EINE MUSTER-SPRACHE

STÄDTE - GEBÄUDE - KONSTRUKTION

Christopher Alexander, Sara Ishikawa, Murray Silverstein

mit Max Jacobson, Ingrid F. King, Shlomo Angel 

Für Verbreitung, Schulung und Ergänzung digitalisiert von:
THE PATTERN COMMUNITY - Institut zur Förderung menschengerechter Dörfer, Städte und Regionen

STÄDTE

Wir beginnen mit jenem Teil der Sprache, durch den eine Stadt oder Gemeinde definiert wird. Diese Muster können keinesfalls mit einem Schlag "entworfen" oder "gebaut" werden - nur geduldige und schrittweise Entwicklung, daraufhin angelegt, daß jede individuelle Maßnahme zur Entstehung dieser größeren, umfassenden Muster beiträgt, wird langsam und sicher über Jahre ein Gemeinwesen herbeiführen, das diese umfassenden Muster enthält. geduldige und schrittweise Entwicklung, daraufhin angelegt, daß jede individuelle Maßnahme zur Entstehung dieser größeren, umfassenden Muster beiträgt, wird langsam und sicher über Jahre ein Gemeinwesen herbeiführen, das diese umfassenden Muster enthält. 

GEBÄUDE

Hier werden die übergeordneten Muster ergänzt, die eine Stadt oder eine Gemeinde definieren. Wir beginnen jetzt jenen Teil der Sprache, die Gebäudegruppen und Einzelgebäuden ihre Form gibt, dreidimensional auf dem Grundstück. Das sind die Muster, die "entworfen" oder "gebaut" werden können - die Muster, die die einzelnen Gebäude und den Raum zwischen Gebäuden definieren. Zum ersten Mal behandeln wir Muster,die innerhalb der Kontrolle von Einzelpersonen oder kleinen Personengruppen liegen, die diese Muster in einem Zug realisieren können.

 

KONSTRUKTION

In dieser Phase haben wir einen vollständigen Entwurf für ein einzelnes Gebäude. Wenn die gegebenen Muster befolgt wurden,so hat man ein Schema der Räume, sei es mit Stecken auf dem Boden markiert oder auf einem Stück Papier - etwa aufeinen halben Meter genau. Man kennt die Höhe der Räume, die ungefähre Größe und Lage der Fenster und Türen, und man weiß ungefähr, wie die Dächer des Gebäudes und die Gärten anzuordnen sind.

Der nächste und letzte Teil der Sprache erklärt einem, wie man direkt aus diesem groben Raumschema ein baubares Gebäude macht, und erklärt auch im Detail, wie es zu bauen ist.

PROLOG

 

180.0

... das folgende Muster trägt dazu bei, die Ausbildung der Fenster, deren Lage bereits in EINGANGSRAUM (130), DIE AUSSICHT DES MÖNCHS (134), LICHT VON ZWEI SEITEN IN JEDEM RAUM (159) und STRASSENFENSTER (164) bestimmt wurde, zu ergänzen.

 

❖ ❖ 

 

Jeder hat gern Sitzplätze am Fenster, Erkerfenster und große Fenster mit niedrigen Brüstungen und einem bequemen Sessel davor.

 

Man kann diese Art von Stellen leicht als Luxus bezeichnen, der heute nicht mehr gebaut wird, und den man sich leider nicht mehr leisten kann.

In Wirklichkeit ist die Angelegenheit aber ernster. Diese Art von Fenstern, die „Orte" in ihrer Nähe schaffen, sind nicht bloß Luxus; sie sind eine Notwendigkeit. In einem Zimmer, dem ein derartiger Platz fehlt, fühlt man sich nie wirklich wohl und behaglich. Tatsächlich kann ein Raum ohne einen Platz am Fenster eine ständig konfliktgeladene, angespannte Atmosphäre erzeugen — unmerklich zwar, aber dennoch vorhanden.

