EINE MUSTER-SPRACHE

STÄDTE - GEBÄUDE - KONSTRUKTION

Christopher Alexander, Sara Ishikawa, Murray Silverstein

mit Max Jacobson, Ingrid F. King, Shlomo Angel 

Für Verbreitung, Schulung und Ergänzung digitalisiert von:
THE PATTERN COMMUNITY - Institut zur Förderung menschengerechter Dörfer, Städte und Regionen

STÄDTE

Wir beginnen mit jenem Teil der Sprache, durch den eine Stadt oder Gemeinde definiert wird. Diese Muster können keinesfalls mit einem Schlag "entworfen" oder "gebaut" werden - nur geduldige und schrittweise Entwicklung, daraufhin angelegt, daß jede individuelle Maßnahme zur Entstehung dieser größeren, umfassenden Muster beiträgt, wird langsam und sicher über Jahre ein Gemeinwesen herbeiführen, das diese umfassenden Muster enthält. geduldige und schrittweise Entwicklung, daraufhin angelegt, daß jede individuelle Maßnahme zur Entstehung dieser größeren, umfassenden Muster beiträgt, wird langsam und sicher über Jahre ein Gemeinwesen herbeiführen, das diese umfassenden Muster enthält. 

GEBÄUDE

Hier werden die übergeordneten Muster ergänzt, die eine Stadt oder eine Gemeinde definieren. Wir beginnen jetzt jenen Teil der Sprache, die Gebäudegruppen und Einzelgebäuden ihre Form gibt, dreidimensional auf dem Grundstück. Das sind die Muster, die "entworfen" oder "gebaut" werden können - die Muster, die die einzelnen Gebäude und den Raum zwischen Gebäuden definieren. Zum ersten Mal behandeln wir Muster,die innerhalb der Kontrolle von Einzelpersonen oder kleinen Personengruppen liegen, die diese Muster in einem Zug realisieren können.

 

KONSTRUKTION

In dieser Phase haben wir einen vollständigen Entwurf für ein einzelnes Gebäude. Wenn die gegebenen Muster befolgt wurden,so hat man ein Schema der Räume, sei es mit Stecken auf dem Boden markiert oder auf einem Stück Papier - etwa aufeinen halben Meter genau. Man kennt die Höhe der Räume, die ungefähre Größe und Lage der Fenster und Türen, und man weiß ungefähr, wie die Dächer des Gebäudes und die Gärten anzuordnen sind.

Der nächste und letzte Teil der Sprache erklärt einem, wie man direkt aus diesem groben Raumschema ein baubares Gebäude macht, und erklärt auch im Detail, wie es zu bauen ist.

PROLOG

 

192.0

... das folgende Muster hilft bei der Ergänzung der vorhergehenden Muster, die jedem Raum seine Gestalt geben: LICHT VON ZWEI SEITEN IN JEDEM RAUM (159), VERSCHIEDENE RAUMHÖHEN (190), und DIE FORM DES INNENRAUMS (191). Herrscht über - diese Muster Klarheit, kann man mit dem folgenden Muster Lage der Fenster in den Wänden genauer bestimmen. Es legt fest, wie viele Fenster es geben sollte, in welchen Abständen, und wie ihre Gesamtfläche sein sollte.

 

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Räume ohne Ausblick sind Gefängnisse für die Menschen, die sich darin aufhalten müssen.

 

Wenn Menschen für eine bestimmte Zeit an einem Ort sind, müssen sie die Möglichkeit haben, sich durch einen Blick auf eine andere Welt als jene, in der sie sich gerade befinden zu entspannen — eine Welt, die genügend eigene Vielfalt und eigenes Leben hat, um Entspannung zu bieten.

Amos Rapoport liefert schriftliche Schilderungen von drei fensterlosen Seminarräumen an der Universität Kalifornien. Die Schilderungen — von Englischlehrern und -studenten, die gebeten wurden, als Teil einer schriftlichen Übung die Zimmer zu beschreiben — sind überaus negativ, obwohl niemand diese Richtung vorgab, und in vielen Fällen bezieht sich das auf die fensterlose, schachtelförmige, von der Außenwelt isolierte Beschaffenheit der Räume.

Hier zwei Beispiele:

Zimmer_5646 ist ein unangehmer Unterrichtsraum, weil man sich. unter den surrenden Leuchtstoffröhren und hohen schallgedämpften Decken, zwischen den Waschbecken, Vitrinen und Rohren und umgeben von leerem Raum von der restlichen Welt abgeschnitten und isoliert vorkommt.

