EINE MUSTER-SPRACHE

STÄDTE - GEBÄUDE - KONSTRUKTION

Christopher Alexander, Sara Ishikawa, Murray Silverstein

mit Max Jacobson, Ingrid F. King, Shlomo Angel 

Für Verbreitung, Schulung und Ergänzung digitalisiert von:
THE PATTERN COMMUNITY - Institut zur Förderung menschengerechter Dörfer, Städte und Regionen

STÄDTE

Wir beginnen mit jenem Teil der Sprache, durch den eine Stadt oder Gemeinde definiert wird. Diese Muster können keinesfalls mit einem Schlag "entworfen" oder "gebaut" werden - nur geduldige und schrittweise Entwicklung, daraufhin angelegt, daß jede individuelle Maßnahme zur Entstehung dieser größeren, umfassenden Muster beiträgt, wird langsam und sicher über Jahre ein Gemeinwesen herbeiführen, das diese umfassenden Muster enthält. geduldige und schrittweise Entwicklung, daraufhin angelegt, daß jede individuelle Maßnahme zur Entstehung dieser größeren, umfassenden Muster beiträgt, wird langsam und sicher über Jahre ein Gemeinwesen herbeiführen, das diese umfassenden Muster enthält. 

GEBÄUDE

Hier werden die übergeordneten Muster ergänzt, die eine Stadt oder eine Gemeinde definieren. Wir beginnen jetzt jenen Teil der Sprache, die Gebäudegruppen und Einzelgebäuden ihre Form gibt, dreidimensional auf dem Grundstück. Das sind die Muster, die "entworfen" oder "gebaut" werden können - die Muster, die die einzelnen Gebäude und den Raum zwischen Gebäuden definieren. Zum ersten Mal behandeln wir Muster,die innerhalb der Kontrolle von Einzelpersonen oder kleinen Personengruppen liegen, die diese Muster in einem Zug realisieren können.

 

KONSTRUKTION

In dieser Phase haben wir einen vollständigen Entwurf für ein einzelnes Gebäude. Wenn die gegebenen Muster befolgt wurden,so hat man ein Schema der Räume, sei es mit Stecken auf dem Boden markiert oder auf einem Stück Papier - etwa aufeinen halben Meter genau. Man kennt die Höhe der Räume, die ungefähre Größe und Lage der Fenster und Türen, und man weiß ungefähr, wie die Dächer des Gebäudes und die Gärten anzuordnen sind.

Der nächste und letzte Teil der Sprache erklärt einem, wie man direkt aus diesem groben Raumschema ein baubares Gebäude macht, und erklärt auch im Detail, wie es zu bauen ist.

PROLOG

 

034.0

... dieses Muster behandelt die Punkte, die das ÖFFENTLICHE VERKEHRSNETZ (16) bilden. Es ergänzt auch die LOKALVERKEHRS-ZONEN (11), indem es im Zentrum jeder Verkehrszone den Leuten die Möglichkeit gibt, von ihren Fahrrädern oder regionalen Mini-Bussen auf die Langstreckenverkehrslinien, die die verschiedenen Verkehrszonen verbinden, umzusteigen.

 

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Umsteigestellen spielen im öffentlichen Verkehr eine wesentliche Rolle. Wenn die Umsteigestellen nicht richtig funktionieren, kann sich das öffentliche Verkehrssystem nicht behaupten.

 

Jeder braucht irgendwann den öffentlichen Verkehr. Wer ihn aber in Gang hält, sind die ständigen Benutzer. Ohne ständige Benutzer gibt es kein System für den gelegentlichen Benutzer. Um einen ständigen Fahrgaststrom aufrechtzuerhalten, müssen die Umsteigestellen besonders bequem und leicht zu benützen sein:

1. Arbeitsstätten und Wohnungen der Menschen, die besonders auf den öffentlichen Verkehr angewiesen sind, müssen ziemlich gleichmäßig um die Umsteigestellen herum verteilt sein.

