EINE MUSTER-SPRACHE

STÄDTE - GEBÄUDE - KONSTRUKTION

Christopher Alexander, Sara Ishikawa, Murray Silverstein

mit Max Jacobson, Ingrid F. King, Shlomo Angel 

Für Verbreitung, Schulung und Ergänzung digitalisiert von:
THE PATTERN COMMUNITY - Institut zur Förderung menschengerechter Dörfer, Städte und Regionen

STÄDTE

Wir beginnen mit jenem Teil der Sprache, durch den eine Stadt oder Gemeinde definiert wird. Diese Muster können keinesfalls mit einem Schlag "entworfen" oder "gebaut" werden - nur geduldige und schrittweise Entwicklung, daraufhin angelegt, daß jede individuelle Maßnahme zur Entstehung dieser größeren, umfassenden Muster beiträgt, wird langsam und sicher über Jahre ein Gemeinwesen herbeiführen, das diese umfassenden Muster enthält. geduldige und schrittweise Entwicklung, daraufhin angelegt, daß jede individuelle Maßnahme zur Entstehung dieser größeren, umfassenden Muster beiträgt, wird langsam und sicher über Jahre ein Gemeinwesen herbeiführen, das diese umfassenden Muster enthält. 

GEBÄUDE

Hier werden die übergeordneten Muster ergänzt, die eine Stadt oder eine Gemeinde definieren. Wir beginnen jetzt jenen Teil der Sprache, die Gebäudegruppen und Einzelgebäuden ihre Form gibt, dreidimensional auf dem Grundstück. Das sind die Muster, die "entworfen" oder "gebaut" werden können - die Muster, die die einzelnen Gebäude und den Raum zwischen Gebäuden definieren. Zum ersten Mal behandeln wir Muster,die innerhalb der Kontrolle von Einzelpersonen oder kleinen Personengruppen liegen, die diese Muster in einem Zug realisieren können.

 

KONSTRUKTION

In dieser Phase haben wir einen vollständigen Entwurf für ein einzelnes Gebäude. Wenn die gegebenen Muster befolgt wurden,so hat man ein Schema der Räume, sei es mit Stecken auf dem Boden markiert oder auf einem Stück Papier - etwa aufeinen halben Meter genau. Man kennt die Höhe der Räume, die ungefähre Größe und Lage der Fenster und Türen, und man weiß ungefähr, wie die Dächer des Gebäudes und die Gärten anzuordnen sind.

Der nächste und letzte Teil der Sprache erklärt einem, wie man direkt aus diesem groben Raumschema ein baubares Gebäude macht, und erklärt auch im Detail, wie es zu bauen ist.

PROLOG

 

066.0

... wir haben die Erfordernisse eines kompletten Lebenszyklus und der rituellen Übergänge zwischen den Stufen dieses Zyklus beschrieben — LEBENSZYKLUS (26); wir haben auch empfohlen, daß bestimmte Abschnitte des Bodens wegen ihrer besonderen Rolle und Bedeutung ausgespart werden sollten — HEILIGE STÄTTEN (24). Das folgende Muster beschreibt im Detail die räumliche Gliederung rund um solche Orte. Diese Gliederung ist so wirksam, daß sie bis zu einem gewissen Grad selbst die Heiligkeit solcher Stätten erzeugen und vielleicht sogar das langsame Entstehen von Riten fördern kann. 

 

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Was ist eine Kirche oder ein Tempel? Natürlich ein Ort der Anbetung, des Geistes, der Kontemplation; aber vor allem ist es — für den einzelnen Menschen — ein Durchgang. Ein Mensch kommt in die Welt durch die Kirche. Er verläßt sie durch die Kirche. Und er überschreitet jede wichtige Schwelle seines Lebens wieder in der Kirche.

 

Die Geburt, Geschlechtsreife, Heirat und Tod begleitenden Riten sind grundlegend für die menschliche Entwicklung. Wenn diese Riten nicht das erforderliche emotionale Gewicht erhalten, kann ein Mann oder eine Frau nicht gründlich von einer Lebensstufe zur anderen weitergehen.