Das große und nahezu leere, fensterlose Zimmer mit seinen festen, erdrückenden und kahlen grauen Wanden erzeugte weder Ablehnung noch Gefallen; man hätte leicht vergessen können, wie eingesperrt man war. (Amos Rapoport, „Some Consumer Comments on a Designed Environment", Arena — The Architecural Association Journal, Jänner 1967, S. 176-178.)

Brian Wells, der von Büroangestellten gewählte Arbeitspositionen untersuchte, stellte fest, daß 81 Prozent aller Befragten

Positionen neben dem Fenster wählten. (Office Design: A Study of Environment, Peter Manning, Hrsg., Pilkington Research Unit, Department of Building, University of Liverpool, 1965, S. 118 — 121.) Viele der Befragten nannten als Grund für ihre Wahl nicht 1) sehr die „Aussicht" als das „Tageslicht". Aber an einer anderen Stelle im Bericht wird gezeigt, daß weit vom Fenster entfernt sitzende Büroangestellte die Menge an Tageslicht, die 'sie erhalten, im Vergleich zum künstlichen Licht weit überschätzen. (Office Design, 5. 58). Das deutet darauf hin, daß Leute nicht nur wegen des Tageslichts gern in der Nähe von Fenstern sind.. Unsere Vermutung, daß die Aussicht große Bedeutung hat, ;erhält zusätzliches Gewicht durch die Tatsache, daß die Leute weniger gern neben Fenstern sitzen, die auf Lichthöfe hinausgehen, die also Tageslicht hereinlassen, aber keine Aussicht bieten.

Und Thomas Markus weist eindeutig nach, daß Büroangesteilte signifikante Aussichten — auf das Stadtleben, die Natur — gegenüber Aussichten auf durchaus große Flächen, aber mit uninteressanten und weniger bedeutungsvollen Elementen, bevorzugen. (Thomas A. Markus, „The Function of Windows: A Reappraisal", Building Science, 2, 1967, S. 97-121; siehe insbesondere S.109.)

Gehen wir also davon aus, daß Menschen den Ausblick auf eine Welt, die sich von ihrer unmittelbaren Umgebung unter-'scheidet, brauchen. Wir machen nun ganz grobe Angaben für die Gesamtfläche von Fenstern in einem Raum. Die erforderliche Fensterfläche hängt zu einem Großteil vom Klima, dem Breitengrad und der Menge an reflektierenden Fläche außerhalb des Gebäudes ab. Man kann jedoch mit ziemlicher Sicherheit davon ausgehen, daß das Verhältnis Fußbodenfläche/Fensterfläche, obwohl von Region zu Region verschieden, innerhalb einer bestimmten Region mehr oder weniger konstant ist. .- Deshalb empfehlen wir jedem, sich in der Stadt, in der er lebt, umzusehen und ein halbes Dutzend Räume, die ihm vorn Licht her gefallen, auszuwählen. Bei diesen Räume stellt man dann `die Fensterfläche als Prozentsatz der Fußbodenfläche fest und nimmt von den verschiedenen Verhältnissen den Durchschnittswert.

In unserer Region - Berkeley, Kalifornien - sind nach unserer Feststellung Räume am angenehmsten, wenn sie ungefähr 25 Prozent Fensterfläche haben - manchmal sogar bis zu 50 Prozent - (das heißt, 2,5 - 5 m² Fenster für 10 m² Fußboden)., Aber wir betonen noch einmal, daß diese Zahlen von Region zu Region sehr unterschiedlich sein werden. Man denke nur an Rabat, Timbuktu, die Antarktis, Nordnorwegen, Italien oder an den brasilianischen Dschungel.

 

Daraus folgt:

Leg in jedem Raum die Fenster so an, daß ihre Gesamtfläche in etwa dem der Region angemessenen Verhältnis entspricht (25 Prozent oder mehr der Fußbodenfläche im Gebiet der San Francisco Bay), und dorthin, wo sie die bestmögliche Aussicht auf die Außenwelt bieten: auf Aktivitäten auf der Straße, ruhige Gärten, auf alles, was anders ist als der Innenraum.