2. Die Umsteigestellen müssen gut mit dem Fußgänger-Straßenleben der Umgebung verbunden sein.

3. Es muß leicht sein, von einem Verkehrsmittel zum anderen zu wechseln.

 

Genauer gesagt:

  1. Beschäftigte sind das tägliche Brot des Verkehrssystems. Wenn das System gesund sein soll, müssen alle Arbeitsstätten der Stadt innerhalb der Gehentfernung von den Umsteigestellen und Einstiegsstellen sein. Überdies soll die Verteilung der Arbeitsstätten auf die Umsteigestellen einigermaßen gleichmäßig sein - siehe STREUUNG DER ARBEITSSTÄTTEN (9). Wenn sie um einige wenige konzentriert sind, sind zur Stoßzeit die Züge überfüllt und das System als ganzes ist uneffizient. Außerdem sollte ein Teil des Gebietes um die Umsteigestellen Wohnungen solcher Leute enthalten, die völlig auf den öffentlichen Verkehr angewiesen sind - besonders alte Leute. Alte Leute sind vom öffentlichen Verkehr abhängig; sie bilden einen großen Teil der regelmäßigen Benutzer. Um ihren Bedürfnissen entgegen zukommen, muß das Gebiet um die Umsteigestellen so gewidmet werden, daß sich dort für sie geeignete Bauformen entwickeln können — ÜBERALL ALTE MENSCHEN (40)

  2. Die Umsteigestelle muß für die Leute, die von ihren Wohnungen oder Arbeitsstätten kommen, bequem und zugleich sicher sein. Wenn die Umsteigestelle schmutzig, verwahrlost ünd verödet ist, werden die Leute sie nicht benutzen. Das heißt, daß die Umsteigestelle mit dem örtlichen Fußgängerleben verbunden sein muß. Parkplätze müssen an einer Seite liegen, sodaß man am Weg zur Station nicht durchgehen muß. Es muß genug Geschäfte und Kioske geben, damit ein ständiger Fußgängerverkehr hinein, hinaus und durch die Umsteigestelle hindurch aufrechterhalten bleibt.

  3. Wenn das System funktionieren soll, darf zwischen den tatsächlichen Einstiegsstellen nur ein Fußweg von wenigen Minuten liegen — allerhöchstens 200 m. Diese Entfernung sollte abnehmen, je lokaler die Fahrten sind: von Bus zu Bus höchstens 30 m; von der Schnellbahn zum Bus höchstens 60 m; vom Zug zur Schnellbahn höchstens 100 m. In regnerischem Klima sollten die Verbindungswege praktisch zur Gänze überdeckt sein — ARKADEN (119). Außerdem sollten die wichtigsten Umsteigeverbindungen nicht über querende Straßen führen. Andernfalls müssen für die reibungslose Verbindung Straßen abgesenkt oder Brücken gebaut werden. Einzelheiten der Organisation von Umsteigestellen kann man nachlesen in „390 Requirements for Rapid Transit Stations", Center for Environmental Structure, 1964; auszugsweise veröffentlicht in „Relational Complexes in Architecture" (Christopher Alexander, Van Maren King, Sara Ishikawa, Michael Baker, Architectural Record, September 1966, S. 185-190).

 

Daraus folgt:

Befolge bei jeder Umsteigestelle im Verkehrsnetz folgende Prinzipien:

  1. Ordne Arbeitsstätten und Wohnbautypen, die am ehestens auf den öffentlichen Verkehr angewiesen sind, rund um die Umsteigestellen an.
  2. Leg das Innere der Umsteigestelle als Fortsetzung des äußeren Fußwegenetzes an und halte diesen Zusammenhang durch kleine Geschäfte und Kioske aufrecht. Die Parkplätze leg an eine Seite.

  3. Halte die Entfernungen zum Umsteigen zwischen verschiedenen Verkehrsmitteln womöglich unter 100 m — mit einem absoluten Maximum von 200 m.

Eine Muster Sprache 34 UMSTEIGESTELLE

 

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Arbeitsstätten rund um jede Umsteigestelle tragen zur STREUUNG DER ARBEITSSTÄTTEN (9) bei. Leg WOHNHÜGEL (39), ÜBERALL ALTE MENSCHEN (40) und GEMEINSCHAFT VON ARBEITSSTÄTTEN (41) rund um die Umsteigestelle an; behandle das Äußere der Umsteigestelle als KNOTEN DER AKTIVITÄT (30) um sie an den Fußgängerverkehr anzuschließen; behandle die Verbindungswege als ARKADEN (119), wo sie überdeckt sein sollen; leg an jede Umsteigestelle eine BUSHALTESTELLE (92) im Netz des MINI-BUS (20) ...

