193 DURCHBROCHENE WAND *
... DIE FORM DES INNENRAUMS (191) bestimmt die Gestalt der größeren und kleineren Räume. Das folgende Muster beschäftigt sich nun eingehender mit den Wänden zwischen diesen zimmern. Wo immer HALBPRIVATE BÜROS (152), ZWEI-METERBALKONS (167), NISCHEN (179), RUNDE SITZPLÄTZE (185), BETTNISCHEN (188), PASSAGEN DURCHS GEBÄUDE (101), ARKADEN (119) oder das Muster VON RAUM ZU RAUM (131) vorkommen, muß man den Räumen ein ausgewogenes Verhältnis von Umschließung und Öffnung geben, indem man die Wände teilweise durchbricht oder halboffen läßt.
❖ ❖ ❖
Räume, die allzu geschlossen sind, verhindern den natürlichen Fluß sozialer Vorgänge und den natürlichen Übergang von einem sozialen Moment zum ändern. Und Räume, die zu offen sind, können die für das soziale Leben erforderliche Differenzierung zwischen Ereignissen nicht unterstützen.
Ein zur Gänze von vier Wänden umgebener Raum beispielsweise eignet sich natürlich für Aktivitäten, die sich von jenen im nächsten Räum stark unterscheiden. In diesem Sinn funktioniert er ausgezeichnet. Aber es ist für andere Leute sehr schwer; sich auf natürliche Weise diesen Aktivitäten anzuschließen oder sie wieder zu verlassen. Das ist nur möglich, wenn die Tür verglast ist oder wenn die Wand ein Fenster oder eine Öffnung hat, sodaß Leute sich allmählich einmischen können, beispielsweise während einer Gesprächspause, und ganz natürlich Teil des Geschehens werden.
Ein offener Bereich ohne Wände ringsherum, nur durch einen Teppich und eine Gruppe von Sesseln erkennbar und sonst zu den ihn umgebenden Räumen hin offen, wirkt andererseits so ungeschützt, daß sich die Leute da nie wirklich wohlfühlen.
Hier kann sich keine Aktivität entwickeln, weil er zu ausgesetzt ist; und deshalb finden dort eher banale Tätigkeiten statt - man trinkt einen Schluck, liest die Zeitung, sieht fern, schaut dem Fenster, „sitzt herum": angeregte Gespräche, Diskussionen, Auseinandersetzungen oder Leute, die irgend etwas anfertigen, malen, Karten spielen oder sonst ein Gesellschaftsspiel oder auch jemanden, der Geige übt, wird man dort nicht vorfinden. Auf solche differenzierten Aktivitäten lassen sich die Leute ein, wenn ein gewisses Maß an Umschließung da zumindest eine halbe Wand, ein Geländer, Pfeiler, irgendeine Abtrennung von den anschließenden Räumen.
Kurz gesagt, erfordert der subtile Konflikt zwischen. Offenheit und Geschlossenheit einen Ausgleich. Aber aus irgendeinem Grund führen die modernen Raumvorstellungen immer zu den beiden Extremen und so gut wie nie zur erforderlichen Ausgewogenheit.
Die Art von Raum, die sowohl die Differenzierung der Aktivität als auch den Übergang zwischen verschiedenen Aktivitäten am besten ermöglicht, ist weniger umschlossen. als ein richtiges Zimmer, und mehr umschlossen - weit mehr - als ein Bereich in einem offenen Grundriß.
Eine halb offene, halb geschlossene Wand - ein Bogen, eine Pergola, eine hüfthohe Wand mit verzierten Pfeilern, eine Wand, die durch eine verkleinerte Öffnung oder größere Pfeiler, an den Ecken angedeutet wird, eine Pfeilerreihe - all das hilft, eine Ausgewogenheit zwischen Umschließung und Öffnung herzustellen; und als Folge fühlen sich die Menschen an diesen Orten wohl.
Beispiele.
Aus ABGRENZUNG DES ARBEITSPLATZES (183) wissen wir zum Teil wie viel Umschließung erforderlich ist. Wir stellten dort fest daß sich eine Person wohlfühlt, wenn sie ungefähr „zur Hälfte" umschlossen ist — wenn sie etwa auf zwei Seiten von etwas umgeben ist oder wenn die vier Seiten um sie herum halb offen und halb geschlossen sind.
Wir nehmen demnach an, daß eine halboffene Wand zu DO Prozent durchbrochen sein sollte. Das heißt nicht, daß es ein Gitter sein muß. Auch eine Kombination von dicken Pfeilern, tiefen Balken, bogenförmigen Öffnungen stellt diese Ausgewogenheit zwischen Öffnung und Umschließung her. Ein Geländer ist zu offen. Aber eine Balustrade mit dicken Pfeilern ist oft genau richtig.
Das gilt vor allem für Zimmer im Freien und Balkone; und in gleichem Maße auch für alle Innenräume, die mit größeren Räumen verbunden, aber teilweise von ihnen getrennt sind — eine Nische, eine Stelle zum Arbeiten, eine Küche, ein Bett. In all diesen Fällen muß die Wand, die die Umschließung bildet und den kleineren Raum vom größeren trennt, teilweise offen und teilweise geschlossen sein.
Wir haben bei vielen unserer Freunde und bei uns selbst festgestellt, daß der Wunsch, ein Haus umzubauen, praktisch identisch ist mit dem Wunsch, zwischen verschiedenen Teilen des Hauses durchbrochene Wände zu schaffen. Offenbar wollen .die Leute, ohne dieses Muster so zu formulieren, instinktiv einen Raum „öffnen"; oder einen anderen Raum „mehr abschließen".
Daraus folgt:
Pass die Wände, Öffnungen und Fenster jedes Innenraums an, bis ein ausgewogenes Verhältnis von offenem, fließendem Raum und geschlossenem, zellenartigen Raum hergestellt ist. Geh nicht davon aus, daß jeder Raum ein Zimmer ist; aber auch nicht davon, daß alle Räume ineinander fließen müssen. Das richtige Verhältnis liegt immer zwischen diesen beiden Extremen: kein völlig geschlossener und kein völlig in andere übergehender Raum. Kombiniere Pfeiler, durchbrochene Wände, Veranden, Innenfenster, Schiebetüren, niedrige Brüstungen, Glastüren, Sitzmauern und so weiter, damit sich das richtige Verhältnis ergibt.
❖ ❖ ❖
Bau überall dort, wo ein kleinerer Raum in einem größeren liegt und dennoch teilweise von diesem getrennt ist, eine halb offene und halb geschlossene Wand dazwischen — NISCHEN (179), ABGRENZUNG DES ARBEITSPLATZES (183). Leg sowohl die Umschließungen als auch die Öffnungen jeweils in unmittelbarer Nähe voneinander an, so daß es im wesentlichen viele kleine Öffnungen gibt, jede umrahmt von Pfeilern, hüfthohen Regalen, tiefen Leibungen und Bögen oder Streben in den Ecken und Ornamenten an jenen Stellen, wo Umschließung und Öffnung aufeinandertreffen — FENSTER IM INNERN (194), PFEILER IN DEN ECKEN (212), DER PLATZ AM PFEILER (226), SICHTBARE AUSSTEIFUNG (227), KLEINE SCHEIBENTEILUNG (239), ORNAMENT (249) ...
< Zurück zu 192 | Weiter zu 194 > |