 Eine Muster Sprache 192 FENSTER MIT BLICK AUF DIE AUSSENWELT

 

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Stimm die genaue Läge der Fenster erst dann ab, wenn sie gebaut werden - TÜREN UND FENSTER NACH BEDARF (221); sorg für eine KLEINE SCHEIBENTEILUNG (239) bei den Fenstern; statte jedes Fenster mit einer NIEDRIGEN BRÜSTUNG (222) aus, um die Aussicht zu verbessern, und mit TIEFEN LAIBUNGEN (223), damit das Licht im Inneren so weich wie möglich ist ...

 

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... durch VERSCHIEDENE RAUMHÖHEN (190) kann man sich bereits jedes Geschoß im Gebäude als eine Kaskade von Raumhöhen vorstellen, die in der Mitte, wo die größten Räume liegen, am höchsten und dort, wo die kleineren Räume liegen, niedriger wird; sie verändert sich auch von Geschoß zu Geschoß, so daß die unteren Geschosse im Durchschnitt eine eher größere Raumhöhe haben als die oberen Geschosse. Das folgende Muster beschäftigt sich nun mit jedem einzelnen Raum innerhalb dieser Kaskade und gibt ihm eine genauere Form.

 

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Die vollkommen kristallinen Quadrate und Rechtecke in der ultramodernen Architektur ergeben weder vom Standpunkt des Menschen noch dem der Konstruktion einen besonderen Sinn. Sie drücken lediglich die starren Wünsche und Phantasien von Menschen aus, die sich zu sehr um Systeme und die Methoden ihrer Produktion kümmern.

 Eine Muster Sprache 191 FORM DES INNENRAUMS

Um diesem Wahnsinn zu entkommen, hat eine neue Denkrichtung den rechten Winkel völlig verdrängt. Viele der neuen organischen Technologien schaffen Gebäude und Räume, die mehr oder weniger wie der Mutterleib oder wie Löcher und Höhlen geformt sind.

Eine Muster Sprache 191 FORM DES INNENRAUMS 1

Aber diese biologischen Räume sind ebenso irrational, auf Bildern und Phantasien aufgebaut wie die starren Kristalle, die sie zu ersetzen versuchen. Wenn wir an den Einfluß denken, den die Menschen auf Räume ausüben, stellen wir fest, daß sie eine dazwischenliegende Gestalt haben sollten. Es gibt Gründe dafür, daß ihre Seiten mehr oder weniger gerade sein- sollten; und dafür, daß sie annähernd rechtwinklige Ecken haben sollten, wenigstens die meisten von ihnen. Aber nichts spricht dafür, daß ihre Seiten vollkommen gleich sind oder ihre Ecke absolut rechtwinklig sind. Sie brauchen nur unregelmäßige, annähernde, unvollkommene Rechtecke zu bilden.

Der Kern unserer Überlegungen ist folgender: Wir fördern, daß jeder Raum, der durch Wände als solcher festgelegt und erkennbar ist, annähernd gerade Wände haben sollte, außer wenn die Wände dick genug sind, um nach beiden Seiten konkav zu sein. Das hat einen einfachen Grund. Jede Wand hat auf beiden Seiten soziale Räume. Da ein sozialer Raum konvex ist - siehe die ausführliche Darstellung in POSITIVER AUSSENRAUM (106) - muß er entweder eine Wand haben, die konkav ist (und auf diese Weise einen konvexen Raum schafft) oder eine Wand, die vollkommen gerade ist. Aber jede „dünne" Wand, die nach einer Seite hin konkav ist, ist auf der anderen Seite konvex und bildet demnach zumindest auf einer Seite einen konkaven Raum.

 Eine Muster Sprache 191 FORM DES INNENRAUMS 2

Eine Muster Sprache 191 FORM DES INNENRAUMS 3

Im wesentlichen muß also jede Wand mit sozialen Räumen auf beiden Seiten gerade sein, außer dort, wo sie dick genug ist, um auf beiden Seiten konkav zu sein. Und natürlich kann eine Wand gekrümmt sein, so lange an ihrer Außenseite kein wichtiger sozialer Raum liegt. Das ist manchmal der Fall, wenn ein Eingang auf die Straße oder ein Erkerfenster in einen Teil des Gartens hinausragt, der dadurch nicht beeinträchtigt wird.

