EINE MUSTER-SPRACHE

STÄDTE - GEBÄUDE - KONSTRUKTION

Christopher Alexander, Sara Ishikawa, Murray Silverstein

mit Max Jacobson, Ingrid F. King, Shlomo Angel 

Für Verbreitung, Schulung und Ergänzung digitalisiert von:
THE PATTERN COMMUNITY - Institut zur Förderung menschengerechter Dörfer, Städte und Regionen

STÄDTE

Wir beginnen mit jenem Teil der Sprache, durch den eine Stadt oder Gemeinde definiert wird. Diese Muster können keinesfalls mit einem Schlag "entworfen" oder "gebaut" werden - nur geduldige und schrittweise Entwicklung, daraufhin angelegt, daß jede individuelle Maßnahme zur Entstehung dieser größeren, umfassenden Muster beiträgt, wird langsam und sicher über Jahre ein Gemeinwesen herbeiführen, das diese umfassenden Muster enthält. geduldige und schrittweise Entwicklung, daraufhin angelegt, daß jede individuelle Maßnahme zur Entstehung dieser größeren, umfassenden Muster beiträgt, wird langsam und sicher über Jahre ein Gemeinwesen herbeiführen, das diese umfassenden Muster enthält. 

GEBÄUDE

Hier werden die übergeordneten Muster ergänzt, die eine Stadt oder eine Gemeinde definieren. Wir beginnen jetzt jenen Teil der Sprache, die Gebäudegruppen und Einzelgebäuden ihre Form gibt, dreidimensional auf dem Grundstück. Das sind die Muster, die "entworfen" oder "gebaut" werden können - die Muster, die die einzelnen Gebäude und den Raum zwischen Gebäuden definieren. Zum ersten Mal behandeln wir Muster,die innerhalb der Kontrolle von Einzelpersonen oder kleinen Personengruppen liegen, die diese Muster in einem Zug realisieren können.

 

KONSTRUKTION

In dieser Phase haben wir einen vollständigen Entwurf für ein einzelnes Gebäude. Wenn die gegebenen Muster befolgt wurden,so hat man ein Schema der Räume, sei es mit Stecken auf dem Boden markiert oder auf einem Stück Papier - etwa aufeinen halben Meter genau. Man kennt die Höhe der Räume, die ungefähre Größe und Lage der Fenster und Türen, und man weiß ungefähr, wie die Dächer des Gebäudes und die Gärten anzuordnen sind.

Der nächste und letzte Teil der Sprache erklärt einem, wie man direkt aus diesem groben Raumschema ein baubares Gebäude macht, und erklärt auch im Detail, wie es zu bauen ist.

PROLOG

 

078.0

... mehr als alle anderen müssen Haushalte mit nur einer Person Teil irgendeines größeren Haushalts sein — DIE FAMILIE (75). Bau sie entweder in einen größeren Gruppenhaushalt oder verbinde sie sogar als Nebenhäuser mit anderen gewöhnlichen Familienhaushalten, z. B. mit einem HAUS FÜR EINE KLEINFAMILIE (75) oder mit einem HAUS FÜR EIN PAAR (77).

 

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Wenn einmal ein Haushalt für eine Person Teil einer größeren Gruppe ist, entsteht als Hauptproblem das größeren Gruppe ist, entsteht als Hauptproblem das Bedürfnis nach Einfachheit.

 

Der Wohnungsmarkt bietet wenige Häuser und Wohnungen, die speziell für eine Einzelperson gebaut sind. Meistens leben Männer und Frauen, die allein leben wollen, in größeren. Häusern oder Wohnungen, die ursprünglich für zwei Personen oder für Familien gebaut wurden. Und diese größeren Objekte sind meist nicht kompakt genug, unpraktisch, machen das Leben darin schwer und sind auch schwer zu erhalten. Vor allem aber erlauben sie einer Person nicht, einen Sinn für Selbstgenügsamkeit, Einfachheit, Kompaktheit und Ökonomie in ihrem Leben zu entwickeln.