Dieser Konflikt sieht folgendermaßen aus. Wenn der Raum kein Fenster hat, das gleichzeitig ein „Ort" ist, wirken auf eine Person zwei gegensätzliche Kräfte:

  1. Man möchte sich niedersetzen und es sich bequem machen.
  2. Man fühlt sich zum Licht hingezogen.

Wenn die gemütlichen Stellen — jene Stellen in einem Zimmer, an denen man am liebsten sitzt — vorn Fenster entfernt liegen, kann man diesen Konflikt gänz offensichtlich nicht lösen. Daraus lässt sich ersehen, daß unsere Vorliebe für „Plätze" am Fenster kein Luxus ist, sondern eine organische Intuition; sie basiert auf dem natürlichen Verlangen jedes Menschen, den auf ihn wirkenden Einflüssen nachzugeben. Ein Zimmer, in dem man sich wirklich wohlfühlt, hat immer irgendeine Art von Platz am Fenster.

Es ist natürlich schwierig, diesen „Platz" genau zu definieren. Im wesentlichen handelt es sich bei einem „Platz" um eine teilweise umschlossene, deutlich erkennbare Stelle in einem Zimmer. Alle folgenden Möglichkeiten können als „Plätze" in diesem Sinn funktionieren: Erkerfenster, Sitzplätze am Fenster, eine niedrige Fensterbrüstung, wo offensichtlich ein gemütlicher Lehnstuhl Platz hat, und tiefe Nischen mit Fenstern rundherum. Um eine genauere Vorstellung von diesen Plätzen am Fenster zu geben, zeigen wir Beispiele der einzelnen Typen und erörtern die wichtigsten Merkmale, die sie funktionsfähig machen.

Ein Erkerfenster. Eine leichte Ausbuchtung an einem Ende des Zimmers, mit Fenstern rundherum. Es funktioniert als Platz am Fenster aufgrund des intensiveren Lichts, der Aussichten durch die Seitenfenster und der Tatsache, daß man mehrere Sessel oder ein Sofa in die Erkernische stellen kann.

 180.1

Ein Erkerfenster.

Ein Sitzplatz am Fenster. Etwas bescheidener. Eine Nische, gerade tief genug für einen Sitzplatz. Er funktioniert am besten für eine Einzelperson, die parallel zum Fenster sitzt, mit dem Rücken an der Laibung oder für zwei Personen, die einander in dieser Position gegenübersitzen.

 180.2

Ein Sitzplatz am Fenster.

Eine niedrige Brüstung. Die bescheidenste Form. Die richtige Brüstungshöhe für einen Platz am Fenster mit einem gemütlichen Sessel ist sehr niedrig: 30 bis 35 cm. Das Gefühl der Umschließung bietet der Lehnstuhl — am besten einer mit hoher Rückenlehne und Armlehnen.

 180.3

Eine niedrige Brüstung.

Eine verglaste Nische. Die vollendetste Form eines Platzes am Fenster: fast wie ein Aussichtsbalkon oder ein Wintergarten von Fenstern umgeben, ein kleines Zimmer, fast schon Teil de. Gartens.

 180.4

Eine verglaste Nische.

Und natürlich gibt es auch andere mögliche Formen. Im Prinzip kann jedes Fenster mit einem einigermaßen schönen Ausblick einen Platz am Fenster bilden, vorausgesetzt, es wird wirklich als „Raum" betrachtet und nicht bloß als Loch in der Wand. Jeder häufig benützte Raum sollte einen Platz am Fenster haben. Und diese Plätze am Fenster sollten sogar bei Wartezimmern oder als besondere Stellen entlang von Gängen eingeplant werden.

 

Daraus folgt:

Bau in jedem Raum, wo man sich tagsüber länger aufhält, zumindest ein Fenster mit einem „Platz am Fenster".