 Eine Muster Sprache 191 FORM DES INNENRAUMS 4

Soviel zu den Wänden. Sie müssen meistens annähernd gerade sein. Nun zu den Winkeln zwischen den Wänden. Spitze Winkel sind fast nie geeignet, und zwar wieder aus Gründen der sozialen Einheit. Einen spitzen Winkel in einem Raum anzulegen, der funktionieren soll, ist äußerst mühsam. Da unsere Überlegungen zur Konvexität einen Winkel von mehr als 180 Grad ausschließen, müssen die Ecken des Raums fast immer einen stumpfen Winkel zwischen 80 und 180 Grad bilden. (80 Grad deshalb, weil ein paar Grad weniger als ein rechter Winkel nichts ausmachen.)

 Eine Muster Sprache 191 FORM DES INNENRAUMS 5

Und noch ein Wort zu den Winkeln. Meistens fügen sich Räume so aneinander, daß annähernd rechte Winkel (sagen wir, zwischen 80 und 100 Grad) am sinnvollsten erscheinen. Der Grund dafür ist ganz einfach, daß sich stumpfere Winkel gut an Ecken, wo mehrere Räume aufeinander treffen, nicht addieren. Das sind die häufigsten typischen Ecken:

 Eine Muster Sprache 191 FORM DES INNENRAUMS 6

Das bedeutet, daß die Mehrzahl der Räume in einem Gebäude im Grundriß polygonal sein muß, mit annähernd geraden Wänden und stumpfwinkligen Ecken. In den meisten Fällen werden sie wahrscheinlich unregelmäßige, aneinandergedrückte, annähernde Recktecke bilden. In Wirklichkeit werden die Berücksichtigung des Bauplatzes und die Feinheiten des Grundrisses unweigerlich zu leicht unregelmäßigen Formen führen. Und gelegentlich können sie auch gekrümmte Wände haben - entweder wenn die Wand so dick ist, daß sie auf beiden Seiten konkav ist, oder im Fall einer Außenwand, wenn außen kein wichtiger sozialer Raum liegt.

 Eine Muster Sprache 191 FORM DES INNENRAUMS 7

Noch ein Punkt. Unsere Erfahrungen haben eine noch radikalere Version dieses Musters mit sich gebracht — welche auch die Form der Decken einschränkt. Genauer gesagt, glauben wir, daß sich Menschen in Räumen wie diesen unbehaglich fühlen:

 Eine Muster Sprache 191 FORM DES INNENRAUMS 8

Wir können über die möglichen Gründe für dieses Unbehagen nur Vermutungen anstellen. Es ist durchaus möglich, daß es auf dem Bedürfnis eines Menschen beruht, von einer sphärischen Luftblase umgeben zu sein, die in etwa der menschlichen Achse entspricht. Raumformen, die ungefähr dieser Luftblase entsprechen, sind behaglich, jene, die stark davon abweichen, unbehaglich. Vielleicht fühlen wir uns nicht ganz wie Personen, wenn sich der Raum uni uns herum zu stark von der imaginären sozialen Luftblase unterscheidet.

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Eine Decke, die flach ist oder in einer oder zwei Richtungen gewölbt, hat die nötige Beschaffenheit. Eine Decke, die auf eine Seite hin geneigt ist, hat sie nicht. Wir möchten aber betonen, daß diese Mutmaßung nicht als Argument für starre, simple oder streng symmetrische Räume gedacht ist. Wir sprechen uns lediglich gegen eher abnormale Räume mit einseitig geneigten Decken, hohen, spitz zulaufenden Decken, seltsamen Ausbuchtungen in den Raum hinein und einspringende Winkel an der Wand aus.

 

Daraus folgt:

Abgesehen von gelegentlichen Ausnahmen mach je. den Innenraum oder jeden Teil eines Raums grob rechteckig, mit annähernd geraden Wänden, im großen und ganzen rechten Winkeln in den Ecken und einem annähernd symmetrischen Gewölbe über jedem Raum.

 Eine Muster Sprache 191 FORM DES INNENRAUMS 9a

 

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Man kann den Raum mit einem Pfeiler an jeder Ecke begrenzen - PFEILER IN DEN ECKEN (212); und die Gestalt der Decke kann sich durch das Deckengewölbe genau ergeben - ANLAGE DER GESCHOSSDECKEN (210), GEWÖLBEDECKEN (219). Vermeid gekrümmte Wände, außer wo sie unbedingt notwendig sind - WANDSCHALEN (218). Wo Wände mit gelegentlichen Krümmungen wie einem Erkerfenster nach außen vorspringen, leg sie so an, daß sie zu einem POSITIVEN AUSSENRAUM (106) beitragen. Mach zwischen den Zimmern großzügige, tiefe Wände - DICKE WÄNDE (197), SCHRÄNKE ZWISCHEN RÄUMEN (198); und wo es geeignet erscheint, mach DURCHBROCHENE WÄNDE (193). Was die Muster der tragenden Konstruktion, der Technik und des Baus betrifft, fang bei DIE KONSTRUKTION FOLGT DEN SOZIALEN RÄUMEN (205) an ...