Die Art von Wohnsitz, die den Bedürfnissen einer Einzelperson am nächsten kommt, ist ein Ort der größten Einfachheit, der nur das unbedingt Notwendige enthält, wie eine Pflugschar: wo jede Ecke, jeder Tisch, jedes Regal, jeder Blumentopf, jeder Sessel, jedes Holzscheit entsprechend der einfachsten Not-Wendigkeit angeordnet ist und das Leben der Person unmittelbar trägt, ganz unprätentiös, mit der Harmonie der Abwesenheit alles Überflüssigen und dem Vorhandensein alles Notwendigen.

Der Grundriß eines solchen Hauses wird sich von dem an-derer Häuser deutlich unterscheiden, vor allem weil er fast keine Differenzierung des Raumes braucht: es braucht nur ein kaum zu sein. Es kann eine Hütte oder ein Atelier sein, zu _ebener Erde oder in einem größeren Gebäude, Teil eines Gruppenhaushalts oder freistehend. Im wesentlichen ist es einfach zentraler Raum mit Winkeln rundherum. Die Winkel ersetzen die Zimmer eines größeren Hauses; sie enthalten Bett, Bad Küche, Werkstatt und den Eingang.

Es ist wichtig zu verstehen, daß sehr viele Muster dieses Buchs in ein kleines Haus eingebaut werden können; Kleinheit schließt Formenreichtum nicht aus. Der Trick besteht darin, zu verdichten und zu überlagern; die Muster zu komprimieren; sie zu einfachem Ausdruck zu reduzieren; zu erreichen, daß jeder Zentimeter doppelt zählt. Wenn das gut gemacht ist, hat ein kleines Haus eine wunderbare Kontinuität — einen Topf Suppe zu kochen, füllt das Haus aus; da wird nicht herumgeklappert Wenn der Ort in Zimmer aufgeteilt ist, funktioniert das nicht.

Wir halten es für notwendig, diesem Muster besondere Aufmerksamkeit zu schenken, weil es fast unmöglich ist, ein so kleines Haus in Städten zu bauen — man bekommt kein Grundstück, das so klein ist. Bebauungsvorschriften und Bankwesen verbieten so winzige Grundstücke; sie verhindern die Aufteilung „normaler" Grundstücke auf Größen, die ein Haus für eine Person erfordern würde. Die richtige Ausführung dieses Musters erfordert eine Änderung dieser Regelungen.

 

Daraus folgt:

Betrachte ein Haus für eine Einzelperson als einen Ort der höchsten Einfachheit: im wesentlichen eine Ein-Raum-Hütte oder ein Atelier, mit größeren und kleineren Nischen rundherum. Wenn es sehr konzentriert ist, braucht das ganze Haus nicht größer als 30 bis 40 Quadratmeter sein.

 Eine Muster Sprache 78 HAUS FÜR EINE PERSON

 

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Auch hier mach aus dem Haus ein individuelles Territorium, mit eigenem Garten, egal wie klein — DAS EIGENE HEIM (79); leg den Hauptraum im wesentlichen als Wohnküche wie in einem Bauernhaus an — WOHNKÜCHE (139) mit Nischen zum Sitzen, Arbeiten, Baden, Schlafen, Anziehen — BADERAUM (144), PLATZ AM FENSTER (180), ABGRENZUNG DES ARBEITSPLATZES (183), BETTNISCHE (188), ANKLEIDEZIMMER (189); wenn das Haus für jemand Älteren oder jemand sehr Jungen bestimmt ist, bilde es auch entsprechend den Mustern HÄUSCHEN FÜR ALTE (155) oder ASCHEN FÜR TEENAGER (154) aus. ...

 

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077.0

... wieder ist im Idealfall jedes Paar Teil eines größeren Gruppenhaushalts - DIE FAMILIE (75). Wenn das nicht so sein kann, :versuch das Haus für das Paar so zu bauen, daß es mit anderen Haushalten verbunden ist, um den Ansatz eines Gruppenhaushalts zu bilden oder, wenn das mißlingt, zumindest den einer HAUSGRUPPE (37)

 

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Das wichtigste Problem, das in einem kleinen Zwei-Personen-Haushalt auftreten kann, ist die Gefahr, daß der einzelne zuwenig Gelegenheit zum Alleinsein und zuwenig Privatheit hat.