 

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033.0

... jede Gemeinde hat irgendeine Art öffentlichen Nachtlebens DER ZAUBER DER STADT (10), GEMEINDE VON 7000 (12). Wenn es in der Gemeinde eine Promenade gibt, wird das Nachtleben wahrscheinlich dort sein, zumindest teilweise — PROMENADE (31). Das folgende Muster beschreibt die Konzentration nächtlicher Aktivitäten im einzelnen.

 

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Die meisten Tätigkeiten der Stadt werden nachts eingestellt; jene, die weitergehen, tragen nicht viel zum Nachtleben bei, wenn sie nicht räumlich konzentriert sind.

 

Dieses Muster stützt sich auf sieben Punkte:Dieses Muster stützt sich auf sieben Punkte:

  1. Die Leute gehen gerne abends aus; eine Nacht in der Stadt ist etwas besonderes.

  2. Wenn Abendaktivitäten wie Kinos, Cafes, Eisdielen, Tankstellen und Bars über die Gemeinde verstreut sind, ist jede für sich allein nicht attraktiv genug. 033.1
    Eine einzelne Bar ist bei Nacht ein verlassener Ort.

  3. Viele Leute gehen abends nicht aus, weil sie nicht wissen, wo sie hingehen sollen. Sie wollen nicht in ein bestimmtes Lokal gehen, sondern sie wollen ausgehen. Ein abendliches Zentrum, besonders wenn es voller Licht ist, bildet einen Brennpunkt für solche Leute.
  4. Furcht vor Dunkelheit, vor allem an Orten, die man nicht kennt, ist eine allgemeine Erfahrung und leicht verständlich. Unsere ganze Entwicklung hindurch war die Nacht eine Zeit der .guhe und Absicherung, nicht eine Zeit der freien Bewegung. 033.2
    Mehrere nächtliche Punkte zusammen schaffen Leben auf der Straße.

  5. Heute ist dieser Instinkt durch die Tatsache verankert, daß bei Nacht Verbrechen auf der Straße vor allem dann vorkommen, wenn die Fußgänger zu wenige sind, um eine natürliche Absicherung zu bieten, aber genügend viele, um Kriminelle anzulocken. Mit anderen Worten, dunkle, abgeschiedene Nachtlokale locken Kriminalität an. Eine Arbeit von Shlomo Angel, „The Ecology of Night Life" (Center for Environmental Structure, Berkeley, 1968) zeigt, daß die meisten Straßenverbrechen in Gebieten vorkommen, in denen es verstreute Nachtlokale gibt. Gebiete mit sehr niedriger oder sehr hoher nächtlicher Fußgängerdichte sind viel weniger dem Verbrechen ausgesetzt.Eine Muster Sprache 33 NACHTLEBEN
  6. Die genaue Zahl der Nachtlokale, die beisammen liegen müssen, um das Gefühl eines Nachtlebens zu vermitteln, ist schwer zu schätzen. Aufgrund von Beobachtungen vermuten wir, daß es mindestens sechs sein müssen.

  7. Andererseits wirken massive Veranstaltungszentren, die ein Angebot kombinieren, das eine Person unmöglich am selben Abend konsumieren kann, entfremdend. Zum Beispiel macht in New York das Lincoln Center for the Performing Arts am Abend einen überwältigenden Eindruck, ergibt aber keinen Sinn. Niemand geht, wenn er abends ausgeht, ins Ballett, ins Theater und ins Konzert. Und durch die Zentralisierung dieser Angebote wird die Stadt als Ganzes einiger weiterer Zentren des Nachtlebens beraubt. 

  8. Faßt man diese Argumente zusammen, so ergeben sich kleine, verstreute Zentren einander belebender Nachtlokale, so gruppiert, daß sich anregende Plätze bilden, beleuchtet und mit Stellen zum Bummeln, wo man einige interessante Stunden verbringen kann. Wir geben einige Beispiele kleiner Gruppen von einander unterstützenden Abendaktivitäten. Ein Kino, ein Restaurant und eine Bar, ein Buchgeschäft das bis Mitternacht offen ist; ein Tabakladen. Eine Automatenwäscherei, ein Getränkegeschäft und ein Cafe; eine Versammlungshalle und eine Bierhalle. Herberge oder Pension, Kegelbahn, Bar, Theater.erberge oder Pension, Kegelbahn, Bar, Theater.Eine Endstation, Speiselokal, Hotels, Nachtclubs, Casino.

