EINE MUSTER-SPRACHE

STÄDTE - GEBÄUDE - KONSTRUKTION

Christopher Alexander, Sara Ishikawa, Murray Silverstein

mit Max Jacobson, Ingrid F. King, Shlomo Angel 

Für Verbreitung, Schulung und Ergänzung digitalisiert von:
THE PATTERN COMMUNITY - Institut zur Förderung menschengerechter Dörfer, Städte und Regionen

STÄDTE

Wir beginnen mit jenem Teil der Sprache, durch den eine Stadt oder Gemeinde definiert wird. Diese Muster können keinesfalls mit einem Schlag "entworfen" oder "gebaut" werden - nur geduldige und schrittweise Entwicklung, daraufhin angelegt, daß jede individuelle Maßnahme zur Entstehung dieser größeren, umfassenden Muster beiträgt, wird langsam und sicher über Jahre ein Gemeinwesen herbeiführen, das diese umfassenden Muster enthält. geduldige und schrittweise Entwicklung, daraufhin angelegt, daß jede individuelle Maßnahme zur Entstehung dieser größeren, umfassenden Muster beiträgt, wird langsam und sicher über Jahre ein Gemeinwesen herbeiführen, das diese umfassenden Muster enthält. 

GEBÄUDE

Hier werden die übergeordneten Muster ergänzt, die eine Stadt oder eine Gemeinde definieren. Wir beginnen jetzt jenen Teil der Sprache, die Gebäudegruppen und Einzelgebäuden ihre Form gibt, dreidimensional auf dem Grundstück. Das sind die Muster, die "entworfen" oder "gebaut" werden können - die Muster, die die einzelnen Gebäude und den Raum zwischen Gebäuden definieren. Zum ersten Mal behandeln wir Muster,die innerhalb der Kontrolle von Einzelpersonen oder kleinen Personengruppen liegen, die diese Muster in einem Zug realisieren können.

 

KONSTRUKTION

In dieser Phase haben wir einen vollständigen Entwurf für ein einzelnes Gebäude. Wenn die gegebenen Muster befolgt wurden,so hat man ein Schema der Räume, sei es mit Stecken auf dem Boden markiert oder auf einem Stück Papier - etwa aufeinen halben Meter genau. Man kennt die Höhe der Räume, die ungefähre Größe und Lage der Fenster und Türen, und man weiß ungefähr, wie die Dächer des Gebäudes und die Gärten anzuordnen sind.

Der nächste und letzte Teil der Sprache erklärt einem, wie man direkt aus diesem groben Raumschema ein baubares Gebäude macht, und erklärt auch im Detail, wie es zu bauen ist.

PROLOG

 

253.0

... wenn schließlich alles an Ort und Stelle ist und man in die Räume einzieht, die man selbst errichtet hat, überlegt man vielleicht, welche Dinge man an die Wände hängen könnte.

 

❖ ❖ 

 

„Ausstattung" und der Begriff der „Innenarchitektur" haben sich so stark durchgesetzt, daß die Menschen bei den Dingen, die sie wirklich gern um sich hätten, ihren eigenen Instinkt vernachlässigen.

 

Für diese einfache Tatsache gibt es zwei Betrachtungsweisen. Man kann sie vorn Standpunkt der Person, der der Raum gehört, betrachten, und vom Standpunkt der Leute, die sie dort besuchen. Vom Standpunkt des Besitzers aus sollten offensichtlich die Dinge um einen auch jene Dinge sein, die einem am meisten bedeuten; Dinge, die so wichtig sind, daß sie bei der ständigen Veränderung der Persönlichkeit, die das Leben darstellt, eine Rolle spielen. Das ist soweit klar.

Aber diese Funktion ist in unserer Zeit mehr und mehr unterhöhlt wurden, weil sich die Leute nach außen, nach anderen richten, nach denen, die sie besuchen kommen; sie haben ihre natürlichen, instinktiven Dekorationen durch Dinge ersetzt, von denen sie annehmen, daß sie ihren Besuchern gefallen und sie beeindrucken. Das ist der Beweggrund für die vielen Seiten über Inneneinrichtung und Dekor in den Frauenmagazinen. Und Designer spielen mit diesen Ängsten, indem sie totales Design entwerfen und den Leuten sägen, daß sie weder etwas umstellen, noch die Wände anstreichen, noch eine zusätzliche Pflanze aufstellen dürften, weil sie nicht mit den Geheimnissen guten Designs vertraut wären.

