensten Lebensumständen und halten Stunden über Dinge, die sie kennen und lieben: Fachleute und Arbeitsgruppen bieten Lehrgänge in ihren Büros und Werkstätten, alte Leute geben weiter, was ihre Lebensarbeit und ihr Lebensinteresse gewesen ist, Spezialisten unterweisen in ihren Spezialgebieten. Leben und Lernen sind eins. Man kann sich leicht vorstellen, daß schließlich in jedem dritten oder vierten Haushalt mindestens eine Person irgendwelche Stunden oder Übungen hält.

 

Daraus folgt:


Statt der Sackgasse der Pflichtschulausbildung an einem festen Ort bau Stück für Stück Elemente ein, die den Lernprozeß dezentralisieren, und bereichere diesen Lernprozeß durch vielfache Kontakte mit Stellen und Leuten in der ganzen Stadt: Werkstätten, Lehrer im Hause oder ambulant in der Stadt, Berufstätige, die bereit sind, junge Leute als Gehilfen aufzunehmen, ältere Kinder, die jüngere Kinder unterrichten, Museen, Jugendreisegruppen, wissenschaftliche Seminare, Fabriken, alte Leute usw. Faß all diese Situationen als Rückgrat des Lernprozesses auf; erhebe alle diese Situationen, beschreibt sie und gib sie zusammengefaßt als den "Lehrplan" der Stadt heraus; dann lass Studenten, Kinder, deren Familien und Nachbarschaften für sich jene Situationen zusammenstellen, die ihre "Schule" ausmachen. Bezahlt wird jeweils mit Standardgutscheinen, die von Gemeindesteuern aufgebracht werden. Gründe neue Erziehungseinrichtungen, die dieses Netzwerk erweitern und bereichern.

 

Eine Muster Sprache   18 NETZWERK DES LERNENS

 

❖ ❖ 

 

Fördere vor allem Seminare und Werkstätten in Wohnungen - WERKSTATT IM HAUS (157); sieh in jeder Stadt einen "Pfad" vor, wo kleine Kinder sicher allein wandern können - KINDER IN DER STADT (57); bau eigene öffentliche "Heime" für Kinder, mindestens eines in jeder Nachbarschaft - KINDERHAUS (86); schaff viele arbeitsorientierte kleine Schulen in den Arbeits- und Geschäftsvierteln der Stadt - LADENSCHULEN (85); veranlaß Teenager, eine eigene selbstverwaltete Lerngesellschaft zu bilden - TEENAGER-GESELLSCHAFT (84); betrachte die Universität als verstreute Erwachsenenbildungsstätte für alle Erwachsenen der Region - UNIVERSITÄT ALS OFFENER MARKT (43); und verwende die wirkliche Arbeit der Berufstätigen und Geschäftsleute als die Knotenpunkte des Netzwerks - MEISTER UND LEHRLINGE (83) ...

 

< Zurück zu 17 Weiter zu 19 >

 

017.0

... die in diesem Muster beschriebenen Ringstraßen tragen zur Form und Entstehung der LOKALVERKEHRSZONEN (11) bei; wenn sie so liegen, daß sie die UMSTEIGESTELLEN (34) verbinden, bilden sie auch einen Teil des ÖFFENTLICHEN VERKEHRSNETZES (16).

 

❖ ❖ 

 

Man kann den Bedarf an Hochgeschwindigkeitsstraßen in der modernen Gesellschaft nicht negieren. Es ist jedoch entscheidend, sie so anzulegen und zu bauen, daß sie die Gemeinden und das offene Land nicht zerstören.

 

Wenn auch die große Zeit der Schnellstraßen und Autobahnen der 50er und 60er Jahre wegen verbreiteter lokaler Proteste vorbei ist, können wir Hochgeschwindigkeitsstraßen nicht gänzlich vermeiden. Es gibt derzeit keine Aussicht auf eine tragfähige Alternative, die die ungeheure Transportleistung von Autos, Lastwagen und Bussen aufnehmen kann, von denen eine moderne Stadt wirtschaftlich und sozial abhängt.