 

Daraus folgt:

Verknüpfe Geschäfte, Vergnügungslokale und während der Nacht geöffnete Dienstleistungseinrichtungen, zusammen mit Hotels, Bars, nachts geöffneten Speiselokalen, sodaß sie Zentren des Nachtlebens Ml-den: erleuchtete, sichere und lebendige Orte, die den Fußgängerverkehr bei Nacht steigern, indem sie alle Leute, die in der Nacht ausgehen, auf wenige Punkte in der Stadt konzentrieren. Fördere die gleichmäßige Verteilung dieser Abendzentren über die Stadt.

Eine Muster Sprache 33 NACHTLEBEN 1

 

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Behandle die räumliche Anlage der Zone des Nachtlebens genau wie die anderer KNOTEN DER AKTIVITÄT (30), nur daß eben alle Betriebe nachts offen haben. Die Abendbetriebe könnten das LOKALE RATHAUS (44), den VERGNÜGUNGSPARK (58), TANZEN AUF DER STRASSE (63), ein STRASSENCAFÉ (88), eine BIERHALLE (90), einen GASTHOF (91) miteinschließen ....

 

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032.0

... dieses Muster bildet die Ergänzung von DER ZAUBER DER STADT (10) und PROMENADE (31). Und jede neu errichtete Einkaufsstraße trägt zur Entstehung des NETZES DER NAHVERSORGUNG (19) bei.

 

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Einkaufszentren hängen von der Erschließung ab: sie brauchen Standorte in der Nähe von Hauptverkehrsadern. Die Käufer haben aber vom Verkehr nichts: sie brauchen Ruhe, Bequemlichkeit und Komfort; für sie wäre der Zugang von den Fußwegen der Umgebung wichtig.

 

Dieser einfache und augenscheinliche Konflikt ist fast nie wirklich gelöst worden. Einerseits haben wir „Shoppingstrips". Da sind die Geschäfte entlang der Hauptverkehrsadern angeordnet. Das ist bequem für Autos, aber unbequem für Fußgänger. Ein Strip hat nicht die Eigenschaften, die eine Fußgängerzone braucht.

 

032.1

"Shopping-strip" für Autos.

 

Andererseits haben wir jene nicht fürs Auto gebauten Geschäftsstraßen in den alten Stadtzentren. Hier sind die Bedürfnisse der Fußgänger wenigstens teilweise berücksichtigt. Aber durch die Ausbreitung der Städte und die Überlastung der Straßen sind sie schwer zu erreichen; und die Autos beherrschen die engen Straßen erst recht.

 

032.2

Alte Geschäftsstraße - unbequem für Autos und Menschen.

 

Die moderne Lösung ist das Einkaufszentrum. Einkaufszentren liegen gewöhnlich an oder in der Nähe von Hauptverkehrsadern, sodaß sie bequem für Autos sind; oft sind im Inneren Fußgängerbezirke angelegt, sodaß sie wenigstens theoretisch für Fußgänger angenehm und geeignet sind. Aber gewöhnlich sind sie abgeschlossen, liegen mitten in einem riesigen Parkplatz und haben keine Verbindung zum Fußwegenetz der Umgebung. Kurz, man kann nicht hingehen.

 

032.3

Neues Einkaufszentrum - nur für Autos.

 

Wenn die Geschäfte sowohl für den Verkehr als auch für die Fußgänger geeignet sein und mit der umliegenden Stadt verbunden sein sollen, müssen sie entlang einer Straße angeordnet sein, die an sich Fußgängerstraße ist, aber von einer Hauptverkehrsader - vielleicht sogar von zweien - erschlossen ist. Parkgelegenheiten sollten an der Hinterseite oder darunter liegen, damit die Autos die Geschäfte nicht von der Stadt isolieren.

Wir haben erlebt, wie dieses Muster von selbst in bestimmten Nachbarschaften von Lima entstanden ist: Es wird eine breite Straße für den Autoverkehr angelegt und in rechtwinkelig abzweigenden Fußgängerstraßen beginnen sich Geschäfte zu bilden.

 

032.4

Eine Muster Sprache 32 EINKAUFSSTRASSE

Dieses Muster bildet auch die Form der berühmten Stroget in Kopenhagen. Die Strüget ist die zentrale Einkaufsachse der Stadt; sie ist außerordentlich lang - etwa 1,5 km - und ist zur Gänze Fußgängerstraße, wird jedoch in Abständen von rechtwinkeligen Straßen gequert.