 

Bedenke folgende Aspekte:

  1. Natürlich braucht das Paar einen gemeinsamen Bereich, wo sie beisammen sind, wo sie Freunde einladen oder zusammen allein sein können. Dieser Bereich muß aus Funktionen bestehen, die ihnen gemeinsam sind.
  2. Andererseits versucht aber jeder Partner, eine Individualität-aufrecht zu erhalten und nicht in der Identität des anderen oder in der Identität des „Paars" aufzugehen. Jeder Partner braucht Raum zum Erleben dieses Bedürfnisses.

Es ist daher wichtig, daß ein kleines Haus als Ort konzipiert Wird, wo die beiden zusammen sein können, wo aber jeder von einen von Zeit zu Zeit in Behaglichkeit und Würde allein sein kann - und zwar so, daß der andere sich nicht ausgeschlossen oder isoliert fühlt. Dafür muß es zwei kleine Stellen geben vielleicht Räume, vielleicht große Nischen, vielleicht eine durch eine halbhohe Wand abgeschirmte Ecke - Stellen, die eindeutig als.private Territorien verstanden werden, wo jede Person für sich bleiben und ihren eigenen Tätigkeiten nachgehen kann.

Trotz allem ist das Gleichgewicht der Privatheit im Leben eines Paars ein heikles Problem. Sogar bei einem kleinen eigenen.Platz, der nur lose mit dem Haus verbunden ist, kann sich ein. Partner in bestimmten Momenten ausgeschlossen fühlen. Wenn wir auch glauben, daß unsere Lösung in diesem Muster dabei hilft, ist das Problem nicht ganz aus der Welt geschafft, solange das Paar selbst nicht in enger nachbarlicher und familienähnlicher Beziehung zu anderen Erwachsenen steht. Den nämlich hat, wenn der eine Zurückgezogenheit braucht der andere weitere Möglichkeiten der Geselligkeit zur Verfügung. Dieser Gedanke und seine baulichen Folgerungen werden beim Muster DIE FAMILIE (75) besprochen.

Wenn die Möglichkeit sich zurückzuziehen gegeben ist, dann gibt es auch eine echte Möglichkeit für das Paar, zusammen zu sein; dann wird das Haus ein Ort, wo echte Intimität und echte Beziehung stattfinden kann.

Es gibt noch ein Problem beim Haus für ein Paar, das erwähnt werden muß. In den ersten Jahren eines Lebens zu zweit, wenn die Partner sich besser kennenlernen und herausfinden, ob sie tatsächlich eine gemeinsame Zukunft haben, spielt die Entwicklung des Hauses eine entscheidende Rolle. Das Haus auszubauen, zu reparieren, zu vergrößern, schafft Situationen, einander kennen zu lernen: es löst Konflikte aus und bietet wie kaum eine andere Aktivität die Möglichkeit zu konkreten Entscheidungen und zur Entwicklung. Deshalb empfiehlt sich, daß ein Paar einen Wohnsitz findet, den es mit den Jahren allmählich verändern kann, statt sich von vornherein ein „Traumhaus" zu bauen oder zu kaufen. Die Erfahrung, einfache Veränderungen im Haus vorzunehmen und es auf beider Leben abzustimmen, ist ein entscheidender Impuls für ihre eigene Entwicklung. Deshalb ist es am besten, klein anzufangen und viel Platz für Entwicklung und Veränderung zu lassen.

 

Daraus folgt:

Konzipiere ein Haus für ein Paar so, daß es aus zwei Arten von Örtlichkeiten besteht — einem gemeinsamen Bereich für das Paar einerseits und individuellen Privatwelten andererseits. Faß den gemeinsamen Bereich als halb öffentlich und halb intim auf; die Privatwelten dagegen als völlig individuell und privat.

 Eine Muster Sprache 77 HAUS FÜR EIN PAAR

 

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Auch hier behandle das Haus als ein deutlich begrenztes Territorium, in irgendeiner Weise im Eigentum seiner Benutzer -- DAS EIGENE HEIM (79). Leg den gemeinsamen Teil nach dem Muster BEREICH DES PAARS (136) an und gib beiden Partnern eine individuelle eigene Welt, wo sie allein sein können DAS EIGENE ZIMMER (141) ...