Das Lustige daran ist, daß die Besucher, die in einen Raum kommen, diesen Unsinn genauso wenig wollen wie die Menschen, die dort leben. Es ist weitaus faszinierender, ein Zimmer zu betreten, das der lebendige Ausdruck einer Person oder einer Gruppe von Menschen ist, so daß man ihr Leben, ihre Geschichte, ihre Vorlieben manifest an den Wänden, Möbeln und Regalen ablesen kann. Verglichen mit dieser Erfahrung die so elementar ist wie das Gras auf einer Wiese - ist die künstliche Inszenierung „moderner Innenarchitektur" eine einzige Pleite.

Jung beschreibt das Zimmer, in dem er gearbeitet hat, wie er die Steinwände mit Zeichnungen füllte, die er täglich direkt darauf malte - Mandalas, Traumbilder, Gedanken -, und er erzählt, daß das Zimmer allmählich zu etwas Lebendigem für ihn wurde - das äußere Gegenstück seines Unbewußten.

Uns bekannte Beispiele: Ein von einem Franzosen geleitetes Motel, überall im Empfangsraum Andenken an die Réistance, der Brief von Charles de Gaulle. Ein vereinzelter Laden an der Autobahn, wo der Besitzer seine Sammlung von alten Flaschen auf Regalen über die ganzen Wände verteilt hat; hunderte von Flaschen in allen Formen und Farben; manche sind gerade zum Abstauben herunten; eine besonders schöne steht neben der Kassa auf dem Ladentisch. Ein Anarchist betreibt den Hot-Dog-Stand, dessen Wände mit Literatur, Proklamationen und Manifesten gegen den Staat tapeziert sind.

Ein Jagdhandschuh, ein Blindenstock, das Halsband des Lieblingshundes, eine Tafel mit getrockneten Blumen aus der Kindheit, oval gerahmte Bilder der Großmutter, ein Kerzenleuchter, sorgfältig in einer Flasche aufbewahrter Vulkanstaub, ein Zeitungsphoto von den Gefangenen in Attica, die das Gefängnis gestürmt hatten und bald darauf sterben sollten, ein altes Photo, auf dem der Wind durch das Gras weht und in der Ferne ein Kirchturm zu sehen ist, gezackte Muschelgehäuse, in denen noch das Räuschen des Meeres zu hören ist.

 

Daraus folgt:

Laß dich nicht hineinlegen zu glauben, daß moderne Inneneinrichtung geschleckt, oder psychedelisch, oder „natürlich" sein muß, oder wie „moderne Kunst", oder„natürlich" sein muß, oder wie „moderne Kunst", oder„inmitten von Pflanzen", oder was immer die jeweils aktuellen Trendsetter verlangen. Am schönsten ist es dann, wenn es direkt aus deinem Leben kommt - Din-ge, die dir wichtig sind, die dein Leben erzählen.

 Eine Muster Sprache 253 DINGE AUS DEM EIGENEN LEBEN

 

❖ ❖ 

 

< Zurück zu 252

 

252.0

... dieses Muster dient als Ergänzung zu kleinen sozialen Räumen wie NISCHEN (179) und ABGRENZUNG DES ARBEITSPLATZES (183), zu größeren Orten wie den GEMEINSCHAFTSBEREICHEN IN DER MITTE (129), zum EINGANGSRAUM (130) und zur FLEXIBLEN BÜROFLÄCHE (146) und bei der Möblierung von Zimmern wie bei ATMOSPHÄRE BEIM ESSEN (182), RUNDER SITZPLATZ (185) und VERSCHIEDENE SESSEL (251). Es hilft sogar bei der Entstehung WARMER FARBEN (250).