Nichtsdestoweniger richten die Hochgeschwindigkeitsstraßen enormen Schaden an, wenn sie schlecht angelegt sind. Sie schneiden Gemeinden auseinander; sie schneiden Ufer ab; sie schneiden den Zugang zum offenen Land ab und sie verursachen vor allem gewaltigen Lärm. Auf hunderte Meter, manchmal sogar auf mehrere Kilometer, hört man den Lärm jeder Autobahn im Hintergrund dröhnen.

Um dieses Dilemma der Anlage und Konstruktion von Hochgeschwindigkeitsstraßen zu lösen, müssen wir verhindern, daß sie Gemeinden zerstören und das Leben mit ihrem Lärm erschüttern. Wir können drei Forderungen aufstellen, die nach unserer Meinung direkt auf dieses Ziel gerichtet sind:

1. Eine Gemeinschaft, die als zusammenhängendes Verkehrsgebiet aufgefaßt wird - LOKALVERKEHRSZONEN (11) wird niemals durch eine Hochgeschwindigkeitsstraße geteilt, sondern hat mindestens eine Hochgeschwindigkeitsstraße, die an ihr vorbeiführt. Dann ist eine schnelle Autofahrt von einer solchen Gemeinde zu anderen und in die ganze Region möglich.

2. Die Bewohner jeder Lokalverkehrszone müssen ohne Kreuzung einer Hochgeschwindigkeitsstraße das offene Land erreichen können - STADT-LAND-FINGER (3). Das bedeutet, grob gesprochen, daß Hochgeschwindigkeitsstraßen immer so liegen müssen, daß mindestens eine Seite jeder Lokalverkehrszone direkten Zugang zum offenen Land hat.

3. Das Wichtigste ist: Hochgeschwindigkeitsstraßen müssen zum Schutz des täglichen Lebens in der Umgebung akustisch abgeschirmt sein. Das bedeutet, daß sie entweder abgesenkt oder durch Böschungen, Parkhäuser oder Lager, die durch den Lärm nicht geschädigt werden, abgeschirmt sind.

 

Daraus folgt:


Leg Hochgeschwindigkeitsstraßen (Schnellstraßen und andere Hauptadern) folgendermaßen an:

  1. Mindestens eine Hochgeschwindigkeitsstraße liegt tangential zur jeder Lokalverkehrszone.
  2. Jede Lokalverkehrszone hat mindestens eine Seite, die nicht durch eine Hochgeschwindigkeitsstraße abgeschlossen ist, sondern direkt ans offene Land grenzt.
  3. Die Straße ist immer abgesenkt oder in der Längsrichtung durch Mauern, Böschungen oder Industriegebäude abgeschirmt, sodaß die nahegelegenen Wohngebiete vor Lärm geschützt sind.

 Eine Muster Sprache   17 RINGSTRASSEN

 

❖ ❖ 

 

Leg die Hochgeschwindigkeitsstraßen immer in die Grenzstreifen zwischen Subkulturen - SUBKULTUR-GRENZE (13) - und nie entlang eines Ufers - ZUGANG ZUM WASSER (25). Leg Industrie und große Hochgaragen direkt zu den Straßen, sodaß sie womöglich als zusätzliche Lärmabschirmung dienen - INDUSTRIEBAND (42), ABGESCHIRMTES PARKEN (97) ....

 

< Zurück zu 16 Weiter zu 18 >

 

... die Stadt, wie sie in STADT-LAND-FINGER (3) beschrieben ist, erstreckt sich bandförmig über das Land und ist in LOKAL VERKEHRSZONEN (11) aufgeteilt. Um die Verkehrszonen miteinander zu verbinden und den Fluß der Menschen und Güter entlang der Stadt-Finger aufrechtzuerhalten, ist nun ein öffentliches Verkehrsnetz erforderlich.

 

❖ ❖ 

 

Das öffentliche Verkehrssystem - das ganze Netz von Flugzeugen, Hubschraubern, Luftkissenfahrzeugen, Zügen, Booten, Fähren, Bussen, Taxis, Kleinbahnen, Karren, Schiliften, Transportbändern - kann nur funktionieren, wenn alle Teile richtig verbunden sind. Das sind sie gewöhnlich nicht, weil es keinen Anreiz für die verschiedenen Betreiber der verschiedenen öffentlichen Verkehrsarten gibt, sich zusammenzuschließen.