In allen traditionellen Gesellschaften, wo diese Riten eine nachdrückliche und respektierte Rolle spielen, beruhen sie in der einen oder anderen Form auf Elementen der baulichen Umwelt, die den Charakter von Durchgängen haben. Sicher kann ein Tor oder ein Durchgang nicht aus sich selbst einen Ritus erzeugen. Aber man kann sagen, daß die Riten nicht in einer Umwelt entstehen können, die sie ausdrücklich ignoriert oder trivialisiert. Ein Krankenhaus ist kein Ort für eine Taufe; in einem Beerdigungsinstitut kann man unmöglich die Bedeutung eines Begräbnisses empfinden.

Funktionell ausgedrückt, ist es wesentlich, daß jede Person Gelegenheit hat, mit ihren Genossen in eine soziale Beziehung zu treten, wenn sie oder ihre Freunde durch diese kritischen Punkte ihres Lebens gehen. Und diese soziale Beziehung braucht zu dieser bestimmten Zeit die Verwurzelung an einem bestimmten Ort, der für diese Ereignisse eine Art von geistigem Durchgang darstellt.

Welche bauliche Form oder Organisation muß dieser „Durchgang" haben, um die Riten des Übergangs tragen zu können und jene Feierlichkeit, jenes Gefühl der Erdverbundenheit entstehen zu lassen, das den Riten ihre Bedeutung verleiht.

Natürlich wird das von Kultur zu Kultur in den Einzelheiten variieren. Was immer genau als geheiligt angesehen wird - sei es Natur, Gott, ein besonderer Ort, ein Geist, Reliquien, die Erde selbst oder eine Idee -, es nimmt in verschiedenen Kulturen verschiedene Formen an und muß von verschiedenen baulichen Umwelten getragen werden.

Wir glauben aber, daß ein grundlegendes Merkmal von Kultur zu Kultur unverändert bleibt. Es scheint, daß das Heilige, was immer es ist, nur als heilig empfunden wird, wenn es schwer zu erreichen ist, wenn es Schichten des Zugangs erfordert, Wartezeiten, Ebenen der Annäherung, allmähliches Enthüllen, allmähliches Offenbaren, Durchgang durch eine Reihe von Orten. Es gibt viele Beispiele dafür: die Verbotene Stadt in Peking; die Tatsache, daß jeder, der vom Papst in Audienz empfangen wird, in jedem der sieben Wartezimmer warten muß; die aztekischen Stufenpyramiden, auf denen die Opfer stattfanden, jede Stufe näher dem Opfer; der Iseschrein, der berühmteste Schrein in Japan - ein Netz von Bezirken, jeder innerhalb des anderen.

Eine Muster Sprache 66 GEHEILIGTER BODEN

Selbst in einer normalen christlichen Kirche geht man zuerst durch den Kirchhof, dann durch das Schiff; dann, bei besonderen Anlässen, zum Chor hinter dem Altargitter, und nur der Priester selbst darf zum Tabernakel. Die Hostie ist durch fünf Schichten, deren Zugang immer schwieriger wird, abgeschirmt.

Diese Schichtung oder Schachtelung von Bezirken entspricht anscheinend einem grundlegenden Aspekt menschlicher Psychologie. Nach unserer Meinung braucht jede Gemeinschaft, unabhängig von ihrem besonderen Glauben, unabhängig davon, ob sie überhaupt einen Glauben in einem organisierten Sinne hat, einen Ort, wo dieses Gefühl eines langsamen, gestaffelten Zugangs durch Tore zu einem heiligen Zentrum erlebt werden kann. Wenn ein solcher Ort existiert, auch wenn er nicht mit einer bestimmten Religion verbunden ist, wird nach unserer Meinung das Gefühl der Heiligkeit in der einen oder anderen Form unter den Menschen, die diese Erfahrung teilen, allmählich erwachen.

 

Daraus folgt:

Zeichne in jeder Gemeinde und Nachbarschaft eine bestimmte heilige Stätte als geweihten Boden aus. Bilde eine Reihe ineinander verschachtelter Bezirke, jeder durch einen Durchgang markiert, jeder in der Folge intimer und heiliger als der vorangegangene, der innerste als letztes Heiligtum, das nur erreicht werden kann, indem man alle äußeren durchschritten hat.

Eine Muster Sprache 66 GEHEILIGTER BODEN 1

 

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Bau ein Tor an jeder Schwelle zwischen Bezirken - HAUPTTORE (53); bei jedem Tor eine Stelle, wo man innehalten und einen Blick weiter nach innen werfen kann - DIE AUSSICHT DES MÖNCHS (134); und im innersten Heiligtum etwas sehr Stilles, etwas, das inspirieren kann - vielleicht eine Aussicht oder bloß ein einfacher Baum oder Teich - TEICHE UND BÄCHE (64), PLÄTZE UNTER BÄUMEN (171) ...