 

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076.0

... entsprechend dem Muster DIE FAMILIE (75) sollte der Haushalt jeder Kernfamilie Teil eines größeren Gruppenhaushalts sein. Wenn das nicht möglich ist, sorg beim Bau eines Hauses für eine Kleinfamilie dafür, daß ein größerer Gruppenhaushalt entstehen kann, in dem er mit den Haushalten der unmittelbaren Umgebung verbunden wird; bilde zumindest jedenfalls den Ansatz zu einer HAUSGRUPPE (37) aus.

 

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In einem Haus für eine Kleinfamilie ist die kritischste Beziehung die zwischen Kindern und Erwachsenen.

 

Viele kleine Haushalte, die kein voll ausgestattetes Kinder-Ammer und zuwenig Geld für eine Kindermädchen haben, können sich vor den Kindern nicht retten. Die Kinder wollen selbstverständlich dort sein, wo die Erwachsenen sind; ihre Eltern haben nicht das Herz oder die Kraft, sie aus bestimmten Bereichen fernzuhalten; so hat schließlich das ganze Haus den Charakter eines Kinderzimmers — Kinderkleider, Zeichnungen, Stiefel und Schuhe, Dreiräder, Spielzeug und Unordnung.

Aber offensichtlich fühlen sich nur wenige Eltern wohl, wenn ihnen für Ruhe und Sauberkeit, für die Stille der Erwachsenen-Welt kein Fleck mehr bleibt. Um ein Gleichgewicht zu erreichen, braucht ein Haus für eine Kleinfamilie drei deutlich unterschiedene Zonen: einen den Erwachsenen vorbehaltenen Bereich für das Paar; einen Bereich für die Kinder, wo die Bedürfnisse der Kinder im Vordergrund stehen; und eine gemeinsame Zone dazwischen, die mit beiden verbunden ist.

Der Bereich des Paars sollte mehr sein als ein Zimmer, wenn lieh die Zimmer ein Teil davon sind. Er ist ein Territorium, das die Eltern als zwei Erwachsene bestätigt, als Paar — nicht Vater und Mutter. Andere Teile ihres Lebens haben mit Kindern, Freunden, mit der Arbeit zu tun; es muß einen Ort :geben, der ihnen ihren natürlichen Ausdruck als Erwachsene und nur als das — ermöglicht. Die Kinder gehen in diesem Territorium aus und ein, aber wenn sie da sind, sind sie :eindeutig in der Erwachsenenwelt. Siehe BEREICH DES PAARS (136).

Die Welt der Kinder muß ebenfalls als Territorium betrachtet werden, das sie gemeinsam bewohnen — als Kinder: BEREICH DER KINDER (137); hier ist es wichtig, daß dieser Bereich eben, falls Teil des Hauses ist, im Gleichgewicht mit den anderen. Wiederum kommt es nicht darauf an, daß die Erwachsenen „ausgeschlossen" sind, sondern daß sie, wenn sie hier sind, sich auf dem Territorium der Kinder befinden.

Die gemeinsame Zone enthält jene Funktionen, die den Kin denn und den Erwachsenen gemeinsam sind: zusammen essen, zusammensitzen, spielen, vielleicht baden, Gartenarbeit — was immer eben ihren Bedürfnissen für gemeinsames Territorium entspricht. Sehr wahrscheinlich wird das gemeinsame Territorium größer sein als die beiden anderen Teile des Hauses.

Man muß sich schließlich darüber klar sein, daß dieses Muster sich von der Art, wie Kleinfamilienhäuser heute gemacht werden, unterscheidet. Ein beliebtes und weit verbreitetes vergleichbares Konzept, aber eben von ganz anderer Auffassung, ist ein zweiteiliges Haus für Stadtrandsiedlungen: mit Schlaf und Gemeinschaftszone.