 

Das allgemeine Problem des öffentlichen Verkehrs ist kurz folgendes: Eine Stadt umfaßt eine große Anzahl von Orten, die ziemlich gleichmäßig über eine Fläche verteilt sind. Die gewünschten Fahrten sind typischerweise zwischen zwei zufälligen Punkten auf dieser Fläche. Kein lineares System (wie ein Bahnsystem) kann direkte Verbindungen der ungeheuren Zahl möglicher Punktpaare in der Stadt liefern.

Öffentliche Verkehrssysteme können daher nur funktionieren, wenn es zahlreiche Verbindungen zwischen einer großen Vielfalt von verschiedenen Systemen gibt. Aber diese Verbindungen sind nur brauchbar, wenn es wirklich schnelle und kurze Verbindungen sind. Die Wartezeit auf einen Anschluß muß kurz sein. Und die Geh-Entfernung zwischen den zwei Systemen darf nur sehr kurz sein.

Soweit, so klar; und jeder, der sich mit öffentlichem Verkehr beschäftigt hat, akzeptiert das. Aber so klar es ist, so schwer ist es durchzuführen.

Es gibt zwei praktische Schwierigkeiten, die beide daher kommen, daß verschiedene Arten des öffentlichen Verkehrs gewöhnlich in den Händen verschiedener Betreiber sind, die ungern zusammenarbeiten; teils, weil sie wirklich im Wettbewerb stehen, und teils, weil gerade die Zusammenarbeit ihnen das Leben schwerer macht.

Das trifft besonders auf Pendelverkehrsstrecken zu. Eisenbahn, Busse, Mini-Busse, Schnellbahnen, Fähren und vielleicht sogar Flugzeuge und Hubschrauber konkurrieren um die Fahrgäste entlang derselben Strecken. Wenn jede Verkehrsart von einer 'unabhängigen Dienststelle betrieben wird, gibt es keinen besondern Anreiz, zu weniger flexiblen Verkehrsmitteln Zubringerdienste zu leisten. Viele Betriebe sträuben sich sogar, gute Zubringerverbindungen zu Schnellbahnen, Eisenbahnen und Fähren zu liefern, weil ihre Pendelstrecken die lukrativsten sind. In ähnlicher Weise übernehmen in vielen Städten der Entwicklungsländer Mini-Busse und Gruppentaxis den öffentlichen Verkehr entlang der Hauptpendelstrecken und ziehen Fahrgäste von den Bussen ab. So werden die Hauptlinien von kleinen Fahrzeugen bedient, während auf den peripheren Strecken fast leere Busse fahren, weil die öffentlichen Busbetriebe diese Gebiete gewöhnlich bedienen müssen, selbst wenn es Verlust bringt.

Die Lösung eines öffentlichen Verkehrsnetzes hängt also von der Lösung des Koordinationsproblems der' verschiedenen Systeme ab. Wir schlagen eine Lösung vor. Die traditionelle Betrachtungsweise des öffentlichen Verkehrs sieht die Linien als primär und die Umsteigestellen zur Verbindung dieser Linien untereinander als sekundär. Wir schlagen das Gegenteil vor: Nämlich daß die Umsteigestellen primär und die Linien sekundäre Elemente zur Verbindung der Umsteigestellen sind. Stellen wir uns folgende Organisation vor: Jede Umsteigestelle wird von der Gemeinschaft, die sie benutzt, betrieben. Die Gemeinschaft beruft einen Leiter für jede Umsteigestelle, teilt ihm ein Budget zu und gibt ihm eine Dienstanweisung. Der Umsteigeleiter koordiniert den Betrieb seiner Umsteigestelle; er sichert sich vertraglich die Dienste einer beliebigen Zahl von Verkehrsunternehmen - die Unternehmen selbst stehen beim Angebot von Verkehrsleistungen in freiem Wettbewerb miteinander.