 

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... sowohl die Geburt als auch der Tod müssen überall in der Gesellschaft, wo überhaupt Menschen sind, als wesentliche Elemente des Gemeinder und Nachbarschaftslebens ausreichende Würdigung erfahren — GEMEINDE VON 7000 (12), IDENTIFIZIERBARE NACHBARSCHAFT (14), LEBENSZYKLUS (26). Was die Geburt betrifft, muß es in jeder Gruppe von Nachbarschaften möglich sein, die Verantwortung für den Gebärvorgang auf örtlicher, menschlicher Basis zu tragen. (Anmerkung: Die Entwicklung dieses Musters ist zum Großteil der Arbeit von Judith Shaw zu verdanken, die zum Zeitpunkt dieser Niederschrift Architekturstudentin an der University of California, Berkeley, und Mutter dreier Kinder war.) 

 

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Eine Vorgangsweise, die die Niederkunft als Krankheit behandelt, kann wohl kaum ein gesunder Bestandteil einer gesunden Gesellschaft sein.

 

„Die Schwangerschaft ist kein Notfall, aus dem die Mutter nach der Geburt hoffentlich wieder zur ,Normalität` zurückge-bracht werden kann . . Sie ist ein höchst aktiver, kraftvoller `Entwicklungsprozeß der Familie, die mit der Entbindung einen natürlichen Höhepunkt erreicht." (I. H. Pearse und L. H. Crokker, The Peckham Experiment, New Haven: Yale University Press, 1946, S. 153.)

Gegenwärtig folgt die Geburtshilfe in den meisten Krankenhäusern einem genau umrissenen Verfahren. Ein Kind zu haben wird als Krankheit betrachtet und der Spitalsaufenthalt als Genesung. Frauen vor der Entbindung werden als „Patienten" behandelt, die eine Operation vor sich haben. Sie werden keimfrei gemacht. Ihre Geschlechtsteile werden geschrubbt und rasiert. Sie werden in weiße Spitalskleidung gesteckt und auf Tischen zwischen den verschiedenen Teilen des Krankenhauses hin und hergefahren. Während der Wehen kommen sie in kleine Kojen und verbringen die Zeit praktisch ohne sozialen Kontakt. Dies kann viele Stunden dauern. Gerade in der Zeit könnten der Vater und die Kinder zur Ermutigung anwesend sein. Das wird aber nicht erlaubt. Die Entbindung findet gewöhnlich in einem Kreißsaal statt, in dem sich ein richtiger „Entbindungstisch" befindet. Abgesehen von den besonderen Funktionen des Entbindungstisches hat der Raum dieselben Eigenschaften wie ein Operationssaal. Die Geburt wird zu einem Ereignis der Trennung, statt zu einem des Zusammenseins. Es kann 12 Stunden dauern, bis die Mutter das Kind berühren darf, und wenn sie unter Medikamenteneinwirkung steht, sogar länger, bis sie ihren Mann sieht.

Seit etwa 15 Jahren gibt es eine gewisse Bewegung, die versucht, das Wesen der Geburt als natürliches Phänomen wiederzugewinnen. Es gab keinen lauten Protest gegen die Regulative der Geburtshilfe in Krankenhäusern, wohl aber einen leisen: einige gute Bücher, Mundpropaganda, interessierte Fachleute und Laien, die La Leche Liga, einige Gruppen im Land, die sich mit der Geburt, dem Stillen und der Wiedereinführung von Hebammen beschäftigten. Die ursprüngliche Stoßrichtung dieser Leute zielte auf eine „natürliche" Geburt, wobei das Wort im Hinblick auf ein Konzept verwendet wurde, die Niederkunft wieder zu einem normalen physiologischen Vorgang zu machen. In letzter Zeit hat sich der Schwerpunkt der Bestrebungen erweitert und schließt eine Änderung der Umwelt und eine positive Einbeziehung der Familie bei der Niederkunft ein. (Der architektonische Gesichtspunkt ist behandelt in Lewis Mumford, The Urban Prospect, New York: Harcourt, Brace and World, 1968, S. 25).