 

Daraus folgt:

Fördere die Entstehung von lokalen Einkaufszentren in der Form von kurzen Fußgängerstraßen, rechtwinkelig zu Hauptstraßen und von diesen erschlossen — mit Parkgelegenheit hinter den Geschäften, sodaß die Autos direkt von der Straße zufahren können und trotzdem die Einkaufsstraße nicht stören.

Eine Muster Sprache 32 EINKAUFSSTRASSE 1

 

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Behandle die Straße baulich wie jede andere FUSSGÄNGERSTRASSE (100) im NETZ VON FUSS- UND FAHRWEGEN (52), rechtwinkelig zu den PARALLELEN STRASSEN (23); so kleine Geschäfte wie möglich und so viel wie möglich - GESCHÄFTE IN PRIVATBESITZ (87); wo die Einkaufsstraße die Fahrstraße kreuzt, unterteile die Kreuzung und gibt den Fußgängern Vorrang - STRASSENÜBERQUERUNG (54); als Parkgelegenheit genügt eine einzelne Reihe von Abstellplätzen in einem schmalen Fahrweg hinter :den Geschäften, entlang der ganzen Rückseite hinter Mauern und vielleicht unter Markisen, sodaß sie die Gegend nicht :Verschandeln - ABGESCHIRMTES PARKEN (97), MARKISENDÄCHER (244). Sieh in jeder Einkaufsstraße einen MARKT MIT VIELEN GESCHÄFTEN (46) vor, aber auch WOHNEN DAZWISCHEN (48) ....

 

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031.0

... wir haben nun ein städtisches Gebiet, unterteilt in Subkulturen und Gemeinden mit den entsprechenden Grenzen. Jede Subkultur im MOSAIK AUS SUBKULTUREN (8) und jede GEMEINDE VON 7000 (12) hat als Rückgrat eine Promenade. Jede Promenade trägt zur Bildung von KNOTEN DER AKTIVITÄT (30) in ihrem Verlauf bei, indem sie jene Fußgängerfrequenz schafft, die die Aktivitätsknoten zum Überleben brauchen.

 

❖ ❖ 

 

Jede Subkultur braucht für ihr öffentliches Leben ein Zentrum: einen Ort, wo man hingehen kann, um Leute zu sehen und selbst gesehen zu werden.

Die Promenade, „paseo", „passegiata", „evening stroll", der Abendspaziergang ist in den kleinen Städten Italiens, Spaniens, Mexikos, Griechenlands, Jugoslawiens, Siziliens und Südamerikas eine feste soziale Einrichtung. Die Leute gehen dort auf und ab, um Freunde zu treffen, Fremde zu bestaunen und sich von fremden bestaunen zu lassen.

Die ganze Geschichte hindurch hat es in der Stadt Orte :gegeben, wo Menschen, die ein gemeinsames Wertsystem hatten, in Verbindung treten konnten. Diese Orte haben immer den Charakter eines Straßentheaters gehabt: sie veranlassen Leute, andere zu beobachten, umherzuschlendern, sich in Geschäften umzusehen und sich herumzutreiben:

Mexiko, auf jedem Platz einer Kleinstadt, spazieren jeden Donnerstag und Sonntagabend bei mildem Wetter zur Musik einer Kapelle die ;:Junge in der einen Richtung, die Mädchen in der anderen, immer Lieder rundherum; und die Mütter und Väter sitzen auf Schmiedeeisenbänken und schauen zu. (Ray Bradbury, „The girls walk this way; the Boys walk that way .." West, Los Angeles Times, Sunday Magaizine, 5. April 1970.)

 

Die Schönheit der Promenade an diesen Orten besteht einfach darin, daß Menschen mit einer gemeinsamen Lebensart zusammenkommen, um miteinander zu verkehren und ihre Gemeinschaft zu bestätigen.