 Eine Muster Sprache 180 PLATZ AM FENSTER

 

❖ ❖ 

 

Leg ihn niedrig und in sich geschlossen an, wenn genug Platz dafür ist - NISCHEN (179); halt die Brüstung niedrig - NIEDRIGE FENSTERBRÜSTUNG (222); bestimm dann die genaue Position der Rahmen, Sprossen und Sitzplätze entsprechend der Aussicht - EINGEBAUTE SITZBANK (202), TÜREN UND FENSTER NACH BEDARF (221). Und setz die Fenster tief in die Wand hinein, um das Licht an den Kanten zu brechen - TIEFE LAIBUNGEN (223). Verwend bei geneigten Dächern DACHGAUPEN (231) für dieses Muster ...

 

< Zurück zu 179 Weiter zu 181 >

 

179.0

... viele große Räume sind nicht vollständig, wenn sie nicht kleinere Räume und Nischen angeschlossen haben. Das folgende und einige spätere Muster bestimmen die Form von kleineren Räumen und Nischen, die dazu beitragen, GEMEINSCHAFTSBEREICHE IN DER MITTE (129), WOHNKÜCHE (139), MEHRERE SITZPLÄTZE (142), FLEXIBLE BÜROFLÄCHE (146), EIN PLATZ ZUM WARTEN (150), KLEINE BESPRECHUNGSZIMMER (151) und viele andere zu verbessern.

 

❖ ❖ 

 

Gleichförmige Räume mit gleichförmiger Höhe eignen sich nicht für Gruppen von Menschen. Damit eine Gruppe als solche zusammen sein kann, muß ein Zimmer auch die Möglichkeit bieten, allein — einzeln oder zu zweit — an einem Platz sein zu können.

 

Dieses Problem ist vor allem in den Gemeinschaftsräumen in einer Wohnung spürbar — Küche, Familienzimmer, Wohnzimmer. Es kann in diesem Fall sogar die Familie auseinandertreiben, wenn es ungelöst bleibt. Deshalb werden wir uns bei unseren Erläuterungen auf die Wohnung und die Verwendung von Nischen in den Gemeinschaftsbereichen einer Familie konzentrieren, wenngleich wir davon überzeugt sind, daß dieses Muster ebenso für Arbeitsplätze, Werkstätten und Schulen —also für alle Gemeinschaftsräume überhaupt — gilt.

Im modernen Leben hat die Familie vor allem eine emotionale Funktion; sie ist eine Quelle der Sicherheit und Liebe. Diese Qualitäten können aber nur dann entstehen, wenn die Bewohner eines Hauses physisch als Familie zusammen sein können.

Das ist oft schwierig. Die einzelnen Familienmitglieder kommen und gehen zu verschiedenen Tageszeiten; selbst wenn sie in der Wohnung sind, gehen sie ihren eigenen Interessen nach: nähen, lesen, machen die Hausarbeit, tischlern, bauen Modelle, spielen. In vielen Wohnungen müssen sich die Menschen dafür in ihre eigenen Zimmer, weg von der Familie, zurückziehen. Dafür gibt es zwei Gründe. Erstens kann in einem normalen Wohnraum jemand leicht von der Tätigkeit der anderen gestört 

werden: Jemand, der lesen will, fühlt sich dadurch, daß anderen fernsehen, gestört. Zweitens hat das Wohnzimmer normalerweise keinen Platz, wo man etwas liegen lassen kann; ohne daß es jemandem im Weg ist. Bücher auf dem Esstisch werden zur Essenszeit weggeräumt; ein halbfertiges Spiel kann nicht stehengelassen werden. Mit der Zeit gewöhnen sich die Leute eben an, diese Sachen irgendwo anders zu machen - abseits von der Familie.