Eine Muster Sprache 76 HAUS FÜR EINE KLEINFAMILIE

Wenn es auch ein „Elternschlafzimmer" gibt, ist der Schlafteil des Hauses im wesentlichen eine Einheit — die Kinder sind rund um das Elternschlafzimmer untergebracht. Dieser Grundriß weist nicht die Unterteilung auf, die wir verlangen.

Der folgende Plan dagegen schon:

076.1 2

 Ein dreiteiliges Haus - der Bereich des Paars im oberen Geschoss.

 

Daraus folgt:

Gib dem Haus drei verschiedene Teile: einen Bereich für die Eltern, einen Bereich für Kinder und einen Gemeinschaftsbereich. Leg diese drei Bereiche in ungefähr gleicher Größe an, den Gemeinschaftsbereich als größten.

 Eine Muster Sprache 76 HAUS FÜR EINE KLEINFAMILIE 2

 

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Behandle das Haus wie jedes andere als ein deutlich gekennzeichnetes Territorium — DAS EIGENE HEIM (79); leg die drei Hauptteile nach den entsprechenden Mustern an — GEMEINSCHAFTSBEREICHE IN DER MITTE (129), BEREICH DES PAARS (136), GRUPPE VON BETTEN (143) —, und verbinde die gemeinsame Zone und die Bettgruppe nach dem Muster BEREICH DER KINDER (137) ...

 

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075.0

... einmal angenommen, wir haben uns entschlossen, ein Haus für uns selbst zu bauen. Wenn es richtig situiert ist, kann es dazu beitragen, eine Hausgruppe zu bilden oder eine.Reihe von Häusern oder einen Wohnhügel — HAUSGRUPPE (37), REIHENHÄUSER (38), WOHNHÜGEL (39) —, oder es kann zum Leben einer Gemeinschaft von Arbeitsstätten beitragen — WOHNEN DAZWISCHEN (48). Das folgende Muster gibt einige elementare Informationen über den sozialen Charakter des eigentlichen Haushalts. Wenn die Verwirklichung dieses Musters gelingt, wird es die Muster LEBENSZYKLEN (26) und MISCHUNG DER HAUSHALTE (35) in der Gemeinde wiederherstellen.

 

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Die Kernfamilie selbst ist keine lebensfähige soziale Form.

 

Bis vor wenigen Jahren beruhte die menschliche Gesellschaft auf der erweiterten Familie: einer Familie von mindestens drei Generationen, mit Eltern, Kindern, Großeltern, Onkeln, Tanten und Cousins — alle in einem einzelnen oder locker verbundenen Mehrfachhaushalt lebend. Heute dagegen ziehen Leute hunderte Kilometer weit weg, um zu heiraten, sich ausbilden zu lassen und zu arbeiten. Unter diesen Umständen bleibt nur jene Familieneinheit übrig, die man Kernfamilie nennt: Vater, Mutter und Kinder. Und viele davon lösen sich durch Scheidung und Trennung noch weiter auf.

Leider sieht es so aus, daß die Kernfamilie keine lebensfähige soziale Form ist. Sie ist zu klein. Jede Person in einer Kernfamilie ist zu eng an andere Familienmitglieder gebunden; jede Beziehung, die gestört ist, wenn auch nur für Stunden, wird kritisch; Leute können sich nicht einfach ab- und einem Onkel, einer Tante, Enkeln, Cousinen, Brüdern zuwenden. Im Gegenteil, jede Schwierigkeit schlingt die Familieneinheit in eine immer engere Spirale des Unbehagens; die Kinder werden Opfer aller Arten von Abhängigkeiten und ödipalen Neurosen; die Eltern werden so abhängig voneinander, daß sie schließlich gezwungen sind, sich zu trennen.

Philip Slater beschreibt diese Situation für amerikanische Familien und findet unter den Erwachsenen der Familien, besonders den Frauen, ein schreckliches, schwelendes Mangelgefühl. Es sind einfach nicht genug Menschen da, es gibt zuwenig gemeinschaftliche Aktion, um der alltäglichen Erfahrung im Haus Tiefe und Fülle zu geben (Philip E. Slater, The Pursuit of Loneliness, Boston: Beacon Press, 1970, insbesondere S. 67).