Ist die Promenade wirklich eine rein südländische Einrichtung? Aufgrund unserer Versuche bezweifeln wir das. Freilich st diese Art des Herumschlenderns auf der Promenade in einer Stadt nicht gebräuchlich, und besonders ungebräuchlich in einem ausgebreiteten Stadtgebiet. Aber Versuche von Luis Racionero im Department of Architecture an der University of California, Berkeley, haben gezeigt, daß, wo eine solche öffentliche Kontaktmöglichkeit überhaupt besteht, die Leute sie aufsuchen werden, wenn sie nicht zu weit entfernt ist. Racionero interviewte 37 Leute in verschiedenen Stadtteilen San Franciscos, die in verschiedenen Entfernungen von einer Promenade lebten und stellte fest, daß Leute innerhalb einer Entfernung von 20 Minuten sie aufsuchten, nicht aber Leute, die weiter als 20 Minuten entfernt wohnten.

  benützen die Promenade benützen die Promenade nicht
Menschen, die weniger als 20 Minuten entfernt wohnen 13 1
Menschen, die mehr als 20 Minuten entfernt wohnen 5 18

Möglicherweise haben Menschen aus allen Kulturen ein generelles Bedürfnis nach jener Art von Begegnung, den eine Promenade bietet; aber wenn sie zu weit entfernt ist, überwiegt die Anstrengung den Einfluß des Bedürfnisses. Kurz, damit alle Menschen in einer Stadt dieses Bedürfnis befriedigen können muß es Promenaden in kurzen Abständen geben.

In welchen Abständen sollten sie genau sein? Racionero stellt 20 Minuten als Obergrenze auf, aber seine Untersuchung geht; nicht auf die Häufigkeit des Besuchs ein. Es liegt auf der Hand, daß die Leute die Promenade umso öfter benutzen werden, je näher sie ist. Wir vermuten, daß eine Promenade in einer Entfernung von 10 Minuten oder weniger häufig benutzt wer. den wird - vielleicht sogar 1 oder 2 mal in der Woche.

Die Beziehung zwischen dem Einzugsbereich der Promenade und der tatsächlichen gepflasterten Fläche der Promenade selbst ist besonders kritisch. In FUSSGÄNGERDICHTE (123) zeigen wir, daß Orte mit weniger als einer Person auf 15-30 m² gepflasterter Fläche als tot und wenig einladend empfunden werden. Man muß daher sicher sein, daß die Anzahl der Leuten, die typischerweise auf der Promenade spazieren, groß genug ist, diese Fußgängerdichte in ihrem Verlauf aufrecht zu erhalten. Wir prüfen diese Relation mit folgender Rechnung:

Ein 10-Minuten-Spaziergang entspricht etwa 500 m (50m/Miunute), was wahrscheinlich auch die richtige Länge für die Promenade selbst ist. Das heißt, daß der Einzugsbereich einer Promenade ungefähr diese Form hat:

Eine Muster Sprache 31 PROMENADE

Diese Fläche umfaßt etwa 130ha. Wenn wir eine durchschnittliche Dichte von 125 Einwohnern/ha annehmen, dann enthält das Gebiet etwa 16.000 Menschen. Wenn ein Fünftel dieser Bevölkerung die Promenade einmal in der Woche während einer Stunde zwischen 18.00 Uhr und 22.00 Uhr benützt, dann gibt es zu jedem beliebigen Zeitpunkt in diesem Zeitabschnitt etwa 100 Menschen auf der Promenade. Wenn sie 500 m lang ist, kann sie also — bei 30 m²/Person — höchstens 6 m breit sein. Besser wäre es, wenn sie nicht viel über 3 m breit wäre. Das wäre gerade noch machbar.

Wir sehen also, daß eine 500 m lange Promenade mit dem angegebenen Einzugsbereich und der angegebenen Bevölkerungsdichte eine lebendige Dichte und Aktivität aufrechterhalten könnte, wenn sie nicht breiter als etwa 6 m ist. Wir betonen nochmals, daß eine Promenade nicht funktioniert, wenn die Fußgängerdichte nicht ausreicht, und daß eine Berechnung dieser Art immer gemacht werden muß, um ihre Ausführbarkeit zu überprüfen.