In diesem Schema verschiebt sich die Verantwortlichkeit für den öffentlichen Verkehr von den Linien zu den Umsteigestellen. Die Umsteigestellen sind für die Verbindungen untereinander verantwortlich, und die lokale Gemeinde, die die Umsteigestelle benutzt, entscheidet über den Verkehr, der sie quert. Dann ist' es Sache des Leiters der Umsteigestelle, diese Verkehrsarten dazu zu bringen, dort durchzufahren.

Langsam wird sich eine Verkehrsversorgung, die die Umsteigestellen verbindet, aufbauen. Ein Beispiel, das unserem Modell sehr nahe kommt und beweist, daß es zu einer besseren Versorgung fähig ist als irgendein zentraler Betreiber, ist das berühmte Schweizer Eisenbahnsystem.

Das Schweizer Eisenbahnsystem ... ist das dichteste Netz der Welt. Mit großen Kosten und Schwierigkeiten hat man es dazu gebracht, den Bedarf der kleinsten Orte und entlegensten Täler zu decken, nicht als lukratives Unternehmen, sondern weil das Volk es so wollte. Es entstand aus harten politischen Kämpfen. Im 19. Jahrhundert brachte die "demokratische Eisenbahnbewegung" die kleinen Schweizer Gemeinden in Konflikt mit den großen Städten, deren Pläne in Richtung auf eine Zentralisierung zielten .... Den Unterschied zwischen einem zentralisierten Staat und einem föderativen Bund sehen wir am Vergleich des Schweizer Systems mit dem französischen. Dieses ist mit einer bewundernswerten geometrischen Regelhaftigkeit völlig auf Paris zentriert, sodaß Prosperität oder Verfall, Leben oder Tod ganzer Regionen immer von der Qualität der Verbindung zur Hauptstadt abhängen. Die Karte der Eisenbahnlinien ist auf einen Blick zu lesen, aber stellen wir uns darübergelegt die Wirtschaftsströme und die Bevölkerungsbewegung vor. Die Verteilung der industriellen Entwicklung über die ganze Schweiz, auch in entlegene Gebiete, beweist die Stärke und Stabilität der Sozialstruktur des Landes. Sie verhinderte die schrecklichen Industriekonzentrationen des 19. Jahrhunderts mit ihren Slums und ihrem entwurzelten Proletariat. (Colin Ward: "The Organization of Anarchy", in Patterns o[ Artarchy, hrsg. von Leonard 1 Krimerman . und Lewis Perry, New York, 1966.)

 

Daraus folgt:


Behandle die Umsteigestellen als primär und die Verkehrslinien als sekundär. Schaff Anreize, daß alle verschiedenen Arten öffentlichen Verkehrs - Flugzeuge, Hubschrauber, Fähren, Boote, Bahnen, Schnellbahnen, Busse, Mini-Busse, Schilifte, Rolltreppen, Rollsteige, Aufzüge - ihre Linien als Verbindungen der Umsteigestellen auffassen, mit dem Ziel, daß nach und nach an jeder Umsteigestelle viele verschiedene Linien verschiedenster Art zusammenkommen. Überlasse den örtlichen Gemeinden die Kontrolle über ihre Umsteigestellen, sodaß sie das Muster verwirklichen, indem sie nur jene Verkehrsgesellschaften beauftragen, die bereit sind, diese Umsteigestellen zu versorgen.

 Eine Muster Sprache   16 ÖFFENTLICHES VERKEHRSNETZ

 

❖ ❖ 

 

Leg alle verschiedenen Linien, die an einer einzelnen Umsteigestelle zusammenkommen, und ihre Parkgelegenheit auf weniger als 200 m zusammen, sodaß die Leute zu Fuß überwechseln können - UMSTEIGESTELLE (34). Es ist entscheidend, daß die größeren Stationen von einem guten Zubringersystem bedient werden, damit die Leute ihre privaten Autos überhaupt nicht verwenden müssen - MINI-BUSSE (20) ...