Um dieses Problem zu lösen, muss man einen Weg finden, daß die Mitglieder der Familie auch dann zusammen sein können, wenn sie mit verschiedenen Dingen beschäftigt sind. Das heißt, der Familienraum braucht eine Anzahl von Bereichen, wo jeder etwas anderes machen kann. Sie müssen weit genug vom eigentlichen Zimmer entfernt sein, damit das was in diesen Bereichen vorgeht, nicht bei den gemeinsamen Aktivitäten im Hauptteil des Raums stört. Die Bereiche müssen miteinander verbunden sein, damit die Leute trotzdem „zusammen sind, wenn sie sich darin aufhalten; das heißt, sie müssen zueinander offen sein. Gleichzeitig müssen sie abgesondert sein, sodass eine Person, die in einem solchen Bereich ist, nicht von den anderen gestört wird. Kurz, der Familienraum muß von kleinen Nischen umgeben sein. Die Nischen sollten genug Platz für ein oder zwei Personen bieten, also etwa 2 m breit und 1 m bis 2 m tief sein. Um die Nischen klar abzutrennen sie den Hauptraum nicht stören und die Leute darin abgesondert sind —, sollten sie schmäler als die Wände des Hauptraums sein und niedrigere Decken haben.

 Eine Muster Sprache 179 NISCHEN

Da dieses Muster von so wesentlicher Bedeutung ist, zitieren wir nun verschiedene Autoren, um zu zeigen, daß viele Menschen mehr oder weniger ähnliche Beobachtungen gemacht schen mehr oder weniger ähnliche Beobachtungen gemacht haben:

Aus Psychosocial Interior of the Family, Gerald Handel, Hrsg.,Chicago, Ill.: Aldine Publishing Company, S. 13.

Diese dem Familienleben zugrundeliegende Dualität ist von großer -Bedeutung, da die Anstrengungen des einzelnen, sich auf seine Weise für die Welt zu interessieren und seine Individualität zu entwickeln, Hand in Hand gehen mit seinen Anstrengungen, eine befriedigende Beziehung zu den anderen Mitgliedern aufzubauen. Gleichzeitig sind die anderen Familienmitglieder damit beschäftigt, Interesse an ihm und an ihnen selbst zu zeigen. Das ist die Matrix der Interaktion, in der eine Familie ihr Zusammenleben entwickelt. Die Familie versucht sich selbst eine Form zu geben, die der Art und Weise entspricht, wie ihre Mitglieder zusammen und getrennt sein möchten...

Aus Children in the Family von Florence Powdermaker und Louise Grimes, New York: Farrar & Reinhart, Inc., 1940, S. 108: „Selbst wenn ein Kind ein eigenes Zimmer hat, will es sich dort nicht den ganzen Tag lang aufhalten, sondern den Großteil der Zeit in anderen Teilen der Wohnung verbringen ... " Und S 112: „ ... es genießt und sucht die Aufmerksamkeit der anderen. Es zeigt den Erwachsenen gern verschiedene Dinge und möchte, daß sie seine Freude über Entdeckungen mit ihm teilen. Außerdem fühlt es sich von ihren Tätigkeiten angezogen 'und würde am liebsten überall seine Nase hineinstecken." Und aus Svend Riemen, „Sociological Theory of Home Adjustment", American Soc. Rev., Bd. 8, Nr. 3, Juni 1943, S. 277:

In Anpassung an die Tätigkeiten der anderen Familienmitglieder muß man notgedrungen ... zwischen den verschiedenen Zimmern in der Wohnung „hin- und herwandern". Sogar eins und dieselbe Tätigkeit muß zu verschiedenen Tageszeiten manchmal von einem Raum in einen anderen verlegt werden.

Hausaufgaben werden am Nachmittag vielleicht im Wohnzimmer gemacht, während in der Küche das Essen vorbereitet wird; am Abend, -wenn das Wohnzimmer von den Freizeitaktivitäten der anderen Familienmitglieder eingenommen wird, werden sie dann vielleicht in der Küche fortgesetzt. Dieses „Wandern" zwischen verschiedenen Zimmern kann zur Beeinträchtigung der Konzentrationsfähigkeit führen. Es kann ein Gefühl der Unsicherheit bewirken. Diese möglichen Nachteile sollten in einem Haus, in dem Kinder aufwachsen, sehr ernst genommen werden.

All das macht deutlich, daß es in nahezu jeder Familie diese entgegengesetzten Bedürfnisse von gleichzeitiger Zurückgezogenheit und Gemeinschaft in einem gemeinsamen Raum gibt.