Es scheint wesentlich zu sein, daß Leute in einem Haushalt. mindestens ein Dutzend Personen um sich herum haben, um den Beistand und die Beziehungen zu finden, die sie während ihrer Höhen und Tiefen brauchen. Da die alte erweitere Familie auf der Basis der Blutsverwandtschaft — zumindest derzeit `verschwunden ist, ist das nur möglich, wenn Kleinfamilien, Paare und Alleinstehende sich zu freiwilligen „Familien" von etwa zehn Personen verbinden.

In seinem letzten Buch, Eiland, stellte Aldous Huxley eine solche Entwicklung in einer liebenswerten Vision dar:

„Wie viele Heime hat denn ein palanesisches Kind?"

„Im Durchschnitt zwanzig."

„Zwanzig? Donnerwetter!"

„Wir alle", erklärte Susila weiter, „gehören einem KAG an — einem,. Kinderpflegeverein auf Gegenseitigkeit. Jeder KAG besteht aus fünf zehn bis fünfundzwanzig ausgesuchten Paaren. Neugewählte jungverheiratete Frauen und ihre Ehegatten, langjährige Partner mit heranwachsenden Kindern, Großeltern und Urgroßeltern — jedes Vereinsmitglied adoptiert alle anderen. Abgesehen von unsern eignen Blutsverwandten haben wir alle unsere Quote von Vize-Müttern, -Vätern -Tanten und -Onkeln, -Brüdern und -Schwestern, Babys und älteren Kindern und Halbwüchsigen."

Will sagte Kopfschüttelnd: „Zwanzig Familien zu gründen an Stelle einer einzigen wie früher!"

„Aber früher wuchs eure Art von Familie auf. Die zwanzig sind von. unsrer Sorte." Und dann fuhr sie fort: „,Man nehme einen sexuell unzulänglichen Lohnsklaven, eine unbefriedigte Frau, zwei oder (wenn gewünscht) drei kleine Fernsehsüchtige; mariniere sie in einer Mischung von Freud und verwässertem Christentum; dann verschließe man alles gut in einer Vierzimmerwohnung und lasse es fünfzehn Jahre lang im eignen Saft schmoren . . . Unser Rezept unterscheidet sich einigermaßen davon. ,Man nehme zwanzig sexuell befriedigte Ehepaare und ihre Sprößlinge; mische zu gleichen Teilen Wissenschaft, Intuition und Humor bei; tauche das Ganze in tantrischen Buddhismus und lasse es unbegrenzt lange auf offener Pfanne im Freien über einer kräftigen Flamme von Zuneigung gar werden."

„Und was kommt aus Ihrer offenen Pfanne?" fragte er.

„Eine gänzlich andere Art von Familie. Keine hermetisch abgeschlossene wie bei euch, und keine vorbestimmte, zwangsmäßige, sondern eine aufgeschlossene, nicht vorbestimmte und freiwillig einander zugehörige Familie. Zwanzig Elternpaare, acht oder neun Ex-Väter und Ex-Mütter und eine Gruppe von vierzig bis fünfzig ausgesuchten Kindern jeden Alters." (Aldous Huxley, Island., 1962; dt. Eiland., München: Serie Piper, 1984, S. 108f.)

 

Der bauliche Rahmen für eine große Wahlfamilie muß zwischen Privatheit und Gemeinschaftlichkeit ein Gleichgewicht bieten. Jede kleine Familie, jede Person, jedes Paar braucht einen privaten Bereich, je nach ihren räumlichen Bedürfnissen fast einen eigenen privaten Haushalt. Nach unserer Erfahrung haben die Gruppen der Kommunenbewegung dieses Bedürfnis nach Privatheit nicht ernst genug genommen. Es wurde achselzuckend übergangen als etwas, das überwunden werden müsse:. Es ist aber ein tiefes und grundlegendes Bedürfnis; und wenn der bauliche Rahmen nicht jeder Person und jedem kleinen Haushalt erlaubt, sich in dieser Dimension einzuspielen, dann gibt es eben Ärger. Wir schlagen deshalb vor, daß Einzelpersonen, Paare, junge und alte Leute - also jede Untergruppe - ihre eigenen, rechtlich unabhängigen Haushalte haben; in manchen Fällen sogar baulich abgetrennte Haushalte und Häuschen, mindestens aber abgetrennte Räume, Suiten öder Stockwerke.