Die genannten Zahlen gelten bloß als Beispiele. Sie geben eine grobe Größenordnung für Promenaden und deren Einzugsbereiche an. Wir haben aber schon gelungene Promenaden für eine Bevölkerung von 2000 (ein Fischerdorf in Peru) und für 2 Millionen (Las Ramblas in Barcelona) gesehen. Beide funktionieren, obwohl ihr Charakter ganz verschieden ist. Die kleine mit ihrem Einzugsbereich von 2000 funktioniert, weil die kulturelle Verankerung des „paseo" dort so stark ist, daß ihn ein höherer Prozentsatz der Bewohner öfter verwendet. Auch die Dichte der Menschen auf der Promenade ist geringer als wir annehmen würden — sie ist so schön, daß die Leute sie auch genießen, wenn sie nicht überfüllt ist. Die große mit dem Einzugsbereich von 2 Millionen funktioniert als Veranstaltung der ganzen Stadt. Die Leute sind bereit, weit zu fahren — vielleicht kommen sie nicht so oft, aber wenn doch, so ist es die Fahrt wert. Die Promenade ist erregend, dicht gedrängt, wimmelnd von Menschen.

Wir stellen uns das Muster der Promenaden in einer Stadt genau in dieser Vielfalt vor — in einer Spannweite, die von kleinen örtlichen Promenaden für 2000 Menschen bis zu großen konzentrierten für die ganze Stadt reicht —, jede mit anderem Charakter und anderer Aktionsdichte.

Was macht schließlich eine gelungene Promenade aus? Da die Leute kommen, um Leute zu sehen und um gesehen zu werden, braucht eine Promenade eine hohe Fußgängerdichte. Sie muß also mit Orten in Verbindung stehen, die an sich schon Leute anziehen, etwa Gruppen von kleinen Geschäften und Gastlokalen.

 

031.1

Eine Promenade in Paris.

 

Außerdem gehen die Leute leichter spazieren, wenn sie ein „Ziel" haben, auch wenn der wirkliche Grund mehr im Sehen und Gesehenwerden liegt. Dieses Ziel kann ein wirkliches sein, wie eine Imbißstube oder ein Cafe oder ein irgendwie vorgestelltes, „gehen wir um den Block". Die Promenade muß jedenfalls ein starkes Ziel darstellen.

Es ist auch wichtig, daß man zwischen den wichtigsten Punkten entlang der Promenade nicht zu weit gehen muß. Aus zwanglosen Beobachtungen schließen wir, daß ein Punkt, der mehr als 50 m vorn Geschehen entfernt ist, uninteressant wird. Kurz, gute Promenaden sind Teil eines Weges durch die aktivsten Punkte einer Gemeinde; sie sind geeignete Zielpunkte für .einen Abendspaziergang; dieser Spaziergang ist nicht zu lang und nirgends öde: keine Stelle des Weges ist weiter als 50 m vom Geschehen entfernt.

Verschiedene Einrichtungen können als Ziele entlang der Promenade funktionieren: Eisdielen, Imbißstuben, Kirchen, öffentliche Gärten, Kinos, Bars, Ballspielplätze. Ihre Anziehungskraft hängt davon ab, inwieweit sie Leute zum Bleiben veranlassen können: Erweiterungen des Weges, Schatten von Bäumen, Mauern zum Anlehnen, Stiegen, Nischen und Bänke zum Sitzen, die Öffnung der Front für ein Straßencafe, Schaustellung von Vorgängen oder Waren, wo Leute gerne herumstehen.

 

Daraus folgt:

Fördere im Inneren der Gemeinde die schrittweise Entstehung einer Promenade, die die Hauptknoten der Aktivität verbindet und so liegt, daß sie in 10 Minuten Fußweg von jedem Punkt der Gemeinde erreichbar ist. Leg Hauptattraktionspunkte an die beiden Enden, um eine ständige Hin- und Her-Bewegung aufrechtzuerhalten.

Eine Muster Sprache 31 PROMENADE 1

 

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Egal, wie lang die Promenade ist, es müssen genug Leute kommen, um sie mit dichter Aktivität zu füllen. Dies kann nach der Formel von FUSSGÄNGERDICHTE (123) genau berechnet werden. Ein Hauptmerkmal der Promenade sind Aktivitätskonzentrationen entlang ihrer Ausdehnung - KNOTEN DER AKTIVITÄT (30); einige davon werden natürlich auch nachts offen sein - NACHTLEBEN (33); irgendwo an der Promenade wird eine Konzentration von Geschäften sein - EINKAUFSSTRASSE (32). Zu sehr großen Promenaden wird auch der VERGNÜGUNGSPARK (58) und TANZEN AUF DER STRASSE (63) passen. Die baulichen Detaileigenschaften der Promenade sind in FUSSGÄNGERSTRASSE (100) und DIE FORM VON WEGEN (121) angegeben ...

 

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