 

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 190.0

... das folgende Muster trägt dazu bei, den Räumen ihre Gestalt zu geben. Es ist daher eine Ergänzung aller Muster, von denen Räume, Arkaden, Balkone, Zimmer im Freien oder kleinere Räume bestimmt werden: kurz, nahezu jedes der letzten 100 Muster. Wenn man sich diese Räume auf dem Bauplatz selbst bereits vorgestellt hat, dann sieht man sie im Geiste schon dreidimensional vor sich: Sie haben Raumvolumen. und sind nicht nur Flächen am Grundriß. Mit dem folgenden Muster, das die Raumhöhe bestimmt, und dem nächsten Muster, das die genaue Form jedes Raums bestimmt, sowie mit den übrigen Mustern dieser Sprache verwirklichen wir diese dreidimensionale Vorstellung vom Gebäude.

 

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Ein Gebäude mit durchlaufend gleichen Raumhöhen ist praktisch außerstande, Wohlbefinden zu vermitteln.

 

In gewisser Weise stehen niedrige Decken für Intimität und hohe Decken für Formalität. Bei älteren Gebäuden, die wechselnde Raumhöhen ermöglichten, wurde das fast als Selbstverständlichkeit betrachtet. Bei Gebäuden, die vor allem aus genormten Teilen bestehen, können nur sehr schwer von Raum zu Raum verschiedene Raumhöhen verwendet werden, und deshalb wird darauf meist vergessen. Und die Leute verzichten nicht ungern darauf, weil sie die große psychologische Bedeutung von verschiedenen Raumhöhen vergessen haben.

Wir haben im Laufe der Jahre, in denen wir die Bedeutung Verschiedener Raumhöhen zu vermitteln versuchten, drei verschiedene Theorien vorgebracht, und wir werden nun die Entwicklung dieser drei Theorien aufzeigen, weil dadurch die Problematik klarer wird; außerdem kann sich dann wahrscheinlich jeder das Muster für sich selbst besser zurechtlegen.

Theorie eins. Die Raumhöhe sollte auf die Länge und Breite des Raums abgestimmt sein, weil es sich um ein Proportions-problem handelt; die Menschen fühlen sich je nach den Proportionen eines Raums wohl oder unbehaglich.

Es wurde schon viel versucht, Regeln für die „richtige Proportton eines Raums aufzustellen. Palladio legte zum Beispiel drei Proportionsregeln fest: Allen gemeinsam war das Merkmal, daß die Höhe eines Raums zwischen dessen Länge und Länge und Breite liegen sollte.

In der traditionellen japanischen Architektur wird diese Überlegung durch eine einfache Faustregel wiedergegeben: Die Höhe eines Zimmers beträgt 190 cm + (9,4 x die Zahl der Tatami in einem Zimmer) cm. Auf diese Weise wird ein direkter Bezug zwischen Bodenfläche und Raumhöhe hergestellt. Ein sehr kleines Zimmer (3 Matten) hat eine Raumhöhe von 218 cm. Ein großes Zimmer (12 Matten) hat eine Raumhöhe von 303 cm (Siehe Heinrich Engle, The Japanese House, Rutland Vernlont Charles E. Tuttle Company, 1964, S. 68 -71.)

So vernünftig diese Methode in gewissen Fällen auch sein mag, so ist sie dennoch ganz eindeutig kein wirklich gültiges geometrisches Prinzip. Es gibt viele Räume mit extrem niedrigen Decken, vor allem in kleineren und informelleren Häusern, die sehr angenehm sind, obwohl sie gegen Palladios Prinzipien und die japanische Faustregel verstoßen.

Theorie zwei. Die Raumhöhe steht in Verbindung mit der sozialen Distanz der Menschen in einem Raum und ist. daher unmittelbar mit dem zwischen ihnen vorhandenen Maß an Intimität verbunden.