Es ist leicht einzusehen, daß diese Einflüsse in nur geringfügig unterschiedlichen Versionen bei allen Gemeinschaftsräumen zum Tragen kommen. Die Leute möchten zusammen sein; aber gleichzeitig wollen sie auch ein wenig Privatheit, ohne deshalb die Gemeinschaft aufgeben zu müssen.

Wenn zehn oder auch fünf Leute in einem Raum sind, und zwei von ihnen möchten sich zurückziehen, um etwas in Ruhe zu besprechen, brauchen sie einen Ort dafür. Nur die Nische, oder eine Abart davon, kann ihnen die nötige Privatheit bieten, ohne daß sie die Gruppe ganz verlassen müssen.

 

Daraus folgt:

Leg an den Rändern von Gemeinschaftsräumen kleine Stellen an, gewöhnlich nicht breiter als 2 m und nicht tiefer als 1 m bis 2 m, manchmal sogar noch kleiner. Diese Nischen sollten soviel Platz bieten, daß zwei Leute sitzen, plaudern oder etwas spielen können, und manchmal sollten sie so groß sein, daß ein Tisch hinein passt.

 Eine Muster Sprache 179 NISCHEN 1

 

❖ ❖ 

 

Statte die Nische mit einer deutlich niedrigeren Decke als der im Hauptraum aus - VERSCHIEDENE RAUMHÖHEN (190); grenz die Nischen und den Gemeinschaftsraum mit Hilfe von niedrigen Wänden und dicken Pfeilern teilweise voneinander ab - DURCHBROCHENE WAND (193), DER PLATZ AM PFEILER (226); liegt die Nische an einer Außenwand, dann mach einen Platz am Fenster daraus, mit einem schönen Fenster, einer niedrigen Brüstung und einer eingebauten Sitzbank - PLATZ AM FENSTER (180), EINGEBAUTE SITZBANK (202); und geh so vor, wie beim VERBREITERN DER AUSSENWÄNDE (211). Was die Form der Nischen betrifft, siehe DIE FORM DES INNENRAUMS (191) ...

 

< Zurück zu 178 Weiter zu 180 >

 

178.0

... der Garten ist ein wertvoller Teil des Hauses, da man in ihm Obst und Gemüse anpflanzen kann - OBSTBÄUME (170), GEMÜSEGARTEN (177). Er kann aber nur gedeihen, wenn er Nahrung erhält; und diese Nahrung - in Form von Kompost kann nur hergestellt werden, wenn der Müll und die Abfälle aus den einzelnen Häusern und HAUSGRUPPEN (37) und von den TIEREN (74) richtig organisiert werden.

 

❖ ❖ 

 

Unsere derzeitigen Methoden der Abwasserbeseitigung vergiften die großen natürlichen Wasservorkommen und entziehen dem Land um unsere Gebäude herum die erforderlichen Nährstoffe.

 

Für den Durchschnittsbewohner einer Stadt funktioniert das Abwassersystem wahrscheinlich ausgezeichnet - kein Schmutz, keine Beschwerden. Einmal kurz an der Klokette gezogen, und die Sache ist erledigt. Höchstwahrscheinlich würden Stadtbewohner, die einmal die Bekanntschaft mit einer stinkenden Toilette im Freien gemacht haben, behaupten, daß unser modernes Kanalisationssystem ein gewaltiger Fortschritt gegenüber früheren Praktiken ist. Leider stimmt das einfach nicht. Nahezu jeder Schritt in der modernen Abwasserbeseitigung ist entweder verschwenderisch, teuer oder gefährlich.