 

< Zurück zu 15 Weiter zu 17 >

 

015.0

. .. die physische Grenze, die zur Abschirmung der Subkulturen voneinander und zur Entwicklung eigenständiger Lebensweisen nötig ist, wird für die GEMEINDE VON 7000 (12) durch das Muster SUBKULTUR-GRENZE (13) garantiert. Aber eine zweite, schwächere Art von Grenze ist für die Bildung der kleineren IDENTIFIZIERBAREN NACHBARSCHAFT (14) erforderlich.

 

❖ ❖ 

 

Die Wirkung der Grenze ist für die Nachbarschaft wesentlich. Wenn die Grenze zu schwach ist, kann die Nachbarschaft ihren identifizierbaren Charakter nicht aufrechterhalten.

 

Die Zellwand einer organischen Zelle ist gleich groß oder sogar größer als das Zellinnere. Es ist nicht eine Fläche, die das Innere vom Äußern trennt, sondern eine zusammenhängende selbständige Wesenheit, die die funktionelle Integrität der Zelle bewahrt und für eine Vielzahl von Vorgängen zwischen dem Zellinnern und den umgebenden Flüssigkeiten sorgt.

 

015.1

 Zelle mit Zellwand: die Zellwand ist ein Ort für sich.

 

Wir haben schon in SUBKULTUR-GRENZE (13) dargelegt, daß eine Gruppe mit spezifischem Lebensstil eine Grenze braucht, um ihre Eigenart vor Übergriffen und Verwässerung durch die umgebenden Lebensweisen zu schützen. Diese Subkultur-Grenze funktioniert also genauso wie eine Zellwand - sie schützt die Subkultur und schafft Raum für den Austausch mit umliegenden Funktionen.

Dieser Gedankengang gilt genauso für eine einzelne Nachbarschaft, die einen Mikrokosmos einer Subkultur darstellt. Während jedoch die Subkultur-Grenzen breite Landstreifen, kommerzielle und industrielle Nutzungen brauchen, können die, Nachbarschaftsgrenzen viel bescheidener sein. Es ist ja wirklich nicht möglich, daß eine Nachbarschaft mit 500 oder mehr Einwohnern sich mit Geschäften, Straßen und Gemeinschaftseinrichtungen abgrenzt; es sind einfach nicht genug Leute da. Natürlich werden die wenigen Geschäfte, die es in der Nachbarschaft gibt - das STRASSENCAFE (88), das LEBENSMITTELGESCHÄFT AN DER ECKE (89) - zur Bildung des Randes beitragen, aber im großen und ganzen werden die Nachbarschaftsgrenzen aus einem ganz anderen morphologischen Prinzip entstehen müssen.

Durch die Beobachtung von Nachbarschaften, die das Ziel der Eigenständigkeit sowohl physisch als auch aus der Sicht der Bewohner erreicht haben, fanden wir heraus, daß das wichtigste Einzelmerkmal einer Nachbarschaftsgrenze der eingeschränkte Zutritt in die Nachbarschaft ist: Nachbarschaften, deren Eigenständigkeit gelungen ist, haben eindeutige und relativ wenige Wege und Straßen, die hineinführen.

Hier ist z. B. ein Plan der Etna-Street-Nachbarschaft in Berkeley.

 Eine Muster Sprache   15 NACHBARSCHAFTSGRENZE 1

  

In diese Nachbarschaft führen nur sieben Straßen im Vergleich zu den vierzehn, die es in einem typischen Teil eines Straßenrasters geben würde. Die anderen Straßen stoßen alle in T-Kreuzungen unmittelbar an den Rand der Nachbarschaft. So ist also, obwohl die Etna-5treet-Nachbarschaft nicht im wörtlichen Sinn von der Gemeinschaft abgeschlossen ist, ihr Zugang auf subtile Weise beschränkt. Daraus folgt, daß man nicht mit dem Auto in die Nachbarschaft fährt, wenn man dort nichts zu tun hat. Für Leute in der Nachbarschaft ist erkennbar, daß sie in einem bestimmten Teil der Stadt sind. Natürlich wurde die Nachbarschaft nicht absichtlich "geschaffen". Es war ein Gebiet in Berkeley, das wegen dieses Zufalls im Straßensystem zu einer identifizierbaren Nachbarschaft wurde.

