163 ZIMMER IM FREIEN **
... jedes Gebäude hat Räume, in denen sich die Leute aufhalten, in denen sie leben und und ihre Zeit mit den Anderen verbringen — GEMEINSCHAFTSBEREICHE IN DER MITTE (129), WOHNKÜCHE (139), MEHRERE SITZPLÄTZE (142). Wenn es irgendwie geht, müssen diese Räume durch ein weiteres „Zimmer" im Freien bereichert werden. Dieses Zimmer im Freien trägt zu einem Teil auch zur Gestaltung von ÖFFENTLICHEM ZIMMER IM FREIEN (69), HALBVERSTECKTEM GARTEN (111), PRIVATTERRASSE AN DER STRASSE (140) oder SONNIGER STELLE (161) bei.
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Der Garten ist der geeignete Ort, um im Gras zu liegen, zu schaukeln, Krocket zu spielen, Blumen zu züchten oder mit dem Hund Ball zu spielen. Aber es gibt auch eine andere Art, die Zeit im Freien zu verbringen: und dieser Art kommt der Garten überhaupt nicht entgegen.
Für gewisse Stimmungen, gewisse Tageszeiten oder eine gewisse Art von Geselligkeit braucht man einen Platz, wo man essen und trinken, sich unterhalten oder die Stille genießen kann und wo man sich förmlicher gekleidet niedersetzen kann und trotzdem im Freien ist.
Man braucht ein Zimmer im Freien, und zwar im wahrsten Sinn des Wortes — einen teilweise umschlossenen Raum, im Freien zwar, aber so wie ein Zimmer gestaltet, damit sich die Leute wie in einem Zimmer verhalten, bloß mit dem zusätzlichen. Genuss von Sonne, Wind, Gerüchen, raschelnden Blättern und Grillengezirp.
Dieses Bedürfnis herrscht überall. Es ist wohl nicht übertrieben Zu sägen, daß jedes Gebäude ein angeschlossenes Zimmer im Freien braucht, zwischen dem Gebäude und dem Garten; und weiters, daß viele der besonderen Plätze in einem Garten — sonnige Stellen, Terrassen, Lauben — ebenfalls als Zimmer im Freien gestaltet werden sollten.
Die Anregung zu diesem Muster stammt aus dem Kapitel „The Conditioned Outdoor Room" in Bernard Rudofskys Buch Befund the Picture Window (New York: Oxford Press, 1955).
In einem richtig angelegten Hausgarten sollte man arbeiten schlafen, kochen und essen, spielen und faulenzen können. Für ständig auf Innenräume beschränkten Menschen klingt das zweifelsohne großartig und muss naher erklärt werden.
Für gewöhnlich machen die Menschen in unserem Klima-Ausflüge in ihre unmittelbare Umgebung. Ihr weitest entfernter Vorposten ist die überdachte Veranda. Der Garten - sofern es einen gibt - bleibt bis auf Gartenfeste unbenutzt. Wenn die Leute vom Außenraum sprechen, meinen sie in Wirklichkeit selten den Garten. Sie betrachten den Garten nicht als einen möglichen Lebensraum... So wie das Empfangszimmer unserer Großmutter muss der Garten übertrieben gepflegt sein. Er ist nicht als Ort zum Wohnen gedacht. Das ist besonders ungewöhnlich für ein Zeitalter, dem Nützlichkeit über alles geht. Es mag paradox klingen, aber die in den vergangenen Jahren immer häufiger verwendeten Glaswände haben den Garten verfremdet. Selbst das „Panoramafenster", wie die häusliche Version des Schaufensters genannt wird, hat zur Entfremdung zwischen drinnen und draußen beigetragen; der Garten ist etwas zum Anschauen geworden.