Diese Theorie erklärt, was an schlecht proportionierten Zimmern falsch ist und bietet im Ansatz eine funktionelle Grundlage, die richtige Höhe für verschiedene Räume festzulegen. Der springende Punkt ist das Problem der angemessenen sozialen Distanz. Man weiß, daß es in verschiedenen sozialen Situationen passende oder unpassende Entfernungen zwischen den Menschen gibt. (Siehe Edward Hall, The Silent Language, New York: Doubleday, 1959, S. 163-164; und Robert Sommer „The Distance for Comfortable Conversation", Sociometry, 1962, S. 111-116.) Die Raumhöhe beeinflußt die soziale Distanz, auf zwei Weisen:

  1. Die Höhe einer Decke hat offenbar einen Einfluß auf die scheinbare Distanz zwischen einer Schallquelle und dem Hörer. So scheinen Schallquellen bei einer niedrigen Decke näher zu sein als sie tatsächlich sind; bei einer hohen Decke scheinen sie weiter entfernt zu sein als in Wirklichkeit.

    Da der Schall ein wichtiger Faktor bei der Wahrnehmung von Entfernungen zwischen Menschen ist (Stimme, Schritte, Rascheln usw.), heißt das, daß die Raumhöhe die scheinbare Distanz zwischen Menschen verändert. Bei einer hohen Decke Scheinen die Leute weiter entfernt zu sein als sie tatsächlich sind.

    Ausgehend von dieser Wirkung ist klar, daß intime Situationen sehr niedrige Raumhöhen erfordern, weniger intime Situationen höhere Decken, formelle Orte hohe Decken; und sehr öffentliche Situationen erfordern die größte Raumhöhe: Beispiele sind der Baldachin über dem Doppelbett — eine Nische neben dem Kamin — ein formelles Empfangszimmer mit hoher Decke - der Hauptbahnhof.

  2. Mittels gedachter dreidimensionaler „Luftblasen". Wir wissen, daß jede soziale Situation einen bestimmten horizontalen Maßstab oder Durchmesser hat. Man könnte sich das wie eine. Art von Membran oder Luftblase, welche die Situation umgibt, vorstellen. Aller Wahrscheinlichkeit nach braucht diese Luftblase auch eine vertikale Komponente — in gleicher Größe wie ihr Durchmesser. Wenn dem so ist, dann muß die Raumhöhe gleich der vorhandenen sozialen Distanz im Raum sein, damit man sich wohlfühlt. Da die Leute im Hauptbahnhof einander fremd sind und die tatsächliche soziale Distanz zwischen ihnen etwa 30 m beträgt, wäre somit erklärt, warum der Raum sehr hoch sein muß; ähnlich muß der Raum über einer intimen Nische oder einem Doppelbett, wo die soziale Distanz nicht mehr als 1,5 m oder 1,8 m beträgt, sehr niedrig sein.

Theorie drei. Obwohl beide der angeführten Theorien wertvolle Einsichten enthalten, müssen sie zumindest geringfügig falsch sein, weil sie davon ausgehen, daß die absolute lichte Hohe in einem Raum entscheidende funktionelle Auswirkungen hat. In Wirklichkeit ist die absolute Raumhöhe nicht sogen hat. In Wirklichkeit ist die absolute Raumhöhe nicht so ausschlaggebend, wie Theorie eins und zwei vermuten lassen.

So könnte zum Beispiel der intimste Raum in einem Iglu nicht höher als 1,5 m sein; in einer heißen Klimazone sind aber vielleicht sogar die intimsten Räume 2,7 m hoch. Daraus wird ersichtlich, daß die absolute Raumhöhe auch durch andere Faktoren bestimmt wird: durch Klima und Kultur. Offensichtlich kann also keine Theorie, die eine absolute Höhe für eine bestimmte soziale Situation oder für eine Raumgröße vorschreibt, richtig sein. Was steckt dann dahinter? Warum gibt es verschiedene Raumhöhen? Welche funktionelle Wirkung wird damit erzielt?

Wir sind letztlich zu dem Schluß gekommen, daß es eben auf die Unterschiede selbst ankommt, nicht bloß auf die absolute Höhe eines gegebenen Raums. Denn wenn ein Gebäude Räume mit verschiedenen Höhen hat und die Höhe (aus den erwähnten Gründen) die sozialen Beziehungen beeinflußt, dann ermöglicht die bloße Tatsache, daß die Raum höhen variieren, den Leuten je nach dem erwünschten Grad an Intimität, von hohen Räumen in niedrige zu wechseln und umgekehrt — weil sie wissen, daß jeder die Beziehung zwischen Intimität und Raumhöhe empfindet.