Ein extremes Beispiel dieses Prinzips ist die Fuggerei in Augsburg, abgebildet in IDENTIFIZIERBARE NACHBARSCHAFT (14). Die Fuggerei ist völlig durch Gebäudehinterseiten und Mauern abgeschlossen, die Wege hinein sind eng und durch Tore markiert.

Tatsächlich bedeutet beschränkter Zutrritt per definitionem, daß die wenigen Punkte, wo Zutritt möglich ist, besondere Bedeutung annehmen. Auf die eine oder andere Art subtil oder augenfällig, werden sie zu Toren, die den Durchgang zur Nachbarschaft markieren. Wir sprechen darüber ausführlicher in HAUPTTORE (53). Tatsache bleibt jedoch, daß jede gelungene Nachbarschaft identifizierbar ist, weil sie irgend eine Art von Toren hat: die Grenze bleibt in Erinnerung, weil man die Tore wiedererkennt.

Falls die Idee der Tore zu abgeschlossen erscheint, fügen wir gleich hinzu, daß die Grenzzone - und besonders der Teil rund um die Tore - auch eine Art Versammlungsort bilden muß, wo Nachbarschaften zusammenkommen. Wenn jede Nachbarschaft ein selbständiges Wesen ist, wird die Gemeinde von 7000, zu der die Nachbarschaften gehören, nicht für die Flächen innerhalb der Nachbarschaften planen. Aber ihre Planungshoheit wird sich auf alle Flächen zwischen den Nachbarschaften - die Grenzflächen - erstrecken, weil genau in diesen Grenzflächen gemeinschaftliche Funktionen für alle 7000 Einwohner Platz finden müssen. In diesem Sinne dienen die Grenzen nicht nur zum Schutz der einzelnen Nachbarschaften, sondern sie bewirken gleichzeitig ihren Zusammenschluß bezüglich übergeordneter Vorgänge.

 

Daraus folgt:


Fördere die Bildung einer Grenze rund um jede Nachbarschaft, um sie von den Nachbarschaften daneben zu trennen, Bilde diese Grenze durch Schließen von Straßen und durch Beschränken des Zutritts zur Nachbarschaft - streich von der normalen Anzahl der Straßen mindestens die Hälfte. Stell Tore an die Punkte, wo die beschränkten Zugangswege die Grenze queren; und mach die Grenzzone breit genug zur Aufnahme von Versammlungsorten für die gemeinsamen Funktionen mehrerer Nachbarschaften.

 Eine Muster Sprache   15 NACHBARSCHAFTSGRENZE 2

 

❖ ❖ 

 

Der leichteste Weg, eine Grenze um eine Nachbarschaft zu bilden, ist, die Gebäude nach innen zu drehen und die Wege über die Grenze abzuschneiden, außer einen oder zwei, an bestimmten Punkten, die zu Toren werden - HAUPTTORE (53); der öffentliche Grund der Grenze kann einen Park, Sammelstraßen, kleine Parkplätze und Arbeitsstätten aufnehmen - alles, was einen natürlichen Rand bildet - PARALLELE STRASSEN (23)GEMEINSCHAFT VON ARBEITSSTÄTTEN (41), RUHIGE HINTERSEITEN (59), ERREICHBARE GRÜNFLÄCHE (60), ABGESCHIRMTES PARKEN (97), KLEINE PARKPLÄTZE (103). Die Treffpunkte im Grenzstreifen können jene Orte mit Nachbarschaftsfunktion sein, die mit sich bringen, daß man sich trifft: ein Park, eine gemeinsame Garage, ein freier Platz, eine Einkaufsstraße, ein Spielplatz - EINKAUFSSTRASSE (32), TEICHE UND BÄCHE (64), ÖFFENTLICHES ZIMMER IM FREIEN (69), GRABSTÄTTEN (70), LOKALER SPORT (72)ABENTEUERSPIELPLATZ (73) ....

 

< Zurück zu 14 Weiter zu 16 >

Förderer:


Wien Kultur