 

❖ ❖ 

 

Gleichmäßige Beleuchtung - das Faible der Beleuchttungstechniker - ist völlig zwecklos. In Wirklichkeit zerstört sie die soziale Beschaffenheit eines Raums und gibt den Menschen ein Gefühl der Unsicherheit und Orientierungs- und Haltlosigkeit.

 

Sehen wir uns dieses Bild an. Das ist eine Eierkartondecke, über die Dutzende von Leuchtstoffröhren gleichmäßig verteilt sind. Mit diesem mißglückten Versuch, den Himmel zu imitieren, soll möglichst kontrastloses, gleichmäßiges Licht erzeugt werden.

Das Unternehmen basiert aber auf zwei Fehlern. Zuerst einmal ist das Licht im Freien nahezu nie gleichmäßig. Die meisten natürlichen Stellen, und vor allem die Bedingungen, unter denen sich der menschliche Organismus entwickelte, haben fleckenartiges Licht, das sich von Minute zu Minute und von Ort zu Ort ändert.

Noch wichtiger ist die Gegebenheit der menschlichen Natur, daß der Raum, den wir als sozialen Raum benutzen, teilweise durch Licht bestimmt wird. Bei völlig gleichmäßigem Licht wird die soziale Funktion des Raums völlig zerstört: Es fällt den Leuten sogar schwer, zwanglose Gruppen zu bilden. Befindet sich eine Gruppe in einem gleichmäßg beleuchteten Bereich, gibt es keine Lichtabstufungen, die den Grenzen der Gruppe entsprechen; dadurch wird die Gruppe in ihrer Definition, ihrem Zusammenhalt, ihrer „Existenz" geschwächt. Befindet sich die Gruppe innerhalb einer „Lichtinsel", deren Größe und Grenze denen der Gruppe entspricht, wird die genaue Definition, der Zusammenhalt, ja die phänomenologische Existenz der Gruppe gefördert.

Eine mögliche Erklärung bieten die von Hopkinson und Longmore durchgeführten Versuche, die zeigten, daß kleine, helle Lichtquellen die Aufmerksamkeit weniger ablenken als große, weniger helle Flächen. Die beiden Autoren schließen daraus, daß man bei örtlicher Beleuchtung über einem Arbeitstisch konzentrierter arbeiten kann, als bei gleichmäßiger Allgemeinbeleuchtung. Daraus läßt sich logischerweise folgern, daß das für den Zusammenhalt einer Gruppe notwendige hohe Maß an Aufmerksamkeit zwischen Personen wahrscheinlich bei örtlicher Beleuchtung eher aufrechterhalten werden känn als bei gleichmäßiger Allgemeinbeleuchtung. (Siehe R. G. Hopkinson und J. Longmore, „Attention and Distraction in the Lighting of Workplaces", Ergonomics, 2, 1959, S. 321 ff. Neu herausgegeben in R. G. Hopkinson, Lighting, London: HMSO, 1963, S. 261— 268.)

Die von uns angestellten Beobachtungen bestätigen diese Überlegungen. Im International House der University of California, Berkeley, gibt es einen großen Raum, der im allgemeinen als Wartezimmer und Aufenthaltsraum für Gäste und Bewohner dient. In dem Raum gibt es 42 Sitzplätze, 12 davon in der Nähe einer Leuchte. In den zwei Beobachtungszeiträumen zählten wir insgesamt 21 Personen, die in dem Zimmer saßen; 13 von ihnen setzten sich in die Nähe von Leuchten. Diese Zahlen zeigen, daß die Leute lieber nahe dem Licht sitzen (X2 = 11,4, Irrtumswahrscheinlichkeit 0,1%). Dabei war däs Allgemeinbeleuchtungsniveäu im Raum hoch genug zum Lesen. Wir schließen daraus, daß Menschen tatsächlich „Lichtinseln" bevorzugen.

