191 FORM DES INNENRAUMS **

 

... durch VERSCHIEDENE RAUMHÖHEN (190) kann man sich bereits jedes Geschoß im Gebäude als eine Kaskade von Raumhöhen vorstellen, die in der Mitte, wo die größten Räume liegen, am höchsten und dort, wo die kleineren Räume liegen, niedriger wird; sie verändert sich auch von Geschoß zu Geschoß, so daß die unteren Geschosse im Durchschnitt eine eher größere Raumhöhe haben als die oberen Geschosse. Das folgende Muster beschäftigt sich nun mit jedem einzelnen Raum innerhalb dieser Kaskade und gibt ihm eine genauere Form.

 

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Die vollkommen kristallinen Quadrate und Rechtecke in der ultramodernen Architektur ergeben weder vom Standpunkt des Menschen noch dem der Konstruktion einen besonderen Sinn. Sie drücken lediglich die starren Wünsche und Phantasien von Menschen aus, die sich zu sehr um Systeme und die Methoden ihrer Produktion kümmern.

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Um diesem Wahnsinn zu entkommen, hat eine neue Denkrichtung den rechten Winkel völlig verdrängt. Viele der neuen organischen Technologien schaffen Gebäude und Räume, die mehr oder weniger wie der Mutterleib oder wie Löcher und Höhlen geformt sind.

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Aber diese biologischen Räume sind ebenso irrational, auf Bildern und Phantasien aufgebaut wie die starren Kristalle, die sie zu ersetzen versuchen. Wenn wir an den Einfluß denken, den die Menschen auf Räume ausüben, stellen wir fest, daß sie eine dazwischenliegende Gestalt haben sollten. Es gibt Gründe dafür, daß ihre Seiten mehr oder weniger gerade sein- sollten; und dafür, daß sie annähernd rechtwinklige Ecken haben sollten, wenigstens die meisten von ihnen. Aber nichts spricht dafür, daß ihre Seiten vollkommen gleich sind oder ihre Ecke absolut rechtwinklig sind. Sie brauchen nur unregelmäßige, annähernde, unvollkommene Rechtecke zu bilden.

Der Kern unserer Überlegungen ist folgender: Wir fördern, daß jeder Raum, der durch Wände als solcher festgelegt und erkennbar ist, annähernd gerade Wände haben sollte, außer wenn die Wände dick genug sind, um nach beiden Seiten konkav zu sein. Das hat einen einfachen Grund. Jede Wand hat auf beiden Seiten soziale Räume. Da ein sozialer Raum konvex ist - siehe die ausführliche Darstellung in POSITIVER AUSSENRAUM (106) - muß er entweder eine Wand haben, die konkav ist (und auf diese Weise einen konvexen Raum schafft) oder eine Wand, die vollkommen gerade ist. Aber jede „dünne" Wand, die nach einer Seite hin konkav ist, ist auf der anderen Seite konvex und bildet demnach zumindest auf einer Seite einen konkaven Raum.

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Im wesentlichen muß also jede Wand mit sozialen Räumen auf beiden Seiten gerade sein, außer dort, wo sie dick genug ist, um auf beiden Seiten konkav zu sein. Und natürlich kann eine Wand gekrümmt sein, so lange an ihrer Außenseite kein wichtiger sozialer Raum liegt. Das ist manchmal der Fall, wenn ein Eingang auf die Straße oder ein Erkerfenster in einen Teil des Gartens hinausragt, der dadurch nicht beeinträchtigt wird.

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Soviel zu den Wänden. Sie müssen meistens annähernd gerade sein. Nun zu den Winkeln zwischen den Wänden. Spitze Winkel sind fast nie geeignet, und zwar wieder aus Gründen der sozialen Einheit. Einen spitzen Winkel in einem Raum anzulegen, der funktionieren soll, ist äußerst mühsam. Da unsere Überlegungen zur Konvexität einen Winkel von mehr als 180 Grad ausschließen, müssen die Ecken des Raums fast immer einen stumpfen Winkel zwischen 80 und 180 Grad bilden. (80 Grad deshalb, weil ein paar Grad weniger als ein rechter Winkel nichts ausmachen.)