Wir zitieren nun aus Judith Shaws Beschreibung einer guten Geburtsstätte. Sie beschreibt einen Ort, der mit einem kleinen Pflegeheim vergleichbar ist, vielleicht in Zusammenhang mit einem örtlichen Gesundheitszentrum und mit Notfalls-Verbindungen zum örtlichen Krankenhaus:

Für das Kind wäre ein kleiner Korb vorhanden . . . Die Hebamme wäre für die Wochenbettbetreuung ständig zugegen . . . Die Hebamme wohnte dort in einem kleinen Appartement mit Schlafzimmer, Wohnküche und Bad .. .

Es gäbe einen gemeinsamen Speiseraum. Auch jedes Kind hätte einen Platz (nämlich seinen tragbaren Korb), sodaß die Mutter es mitbringen, füttern und beobachten kann . . . Das Muster WOHNKÜCHE (139) müßte eine wichtige Rolle in diesem Gebäude spielen . . . Familien könnten nicht nur zur Geburt, sondern auch zur Schwangerenvorsorge hierher kommen, Methoden der natürlichen Geburt kennenzulernen, über Kinderpflege oder überhaupt mit anderen zu sprechen und sich mit dem Ort der Niederkunft vertraut zu machen.

Das Gebärhaus sollte Platz für die ganze Familie haben. Man könnte in einem Appartement wohnen und die Mutter könnte darin das Kind zur Welt bringen . . Da die Entbindung im Familienappartement stattfindet, wären das Kind, die Mutter und die Familie unmittelbar zusammen. Jedes Appartement hätte Fließwasser und einen einfachen Tisch, auf dem das Kind liegen, gewaschen und untersucht werden kann.

 

Daraus folgt:

Bau örtliche Gebärhäuser, in denen Frauen ihre Kinder bekommen: speziell für die Geburt als ein natürliches, bedeutendes Ereignis eingerichtete Orte - die für die ganze Familie für vorgeburtliche Pflege und Unterweisung zugänglich sind; wo Väter und Hebammen während der Wehen und bei der Niederkunft helfen.

 Eine Muster Sprache 65 GEBÄRHÄUSER

 

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Nach der Geburt sollten Mutter und Kind mit den andern Familienmitgliedern zusammenbleiben können — zusammen schlafen, essen, kochen — GEMEINSCHAFTSBEREICHE IN DER MITTE (129), BEREICH DES PAARS (136), WOHNKÜCHE (139); ein teilweise privater Garten sollte benützbar ein — HALBVERSTECKTER GARTEN (111), GARTENMAUER (173); was die Form des Gebäudes, des Gartens, der Parkplätze und der Umgebung betrifft, fang bei GEBÄUDEKOMPLEX (95) an ...

 

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064.0

... kaum jemals ist das Land in seinem Naturzustand flach; ursprünglich war es überzogen mit Wasserläufen und Bächen, die das Regenwasser abführten. Es gibt keinen Grund, diese natürliche Eigenschaft des Bodens in der Stadt zu zerstören HEILIGE STÄTTEN (24), ZUGANG ZUM WASSER (25) —, es ist sogar wichtig, diese Eigenschaft zu erhalten oder wiederzuschaffen. Dabei ist es sogar möglich, bestimmte größere Muster zu vertiefen — durch Bäche können leicht Grenzen zwischen Nachbarschaften gebildet werden — NACHBARSCHAFTSGRENZE (15) -, ruhige Hinterseiten können noch ruhiger gemacht werden - RUHIGE HINTERSEITEN (59) —, Fußgängerstraßen können menschlicher und natürlicher sein — FUSSGÄNGERSTRASSE (100).

 

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Wir kommen aus dem Wasser; unser Körper besteht weitgehend aus Wasser; Wasser spielt eine grundlegende Rolle in unserer Psychologie. Wir brauchen ständigen Zugang zum Wasser, überall um uns; dazu gehört, daß wir dem Wasser in allen seinen Formen Wertschätzung entgegenbringen. Aber überall in den Städten ist das Wasser außer Reichweite.

 

Sogar in den gemäßigten, wasserreichen Klimazonen sind die natürlichen Quellen ausgetrocknet, verborgen, abgedeckt und verloren gegangen. Das Regenwasser läuft unterirdisch in Kanälen; Wasserbehälter sind überdeckt und abgezäunt; Schwimmbecken sind mit Chlor gesättigt und ebenfalls abgezäunt; Teiche sind so verschmutzt, daß niemand mehr hingehen will.