Das beginnt einmal damit, daß bei jeder Toilettenspülung rund 25 Liter Trinkwasser den Abfluß hinuntergehen. Tatsächlich verschwenden wir die Hälfte des Wasserverbrauchs in einem Haushalt für diesen Zweck.Abgesehen von den Wasserkosten fallen noch enorme Summen für das Kanalisationssystem an. Der durchschnittliche neue Hausbesitzer lebt heute auf einer 15 m x 45 in großen Stadtparzelle und zahlt einen Anteil von S 1500 an der Kanalisation, die das Abwasser von seinem Haus zur Kläranlage leitet. In weniger dicht besiedelten Wohngebieten können die Kosten bei $ 2000 oder sogar $ 5000 liegen. {Kosten von 1977. Anm. d. Weitere $ 500 fallen bei jedem Haus für die Kläranlage selbst an. Wir sehen also, daß die Anfangskosten für die Abwasserbeseitigung pro Haus heute bei mindestens $ 2000, manchmal mehr, liegen. Und diese Beträge beinhalten nicht die monatlichen Abgaben für Wasser und Kanalisation zirka $ 50 jährlich für einen Einfamilienhaushalt.

Dazu kommen noch jene Kosten, die sich nicht so leicht in Dollar und Cent berechnen lassen, die aber langfristig bereits besprochenen übersteigen könnten. Dazu gehört: (1) der Wert der verlorenen Nährstoffe, die nun in die Flüsse, und Meere abfließen — Nährstoffe, die man zum Aufbau des Bodens, aus dem sie ursprünglich kamen, verwenden hätte können; und (2) die Kosten der Umweltverschmutzung: Die Abflüsse verursachen eine „Eutrophierung" — die Abwässer nehmen dern Wasser den Sauerstoff und bewirken eine starke Algenbildung.

Was kann man tun? Einige dieser Abflüsse könnten in Form von Schlamm wieder dem Boden zugeführt werden. Aber die Abwässer von Wohngebieten werden normalerweise mit Industrieabwässern vermischt, die oft extrem giftige Stoffe enthalten. Aber selbst wenn keine Industrieabwässer in das Kanalisationssystem gelangten, wäre ein zusätzliches Verteilungssystem nötig, um den Schlamm zurück auf den Boden zu bringen. Daraus wird ersichtlich, daß die Umwandlung des bestehenden; Systems in ein ökologisch verträgliches zusätzliche untragbare Kosten verursachen würde.

Was man bräuchte, wäre nicht ein noch größeres, zentralisierteres, komplexeres System, sondern ein kleineres, dezentralisierteres und einfacheres. Wir brauchen ein weniger teures-System; ein System, das zum Vorteil und nicht zum Nachteil der Ökologie ausschlägt.

Unser Vorschlag wäre, das derzeitige Abfallbeseitigungssystem allmählich durch einzelne, kleine Kompostieranlagen zu ersetzen. Kleine Gebäude würden mit einer eigenen,  direkt unter den Toiletten befindlichen Abwasseranlage im kleinen: ausgestattet. Der im Haus anfallende grobe Abfall käme ebenfalls in die Anlage. Mit dem daraus entstandenen Humus, aber auch mit dem vom Baden und Waschen abfließenden Wasser könnte man den Boden um das Haus und in der Nachbarschaft-, anreichern.

Derartige Abwasseranlagen im kleinen sind im Handel erhältlich und werden derzeit in Schweden, Norwegen und Finnland eingesetzt. Sie werden unter den Marken Multrum oder Givus vertrieben; man kann sie zu Gesamtkosten von $ 1500 importieren — bei weitem billiger als die $ 2000, die man derzeit für herkömmliche Systeme zahlt. Ein bereits ausgearbeitetes Beispiel dazu ist nachzulesen bei Van der Ryn, Anderson und Sawyer, „Composting Privy", Technical Bulletin, Nr. 1, Natural Energy Design Center, University of California, Berkeley, Dept. of Architecture, Jänner 1974.

 Eine Muster Sprache 178 KOMPOST

Diese Kompostieranlagen sind so einfach angelegt, daß sie auch von Amateuren für viel weniger Geld zusammengebaut werden können. Im folgenden die Beschreibung eines besonders, einfachen Kompostiersystems:

Die Toilette ist an ein größeres Nebengebäude angeschlossen, das über einem Keller liegt. Dieser Keller ist von den Deckenträgern bis zum Boden zirka 2 m hoch. Deswegen war es am einfachsten, die Kompostgrube unter der Toilette ebenfalls 2 m tief zu machen... .