Dabei verstand man unter einem Hausgarten ursprünglich etwas völlig anderes. Hausgärten wurden jahrhundertelang vor allem wegen ihrer wohnlichen und privaten Atmosphäre geschätzt, zwei Eigenschaften, die den Gärten unserer Zeit völlig fehlen. Die heute so wenig gefragte Privatsphäre war Menschen mit einem Sinn für würdevolle Leben damals unentbehrlich. Die Hausgärten der Antike liefern uns sogar in ihrem heute fragmentarischen, verfallenen Zustand wunderbare Beispiele dafür, wie man aus einem winzigen und scheinbar unbedeutenden Stück Land mit etwas Geschick eine Oase der Freude machen kann. So winzig sie auch waren, hatten sie doch sämtliche Voraussetzungen für eine glückliche Umwelt.
Diese Gärten waren ein wesentlicher Teil des Hauses; sie waren - wohlgemerkt! - im Haus enthalten. Man kann sie am treffendsten als Zimmer ohne Decken beschreiben. Sie waren echte Wohnzimmer Freien und wurden von ihren Bewohnern auch stets als solche betrachtet. Die für Wände und Böden verwendeten Materialien in römischen Gärten waren zum Beispiel ebenso verschwenderisch wie die im Hausinneren. Die Kombination von Steinmosaiken, Marmorplatten, Stuckaturen und Wandverzierungen, angefangen von einfachsten geometrischen Mustern bis hin zu kompliziertesten Wandgemälden, schuf gesteigerte Atmosphäre der inneren Gelassenheit. Als Decke diente immer der Himmel mit seinen unendlich vielfältigen Stimmungen (5.157-159)
Ein Außenraum wird dann zu einem besonderen Zimmer im Freien, wenn er von den Mauern des Gebäudes, von laubüberwachsenen Mauern, Pfeilern, Lauben und dem Himmel gut umschlossen ist; und wenn dieses Zimmer mit dem Innenraum praktisch eine fortlaufende Wohnfläche bildet.
Hier sind einige Beispiele für Zimmer im Freien. Jedes weist'eine andere Kombination von Elementen auf, um eine umschlossene Einheit zu schaffen; jedes ist auf eine leicht unterschiedliche Art mit dem Haus verbunden. Rudofsky führt in dem zitierten Buch viele andere Beispiele an. Er beschreibt zum Beispiel, wie man eine Rasenfläche vor dem Haus zu einem Zimmer im Freien umbauen kann.
Zwei Zimmer im Freien.
Zum Schluss noch eine Anmerkung. Da es ein anderes Muster mit ähnlichem Namen gibt - ÖFFENTLICHES ZIMMER IM FREIEN (69), möchten wir auf folgenden Unterschied hinweisen: In einem gewissen Sinn handelt es sich bei diesen zwei Mustern um Gegensätze. Das ZIMMER IM FREIEN ist von Mauern umgeben und nur zum Teil überdacht, während das ÖFFENTLICHE ZIMMER IM FREIEN zwar ein Dach, aber im wesentlichen keine Mauern hat.
Daraus folgt:
Bau einen Platz im Freien, der so umschlossen ist, daß man sich wie in einem Zimmer fühlt, obwohl er nach oben hin offen ist. Begrenz ihn zu diesem Zweck an den Ecken mit Pfeilern, überdach ihn vielleicht teilweise mit einer Pergola oder einer einziehbaren Markise, und schaff „Wände" rundherum, aus Zäunen, Sitzmauern, Gittern, Hecken oder den Außenwänden des Gebäudes selbst.
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Das Zimmer im Freien enthält meist freistehende' Pfeiler - DER PLATZ AM PFEILER (226) -, Mauern - GARTENMAUER (173) niedrige SITZMAUERN (243), vielleicht eine Pergola - LAUBEN-WEG (174) - oder eine durchsichtige Markise - MARKISENDÄCHER (244) - und eine Bodenfläche, die sich für die VERBINDUNG ZUM BODEN (168) eignet. Was die Konstruktion betrifft, fang wie bei jedem Zimmer bei DIE FORM DES INNENRAUMS (191) und DIE KONSTRUKTION FOLGT DEN SOZIALEN RÄUMEN (205) an ...
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