Und gerade in dichtbesiedelten Gebieten ist das Wasser knapp. Der tägliche Zugang, den wir und unsere Kinder brauchen, ist nicht möglich, wenn nicht alles Wasser, in allen seinen Erscheinungsformen, freigelegt, erhalten und aus einem zusammenhängenden örtlichen Gewebe von kleinen Becken, Teichen, Behältern und Gerinnen gespeist wird.

Die Beziehung zwischen Menschen und Wasser kann man auf verschiedenen Ebenen ausdrücken. Der Biologe L. J. Henderson stellte fest, daß der Salzgehalt des menschlichen Blut im wesentlichen derselbe wie der des Meerwassers ist, weil aus dem Wasser kommen. Elaine Morgan, eine Anthropologin, vermutet, daß wir während der Dürre des Pliozäns ins Meer :zurückkehrten und dort 10 Millionen Jahre als Meeressäugetiere in seichtem Wasser am Rande des Ozeans lebten. Offensichtlich erklärt diese Hypothese viele Eigenschaften des menschlichen Körpers, vor allem, daß er weitgehend dem Wasser angepaßt ist, was anders nicht erklärbar wäre (The Descent of Woman, New York: Bantam Books, 1973).

Unter Psychoanalytikern ist es übrigens gebräuchlich, Wasserkörpern, die in Träumen auftauchen, eine Bedeutung zu geben. Jung und die Jungianer verstehen große Wasserkörper als Darstellungen des Unbewußten des Träumers. Wir vermurten sogar aufgrund psychoanalytischen Materials, daß durch den Aufenthalt im Wasser eine Person ihren unbewußten Prozessen näherkommen kann. Wir glauben, daß Menschen, die oft in Bädern, Seen oder im Meer schwimmen und tauchen, manchmal ihren Träumen näher und mehr in Kontakt mit ihrem Unbewußten sind als Menschen, die selten schwimmen. Viele Untersuchungen haben tatsächlich gezeigt, daß Wasser einen positiven therapeutischen Effekt hat; daß es Entwicklungserfahrungen bringt. (Für derartige Hinweise siehe Ruth Hartley u. a., Understanding Children's Play, Columbia University Press, New York, 1964, Kapitel V.)

Aus all dem geht hervor, daß unser Leben verarmt ist, wenn wir nicht reichen und dauernden Kontakt mit Wasser herstellen können. Aber in den meisten Städten ist das völlig unmöglich. Schwimmbecken, Seen, Strände gibt es wenige; und sie sind Weit weg. Und wie sieht die Wasserversorgung aus? Unser einziger Kontakt mit dem Wasser besteht darin, den Hahn raufzudrehen. Wir nehmen das Wasser als etwas Selbstverständliches. Aber so großartig die hochstehende Technologie der Wasseraufbereitung und -versorgung geworden ist, sie befriedigt nicht das emotionale Bedürfnis, die örtlichen Quellen zu erleben und den Kreislauf des Wassers, seine Grenzen und :sein Geheimnis zu verstehen.

Aber man kann sich eine Stadt vorstellen, wo es in der Nähe jeder Wohnung und jedes Arbeitsplatzes hunderte von Wasserstellen gibt. Wasser zum Schwimmen, Wasser, an dem man sitzen kann, wo man die Füße eintauchen kann. Nehmen wir z.B. fließendes Wasser: Bäche und Wasserläufe. Heutzutage sind sie überdeckt und unter die Erde verbannt. Anstatt mit ihnen und an ihnen zu bauen, schaffen sie die Planer einfach aus der Welt, als wollten sie sagen: „Die Launen der Natur haben im rationalen Straßennetz keinen Platz." Aber wir können durchaus so bauen, daß der Kontakt mit dem Wasser erhalten bleibt, mit Teichen und Becken, mit Behältern und mit Bächen und Wasserläufen — sogar mit dem Sammeln von Regenwasser.

Kinder brauchen seichte Teiche und Becken. Solche Teiche und Becken können in der ganzen Stadt vorhanden sein, nahe' genug, daß Kinder dorthin laufen können. Es können auch Teile größerer Becken oder Buchten von Flüssen sein, die durch die Stadt fließen, wo sich am Rand eine ausgeglichene Ökologie entwickeln kann — Teiche mit Enten und Karpfen, mit einem Ufer, das für Kinder sicher genug ist.