Die privaten Bereiche sind dann gegen die gemeinschaftlichen Räume und Funktionen abgesetzt. Die wichtigsten Gemeinschaftsräume sind die Küche, der Sitz- und Eßplatz und der Garten. Gemeinsame Mahlzeiten, wenigstens einige Abende in der Woche, scheinen für den Zusammenhalt der Gruppe die wichtigste Rolle zu spielen. Die Mahlzeiten und die Zeit zum Zubereiten schaffen jenes zwanglose Zusammensein, wo alles gemütlich besprochen werden kann: die Kinderangelegenteilen, Reparaturarbeiten, Projekte etc. - siehe GEMEINSAMES ESSEN (147).

Das würde eine große Wohnküche wie im Bauernhaus nahelegen - dort, wo die Hauptwege zusammenlaufen, wo jeder sich natürlicherweise am Ende des Tages einfinden würde. Je :nach der Lebensweise der Familie könnte das ein abgetrenntes Gebäude mit Werkstätte und Garten sein oder ein Flügel des Hauses oder das ganze Erdgeschoß eines zwei- oder dreigeschossigen Gebäudes.

Es spricht einiges dafür, daß in der Gesellschaft bereits Prozesse der Entstehung großer Gruppenhaushalte im Gange sind (vgl. Pamela Hollie, „More families share houses with others enhance life style, Wall Street Journal, 7. Juli 1972).

Ein Weg, das Entstehen von Wahlfamilien anzuspornen wenn jemand sein Haus oder sein Zimmer oder seine Wohnung abgibt oder verkauft, sagt er es zunächst seiner Umgebung - den Nachbarn. Die Nachbarn haben dann das Recht ihrerseits Freunde zu finden, die das Objekt übernehmen und so die „Familie" erweitern wollen. Wenn Freunde einzieht können, können sie es selbst einrichten, wie die Familie und ihre Gemeinschaftsräume etc. funktionieren. Sie können eh Verbindung zwischen Häusern oder Wohnungen bauen, eine Wand abreißen, ein Zimmer anbauen. Wenn die unmittelbar Umgebung in einigen Monaten keinen Käufer findet, geht das Objekt zurück an den normalen Wohnungsmarkt.

 

Daraus folgt:

Setz Prozesse in Gang, die das Entstehen von gemeinschaftlichen Haushalten aus Gruppen von 8 bis 12 Leuten anspornt. Morphologisch gesehen ist dabei wichtig:

  1. Privatbereiche für die Gruppen und Einzelpersonen, aus denen die erweitere Familie bestehe Bereiche für Paare, Privaträume, Sub-Haushalte, Kleinfamilien.
  2. Gemeinsamer Raum für Aktionen, an denen alle teilnehmen: Kochen, gemeinsame Arbeiten, Gartenarbeit, Aufsicht der Kinder.
  3. Wo die wichtigen Wege auf dem Grundstück zusammenlaufen, eine Stelle, wo die ganze Gruppe sich treffen und zusammensitzen kann.

 Eine Muster Sprache 75 DIE FAMILIE

 

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Jeder einzelne Haushalt innerhalb der größeren Familie muß auf jeden Fall ein eigenes, klar definiertes Territorium haben, das ihm untersteht - DAS EIGENE HEIM (79); behandle die einzelnen Territorien der Natur der einzelnen Haushalte entsprechend - HAUS FÜR EINE KLEINFAMILIE (76), HAUS FÜR EIN PAAR (77), HAUS FÜR EINE PERSON (78); und leg dazwischen gemeinschaftlichen Raum an, wo die Mitglieder der verschiedenen kleineren Haushalte einander treffen und zusammen essen können - GEMEINSCHAFTSBEREICHE IN DER MITTE (129), GEMEINSAMES ESSEN (147). Was die Form des Gebäudes, der Gärten, der Parkplätze und der Umgebung betrifft, fang mit GEBÄUDEKOMPLEX (95) an ...

 

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