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Und noch ein Wort zu den Winkeln. Meistens fügen sich Räume so aneinander, daß annähernd rechte Winkel (sagen wir, zwischen 80 und 100 Grad) am sinnvollsten erscheinen. Der Grund dafür ist ganz einfach, daß sich stumpfere Winkel gut an Ecken, wo mehrere Räume aufeinander treffen, nicht addieren. Das sind die häufigsten typischen Ecken:

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Das bedeutet, daß die Mehrzahl der Räume in einem Gebäude im Grundriß polygonal sein muß, mit annähernd geraden Wänden und stumpfwinkligen Ecken. In den meisten Fällen werden sie wahrscheinlich unregelmäßige, aneinandergedrückte, annähernde Recktecke bilden. In Wirklichkeit werden die Berücksichtigung des Bauplatzes und die Feinheiten des Grundrisses unweigerlich zu leicht unregelmäßigen Formen führen. Und gelegentlich können sie auch gekrümmte Wände haben - entweder wenn die Wand so dick ist, daß sie auf beiden Seiten konkav ist, oder im Fall einer Außenwand, wenn außen kein wichtiger sozialer Raum liegt.

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Noch ein Punkt. Unsere Erfahrungen haben eine noch radikalere Version dieses Musters mit sich gebracht — welche auch die Form der Decken einschränkt. Genauer gesagt, glauben wir, daß sich Menschen in Räumen wie diesen unbehaglich fühlen:

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Wir können über die möglichen Gründe für dieses Unbehagen nur Vermutungen anstellen. Es ist durchaus möglich, daß es auf dem Bedürfnis eines Menschen beruht, von einer sphärischen Luftblase umgeben zu sein, die in etwa der menschlichen Achse entspricht. Raumformen, die ungefähr dieser Luftblase entsprechen, sind behaglich, jene, die stark davon abweichen, unbehaglich. Vielleicht fühlen wir uns nicht ganz wie Personen, wenn sich der Raum uni uns herum zu stark von der imaginären sozialen Luftblase unterscheidet.

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Eine Decke, die flach ist oder in einer oder zwei Richtungen gewölbt, hat die nötige Beschaffenheit. Eine Decke, die auf eine Seite hin geneigt ist, hat sie nicht. Wir möchten aber betonen, daß diese Mutmaßung nicht als Argument für starre, simple oder streng symmetrische Räume gedacht ist. Wir sprechen uns lediglich gegen eher abnormale Räume mit einseitig geneigten Decken, hohen, spitz zulaufenden Decken, seltsamen Ausbuchtungen in den Raum hinein und einspringende Winkel an der Wand aus.

 

Daraus folgt:

Abgesehen von gelegentlichen Ausnahmen mach je. den Innenraum oder jeden Teil eines Raums grob rechteckig, mit annähernd geraden Wänden, im großen und ganzen rechten Winkeln in den Ecken und einem annähernd symmetrischen Gewölbe über jedem Raum.

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Man kann den Raum mit einem Pfeiler an jeder Ecke begrenzen - PFEILER IN DEN ECKEN (212); und die Gestalt der Decke kann sich durch das Deckengewölbe genau ergeben - ANLAGE DER GESCHOSSDECKEN (210), GEWÖLBEDECKEN (219). Vermeid gekrümmte Wände, außer wo sie unbedingt notwendig sind - WANDSCHALEN (218). Wo Wände mit gelegentlichen Krümmungen wie einem Erkerfenster nach außen vorspringen, leg sie so an, daß sie zu einem POSITIVEN AUSSENRAUM (106) beitragen. Mach zwischen den Zimmern großzügige, tiefe Wände - DICKE WÄNDE (197), SCHRÄNKE ZWISCHEN RÄUMEN (198); und wo es geeignet erscheint, mach DURCHBROCHENE WÄNDE (193). Was die Muster der tragenden Konstruktion, der Technik und des Baus betrifft, fang bei DIE KONSTRUKTION FOLGT DEN SOZIALEN RÄUMEN (205) an ...

 

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