Oder denken wir an das System der örtlichen Wasserreservoirs. Man kann örtliche Behälter so anlegen, daß man hingehen kann; sie könnten gewissermaßen eine Art von Schrein darstellen, wo die Leute mit ihrer Wasserversorgung in Berührung kommen können; die unmittelbare Umgebung könnte eine kontemplative Atmosphäre haben. Diese „Schreine" könnten im öffentlichen Raum liegen: vielleicht am Ende einer Promenade oder als ein Grenzstreifen öffentlichen Landes zwischen zwei Gemeinden. 

 

064.1

Indischer Brunnen mit Stufen.

 

Oder denken wir an all die möglichen Formen fließenden.. Wassers. Menschen, denen es in ihrer täglichen Umgebung fehlt, fahren weit aus ihren Städten aufs Land, wo sie ein Gewässer fließen sehen, wo sie bei einem Fluß sitzen und das Wasser betrachten können. Kinder sind fasziniert von fließendem Wasser. Sie benützen es ständig, spielen darin, Werfen Holzstäbe hinein und schauen, wie sie verschwinden, lassen Papierschiffchen treiben, rühren den Schlamm auf und beobachten, wie es wieder klar wird.

Natürliche Wasserläufe können in ihrem ursprünglichen Bett zusammen mit der umgebenden Vegetation geschützt und aufrechterhalten werden. Regenwasser von den Dächern kann in kleinen Becken gesammelt und neben privaten und öffentlichen Fußwegen in Kanälen geleitet werden, sodaß man es sehen und genießen kann. Auf öffentlichen Plätzen kann man Springbrunnen bauen. Und in Städten, wo Wasserläufe vergraben worden sind, könnte es sogar möglich sein, sie wieder ans Tageslicht zu bringen.

Eine Muster Sprache 64 TEICHE UND BÄCHE

Insgesamt schlagen wir vor, daß jedes Bauprojekt, egal welchen Maßstabs, eine Bestandsaufnahme der Wasserversorgung und des Zugangs zum Wasser in seiner Umgebung vornimmt. Wo es daran fehlt, wo es keinen lebendigen Kontakt mit dem Wasser gibt, sollte jedes Projekt es unternehmen, für sich und im Zusammenwirken mit anderen Projekten, Wasser in die Umwelt zu bringen. Auf andere Weise wird es nicht möglich sein, in Städten eine geeignete Verteilung von Wasser zu erreichen.: wir brauchen Schwimm- und Zierbecken, natürliche Teiche, Regenwasserläufe, Springbrunnen, Wasserfälle, natürliche durch die Stadt laufende Bäche und Flüsse, kleine Gartenbecken und Wasserbehälter, die wir sehen und erkennen können.

 

Daraus folgt:

Schütz natürliche Gewässer und belaß sie in der Stadt; bau Wege und Stege, damit die Menschen entlang des Ufers gehen und sie überqueren können. Laß die Wasserläufe natürliche Barrieren in der Stadt bilden, die vom Verkehr nur an bestimmten Stellen überbrückt werden.

Wo immer es möglich ist, sammle das Regenwasser in offenen Läufen und laß es sichtbar entlang von Wegen und vor den Häusern vorbeifließen. Wo es kein natürliches fließendes Wasser gibt, errichte Springbrunnen auf der Straße.

 Eine Muster Sprache 64 TEICHE UND BÄCHE 1

 

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Wenn irgend möglich, sollten alle Becken und Schwimmgelegenheiten Teile des fließenden Wassers sein - nicht von ihm getrennt; dies ist der einzige Weg, die Becken ohne Begleiterscheinungen von Pumpen und Chlor lebendig und sauber zu halten - STEHENDES WASSER (71). Da und dort sollte die unmittelbare Umgebung des Wassers eine kontemplative Atmosphäre haben; vielleicht durch Arkaden, vielleicht durch bestimmte Eigenschaften des Orts, vielleicht am Ende einer Promenade PROMENADE (31), GEHEILIGTER BODEN (66), ARKADEN (119). ...