Nach dieser Theorie ist die Wirkung der Raumhöhe keine direkte; vielmehr besteht eine komplexe Wechselwirkung zwischen Mensch und Raum; die Leute fassen die verschiedenen Raumhöhen in einem Gebäude als Botschaften auf und stimmen ihren Standort darauf ab. Sie fühlen sich wohl oder unbehaglich, je nachdem ob sie an diesem Entscheidungsprozeß beteiligt sind, und fühlen sich dann sicher, wenn sie eine Stelle mit passender Intimität ausgewählt haben.

Schließlich sind noch ein paar Anmerkungen zur Durchführung dieses Musters notwendig. Bei einem eingeschossigen Gebäude gibt es keine Probleme; die Raumhöhen können nach Belieben variieren. In mehrgeschossigen Gebäuden ist das jedoch nicht so einfach. Die Böden der darüberliegenden Geschosse sollten mehr oder weniger eben sein; und das führt natürlich zu Problemen, wenn darunter die Raumhöhen wechseln sollen. Hier einige Hinweise, die vielleicht zur Lösung beitragen:

  1. Bau dort, wo du eine geringere Raumhöhe haben möchtest, zwischen den Fußböden und den Decken mindestens 60 cm tiefe Abstellräume.Eine Muster Sprache 190 VERSCHIEDENE RÄUMHÖHEN 1
  2. Bau zwei Nischen übereinander. Wenn jede 1,9 m hoch ist, liegt die Hauptdecke in 4 m Höhe, was sich gut für sehr öffentliche Räume eignet.Eine Muster Sprache 190 VERSCHIEDENE RÄUMHÖHEN 2
  3. Heb das Niveau des Fußbodens mit Hilfe von Stufen an, anstatt die Decke zu senken.Eine Muster Sprache 190 VERSCHIEDENE RÄUMHÖHEN 3
  4. Es ist sehr wichtig, einige Räume nur 2,10 m bis 2,30 m hoch zu machen - diese Zimmer sind sehr schön.
  5. Außer bei eingeschossigen Gebäuden sind Räume mit niedriger Decke vor allem in den oberen Geschossen sinnvoll; tatsächlich sollte die Raumhöhe von Geschoß zu Geschoß abnehmen - die öffentlichsten Räume für große Zusammenkünfte liegen normalerweise im Erdgeschoß, und je weiter die Räume vorn Boden entfernt sind, desto intimer werden sie.Eine Muster Sprache 190 VERSCHIEDENE RÄUMHÖHEN 4

 

Daraus folgt:

Wechsle im gesamten Gebäude die Raumhöhen, vor allein zwischen Räumen, die miteinander verbunden sind, damit die relative Intimität verschiedener Räume spürbar wird. Mach jene Räume hoch, die öffentlich sind oder für große Zusammenkünfte dienen sollen (3 m bis 3,7 m); jene für kleinere Zusammenkünfte niedrig (2,15 m bis 2,75 m) und die Zimmer oder Nischen für eine oder zwei Personen sehr niedrig (1,85 in bis 2,15 m).

 Eine Muster Sprache 190 VERSCHIEDENE RÄUMHÖHEN 5

 

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Der Bau von gewölbten Decken sorgt fast automatisch für verschiedene Raumhöhen, da das Gewölbe in ungefähr 2 m Höhe anfängt und um eine weitere Höhe, die einem Fünftel de. Raumdurchmessers entspricht, steigt — GEWÖLBTE DECKEN (219). Wenn sich die Raumhöhe innerhalb eines Geschosse verändert, bau zwischen den verschiedenen Höhen Abstellräume ein — ABSTELLRAUM (145). Entnimm die Form der einzelner Räume mit bestimmten Höhen aus DIE FORM DES INNENRAUMS (191) und DIE KONSTRUKTION FOLGT DEN SOZIALEN RÄUMEN (205); und variiere die Raumhöhe von Geschoß zu Geschoß - die höchsten Räume im Erdgeschoß und die niedrigsten in obersten Geschoß — siehe die Tabelle in VERTEILUNG DER PFEILER (213) ...

 

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189.0

... wenn die Lage der Betten feststeht - EHEBETT (187), BETTNISCHEN (188) -, können wir uns mit den Ankleidebereichen eingehender befassen - und zwar sowohl mit den Kleiderschränken, als auch mit den Bereichen, die man zum Ankleiden benützt. Diese Ankleidebereiche können auch zur Gestalt des BADERAUMS (144) beitragen.