In der Kompostgrube unter der Toilette verwenden wir Torfmoos einerseits, weil es sehr Gut absorbiert, und andererseits, weil es kompakt zusammengeballt ist und sich gut lagern lässt. Wir verwenden auch ein wenig Gartenerde und Kalk.

In der Toilette steht immer ein Eimer voller Torfmoos, und nach jeder Benützung kippen wir etwa ein Viertel des Mooses darauf. So bleibt die Toilette ziemlich geruchlos. Wenn sie doch zu stinken anfängt, streue ich Kalk, Erdreich und eine zusätzliche Schicht Torfmoos nach. Das reicht. Ich denke, daß wir pro Jahr drei bis vier Ballen Torfmoos brauchen — für eine vierköpfige Familie und viele Gäste.

Meine Toilette zählt zu dem meist als Zwei-Loch-Toilette bezeichneten Typ, der für mein Kompostiersystem am geeignetsten erscheint. Wir benutzen nur ein Loch auf einmal. Wir benutzen A, bis der Dung auf 40 cm angewachsen ist. Darm wechseln wir zu B und benutzen es so lange, bis der Dung so hoch wie bei A ist. Dann wird der Haufen in A nach C geschaufelt, und so weiter. Wenn alle vier Positionen voll sind, werden C und D auf einen Haufen im Freien geschaufelt, wo man sie dann nach meinem Dafürhalten vor der Verwendung ein paar Wochen liegen lassen sollte. (Organic Gardening and Farming, Emmaus, Pennsylvania: Rodale Press, Februar 1972.)

 

Daraus folgt:

Leg alle Toiletten über einer trockenen Kompostgrube an. Leg alle Schächte für organischen Abfall so an, daß sie in die Grube münden und verwend den daraus entstehenden Kompost als Dünger.

 Eine Muster Sprache 178 KOMPOST 1

 

❖ ❖ 

 

Verstärk die Wirkung der Trockenkompostierung durch die Wiederverwertung von Abwässern; führ alle Abflussrohre in den Garten, um den Boden zu bewässern; verwend organische Seife - BADERAUM (144) ...

 

< Zurück zu 177 Weiter zu 179 >

 

177.0

... wir haben schon ein Muster für den nützlichen Aspekt von Gärten, sowohl öffentlichen als auch privaten — OBSTBÄUME (170); wir ergänzen dies mit einem kleineren, aber ebenfalls wichtigen Aspekt des Gartens, der in keinem öffentlichen oder privaten Garten fehlen sollte: Steigere den Wert von GEMEINSCHAFTSFLÄCHEN (67) und privaten Gärten — HALBVERSTECKTER GARTEN (111) - durch ein Stückchen Boden, auf dem die Leute Gemüse anbauen können.

 

❖ ❖ 

 

In einer gesunden Stadt kann jede Familie ihr eigenes Gemüse anbauen. Die Zeiten, in denen das als spezielles Hobby galt, sind vorbei; es ist ein wesentlicher Bestandteil des menschlichen Lebens.

 

Gemüse ist das wichtigste Grundnahrungsmittel. Im Vergleich zu Milchprodukten, Obst, Fleisch und künstlich hergestellten Lebensmitteln nimmt Gemüse den ersten Platz ein. Es sind auch die einzigen Lebensmittel, von denen der menschliche Organismus ausschließlich leben kann. Und es gibt kaum Zweifel daran, daß eine im ökologischen Gleichgewicht befindliche Welt auch voraussetzt, daß die Menschen in Bezug auf ihre tägliche Ernährung ein ausgewogenes Verhältnis zum Gemüse erlangen. (Siehe zum Beispiel F. Lappe, Diet für a Small Planet, New York: Ballantine, 1971.)

Seit der industriellen Revolution beziehen die Menschen ihr Gemüse immer mehr von unpersönlichen Produzenten; in einer Welt, wo Gemüse eine zentrale Bedeutung hat und die Selbstversorgung zunimmt, muß das eigene Gemüse für Familien jedoch ebenso selbstverständlich werden wie die frische Luft.