 

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063.0

... Grundlagen für abendliches Freizeitverhalten in der Öffentlichkeit finden sich in mehreren Mustern — DER ZAUBER DER STADT (10), PROMENADE (31), NACHTLEBEN (33), VERGNÜGUNGSPARK (58), KLEINE PLÄTZE (61). Um diese Orte nachts zu beleben, gibt es nichts geeigneteres als Musik und Tanz; das folgende Muster legt einfach die baulichen Bedingungen dar, die einen Anreiz für Tanz und Musik in den Straßen bilden.

 

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Warum tanzen die Menschen heutzutage nicht auf den Straßen?

 

Auf der ganzen Welt haben die Menschen einst auf den Straßen getanzt; auf dem Theater, in Liedern, in der Umgangssprache ist „Tanzen auf der Straße" ein Bild höchster Freude. In vielen Kulturen gibt es immer noch eine Spielart dieses Vorgangs. Balinesische Tänzer geraten in Ekstase, während sie auf der Straße herumwirbeln; die Mariachi-Orchester in Mexiko — jede Stadt hat mehrere Plätze, wo die Orchester spielen und die Bewohner zum Tanzen herauskommen; es gibt die europäische und amerikanische Tradition von Musikpavillons im Park; es gibt die bon odori-Feier in Japan, wo jeder auf der Straße klatscht und tanzt.

Aber in den Teilen der Welt, die „modern" und technisch hochentwickelt geworden sind, ist diese Erfahrung abgestorben. Die Gemeinden sind zerbrochen; die Leute fühlen sich auf den Straßen nicht wohl und fürchten sich voreinander; es gibt kaum geeignete Musik; man empfindet es als peinlich.

Sicher kann eine so einfache Änderung der Umwelt, wie wir sie vorschlagen, diesen Verhältnissen nicht abhelfen. Aber ein Stimmungswechsel ist festzustellen. Die Verlegenheit und die Entfremdung sind relativ neue Entwicklungen, durch die grundlegendere Bedürfnisse blockiert werden. Und wenn wir an diese Bedürfnisse rühren, kommen Dinge in Bewegung. Die Leute können wieder tanzen; jeder nimmt ein Instrument; viele bilden kleine Bands. Während das hier geschrieben wird, gibt es in San Francisco, Berkeley und Oakland eine Kontroverse über „Straßenmusikanten" — Gruppen, die spontan angefangen haben, bei gutem Wetter auf Straßen und Plätzen zu spielen —, wo soll man ihnen das Spielen gestatten, sind sie ein Verkehrshindernis, dürfen die Leute tanzen?

Es ist dieser Zusammenhang, in dem wir dieses Muster vorschlagen. Wo immer man das Gefühl hat, daß dieser Brauch wieder entstehen soll, kann der richtige Rahmen zu seiner Verwirklichung und Verwurzelung beitragen. Die wesentlichen Elemente sind ganz einfach: eine Plattform für die Musiker, vielleicht überdeckt; rundherum ein harter Belag zum Tanzen; Möglichkeiten zum Sitzen und Anlehnen für Leute, die zuschauen und sich ausruhen wollen; Vorkehrungen für Getränke und Erfrischungen (manche mexikanischen Pavillons haben eine sehr schöne Lösung: sie bauen winzige Stände in den Sockel der Plattform, sodaß die Leute für einen Fruchtsaft oder ein Bier zwischen den Tänzern zur Musik gehen müssen); das Ganze an einem Ort, wo Leute zusammenkommen.

 

Daraus folgt:

Bau an Promenaden, auf Plätzen und Stellen, wo man am Abend hinkommt, eine etwas erhöhte Plattform als Musikpavillon, wo Straßenmusiker und örtliche Orchester spielen können. Der Pavillon sollte überdeckt sein und vielleicht auf Straßenebene kleine Erfrischungsstände haben. Rund um den Pavillon pflastere den Boden zum Tanzen — alles bei freiem Eintritt.

 Eine Muster Sprache 63 TANZEN AUF DER STRASSE

 

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Stell den Musikpavillon in eine Nische, wo etwas geschieht, an den Rand eines Platzes oder einer Promenade — AKTIVITÄTSNISCHEN (124)NISCHEN (124); mach daraus einen Raum, der durch Pfeiler und Spaliere begrenzt ist - ÖFFENTLICHES ZIMMER IM FREIEN (69); bau IMBISSSTÄNDE (93) rund um den Pavillon; fürs Tanzen vielleicht farbige Markisen, die hinaus über Teile der Straße reichen und ein großes, halboffenes Zelt bilden - MARKISENDÄCHER (244) ...

 

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