 

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Das Ankleiden und Entkleiden, die Aufbewahrung - und das Herumliegenlassen von Kleidern haben mit anderen Tätigkeiten an sich nichts zu tun. In Wirklichkeit wirken sie sogar störend auf andere Aktivitäten: Sie sind so eigenständig, daß sie selbst konzentrierten Raum benötigen, der keine andere Funktion hat.

 

In BETTNISCHEN (188) haben wir erklärt, daß der Begriff des Schlafzimmers nutzlosen Raum um das Bett herum schafft. Das folgende Muster stellt ein weiteres Argument für die Behauptung dar, daß „Schlafzimmer" in ihrer derzeitigen Form keine wirkliche Daseinsberechtigung in einem Haus haben.

Die Überlegungen sind folgende:

  1. Herumliegende Kleider sind unordentlich; sie können viel Raum beanspruchen; sie brauchen eine Art eigenen Raum. Ein Ankleideraum kann für eine Person angelegt sein oder von einem Paar geteilt werden. Wichtig dabei ist, daß er als kleiner Raum organisiert ist, in dem man bequem Kleider aufbewahren und sich ankleiden kann. Wenn kein solcher Raum vorhanden ist, wird das gesamte Schlafzimmer zum potentiellen Ankleidezimmer; und das kann die Integrität des Raums zerstören. Er wird mehr und mehr zu einem großen Kleiderschrank, den man ständig aufräumen muß, und nicht ein Zimmer, in dem man sich gern aufhält und entspannt.
  2. Die Leute nehmen beim Ankleiden meist eine schamvolle Haltung ein, auch wenn ihnen die Menschen, mit denen sie leben, sehr nahestehen. Selbst in einem Umkleidezimmer drehen sich die Leute beim Ankleiden halb von den anderen weg. Das deutet darauf hin, daß der Räum zum Ankleiden relativ privat sein sollte. Die altmodischen Wandschirme in den Schauspielergarderoben oder im Boudoir kamen dem entgegen, sie schufen einen halbprivaten Ankleideraum.
  3. Die Zeit des An- oder Entkleidens ist eine natürliche Übergangsperiode des Tages. In dieser Zeitspanne denkt man daran, was einen än diesem Tag erwartet oder man läßt den Tag noch einmal Revue passieren und bereitet sich auf >das Schlafen vor. Wenn man das An- und Entkleiden für einen Augenblick lang von dieser Seite betrachtet, wird klar, daß de/ Ankleideraum diese Übergangssituation bereichern kann. Ein richtiger Ort zum Ankleiden hat beispielsweise schönes, natürliches Licht; das erfordert einen ebenso sorgsamen Entwurf wie irgendein anderer Raum — siehe beispielsweise LICHT VON ZWEI SEITEN IN JEDEM RAUM (159).
  4. Der Ankleideraum sollte groß genug sein, sodaß man die Arme ausstrecken und sich umdrehen kann. Das heißt 1,8 m bis 2 m freie Fläche. Er muß auch ungefähr 2 m zum Aufhängen der Kleider haben, weitere 2 m offene Regale und einig( Schubladen für jede Person. Das sind ungefähre Zahlen. Siel dir den eigenen Wandschrank und die Regale an, überleg dir was du wirklich brauchst und mach eine grobe Schätzung.

 

Daraus folgt:

Statte jede Person mit einem Ankleidezimmer aus - entweder für sich allein oder geteilt —, das zwischen Bett und Baderaum liegt. Mach dieses Ankleidezimmer groß genug, sodaß es eine freie Fläche von mindesten; 2 Metern Durchmesser hat; etwa 2 Laufmeter zum Auf hängen der Kleidung; und weitere 2 m offener Regale zwei bis drei Schubladen; und einen Spiegel.

 Eine Muster Sprache 189 ANKLElDEZIMMER

 

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Leg jedes Ankleidezimmer so an, daß es genügend natürliches LICHT VON ZWEI SEITEN (159) hat. Verwend DICKE WÄNDE (197), SCHRÄNKE ZWISCHEN RÄUMEN (198) und OFFENE REGALE (200), um seine Wände zu bilden; füg außen herum ein breites Regal hinzu — BORD IN HÜFTHÖHE (201); und was die genaue Raumform betrifft, siehe DIE FORM DES INNENRAUMS (191) ...

 

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