Das Stück Land, das ein Haushalt zum Anbau von eigenem Gemüse braucht, ist überraschend klein. Eine vierköpfige Familie kann auf etwa 400 Quadratmetern den gesamten Jahresbedarf an Gemüse decken. Und offensichtlich hat Gemüse in Bezug auf bestimmte Energiemengen — Sonne, Arbeit — einen höheren „Nährstoffertrag" als andere Lebensmittel. Das bedeutet daß sich jedes Haus oder jede Hausgruppe selbst mit Gemüse versorgen kann, und daß jeder Haushalt ohne ein eigenes Stück Land in seiner Nähe über einen Teil eines gemeinschaftlichen Gemüsegartens verfügen sollte.

Neben diesem grundlegenden Bedarf an Gemüsegärten in einer Stadt gibt es noch ein subtileres Bedürfnis. Parks, Alleebäume und gepflegte Rasenflächen tragen nur sehr wenig dazu bei, eine Verbindung zwischen den Menschen und dem Land herzustellen. Sie vermitteln uns nichts von dessen Produktivität und Leistungsvermögen. Viele Menschen, die in der Stadt geboren und aufgewachsen sind und ihr gesamtes Leben dort verbringen, wissen einfach nicht, woher die Lebensmittel, die sie essen, kommen oder wie ein echter Garten aussieht. Für sie besteht die einzige Beziehung zur landwirtschaftlichen Produktivität in den abgepackten Tomaten im Supermarktregal. Aber der Kontakt zum Land und dessen Wachstumsprozessen ist nicht allein eine schrullige Gepflogenheit aus vergangenen Zeiten, die wir ohne weiteres aufgeben können. Vielmehr handelt es sich dabei um einen grundlegenden Bestandteil in -der Entwicklung eines organischen Sicherheitsgefühls. Ganz tief im Innersten müssen die Stadtbewohner, die bei Bodenprodukten völlig von den Supermärkten abhängen, ein gewisses Gefühl der Unsicherheit verspüren.

 

177.1

Schulgarten in Amsterdam, von Kindern bewirtschaftet.

 

Gemeinschaftsgärten müssen auch nicht unbedingt teuer-Sein. Als, Bewohner von Santa Barbara im Mai 1970 beschlossen, im Stadtzentrum einen Garten anzulegen, bewiesen sie Erfindungsreichtum, Sie erwarben ein leerstehendes Grundstück im Stadtzentrum (zum Preis, von einem Dollar für sechs Monate), die Stadtverwaltung lieferte das; Wasser gratis und stellte für zwei Tage einen Traktor mitsamt' Fahrer zur Verfügung. Kompost war schnell aufgetrieben. Die Gruppe bekam Laub von den städtischen Gärten, kompostierten Schlamm vom der örtlichen Kläranlage und Pferdedünger von einem nahe gelegenen Reitklub. Werkzeug und Saatgut wurden gespendet. („Community Gardens", Bob Rodale, San Francisco Chronicle, 31. Mai 1972, S. 16.)

 

Daraus folgt:

Halt im privaten Garten oder auf einer Gemein-Halt im privaten Garten oder auf einer Gemeinschaftsflache ein Stück Land als Gemüsegarten frei.Eine vierköpfige Familie braucht etwa 400 m². Achte darauf, daß der Gemüsegarten an einer sonnigen Stelle liegt und für alle Haushalte, die ihn benützen, zentral liegt. Umzäun ihn und bau daneben einen kleinen Schuppen für die Gartengeräte.

 Eine Muster Sprache 177 GEMÜSEGARTEN

 

❖ ❖ 

 

Verwend als Dünger den natürlichen Kompost, der im Haus und in der Nachbarschaft entsteht — KOMPOST (178), und versuch zur Bewässerung des Bodens möglichst Abwässer zu verwenden — BADERAUM (144) ...

 

< Zurück zu 176 Weiter zu 178 >

Förderer:


Wien Kultur