Diese Beobachtungen lassen sich im Alltag hunderte Male nachvollziehen. In jedem guten Restaurant bildet jeder Tisch eine Lichtinsel, weil man weiß, daß das zu einer privaten, intimen Atmosphäre beiträgt. Der gemütliche alte Fauteuil in der Wohnung, der „Lieblingssessel" hat sein eigenes Licht inmitten des Halbdunkels — damit man sich vom Familientrubel zurückziehen und in Ruhe die Zeitung lesen kann. Auch über den Eßtischen in den Wohnungen hängt oft eine einzelne Lampe — das Licht scheint fast wie ein Klebstoff für die um den Tisch versammelten Leute zu wirken. Das dürfte auch für größere Räume gelten. Denken wir nur an die Parkbank unter einer vereinzelten Straßenlampe und an die private Welt, die dadurch für ein Liebespaar geschaffen wird. Oder an die Solidarität einer Gruppe von Fernfahrern in einer Raststätte, die an einem hell erleuchteten Kaffeestand ihren Kaffee trinken.

Zum Schluß noch eine Warnung. Dieses Muster ist leicht zu verstehen; und währscheinlich wird man schnell damit übereinstimmen. Es ist allerdings nicht so einfach, wirklich funktionierende Lichtinseln in einer Umgebung zu schaffen. Wir kennen viele mißglückte Versuche: zum Beispiel Orte, wo kleine Lampen die gleichmäßige Beleuchtung auflösen sollen, aber in keiner Weise mit den Stellen übereinstimmen, wo sich die Leute im Raum am ehesten versammeln.

 Eine Muster Sprache 252 LICHTINSELN

Daraus folgt:

Häng die Leuchten niedrig auf und voneinander entfernt, sodaß einzelne Lichtinseln entstehen, die Sessel und Tische wie Luftblasen umgeben, damit der soziale Charakter der durch sie geschaffenen Räume betont wird. Bedenke, daß Lichtinseln nur dann möglich sind,wenn es dazwischen dunklere Stellen gibt.

 Eine Muster Sprache 252 LICHTINSELN 1

 

❖ ❖ 

 

Verwende nahe dem Licht farbige Lampenschirme, Tapeten und Vorhänge, damit das von ihnen reflektierte Licht eine warme Farbe hat - WARME FARBEN (250) ...

 

< Zurück zu 251 Weiter zu 253 >

 

251.0

... geh bei der Möblierung der Räume genauso sorgfältig vor wie beim Bau des Gebäudes, damit jedes Stück der Ausstattung, ob freistehend oder eingebaut, ebenso einzigartig und individuell ist wie die Zimmer und Nischen - jedes anders, je nach der Stelle, die es einnimmt - MEHRERE SITZPLÄTZE (142), RUNDER SITZPLATZ (185), EINGEBAUTE SITZBANK (202).

 

❖ ❖ 

 

Menschen sind verschieden groß; sie sitzen auch verschieden. Und trotzdem besteht heutzutage die Tendenz, alle Sessel gleich zu machen.

 

Dieser Trend, alle Sessel gleich zu machen, wird natürlich durch die Erfordernisse der maschinellen Herstellung und die angenommenen Ersparnisse der Massenproduktion genährt. Designer haben seit Jahren versucht, den „perfekten Sessel" zu schaffen - der billig in Massenproduktion hergestellt werden kann. Diese Sessel sind für den Komfort des Durchschnittsmenschen entworfen. Und die Institutionen, die Sessel kaufen, werden davon überzeugt, daß alle ihre Anforderungen erfüllt sind, wenn sie diese Sessel in großen Mengen kaufen.

In Wahrheit bedeutet das, daß manche Menschen chronisch unbequem sitzen; und das verschiedene Befinden von sitzenden Menschen wird völlig ignoriert.

Offensichtlich ist der „Durchschnittssessel" für manche gut, aber nicht für alle. Kleine und große Menschen werden darin wahrscheinlich nicht bequem sitzen. Und obwohl die Situationen an bestimmten Orten einander mehr oder weniger gleichen - in einem Restaurant ißt jeder, in einem Büro arbeitet jeder an einem Schreibtisch - gibt es dennoch wichtige Unterschiede: Leute, die verschieden lang sitzen; Leute, die sich zurücklehnen und nachdenken; Leute, die sich bei einer Auseinandersetzung angriffslustig nach vorn beugen; Leute, die höflich dasitzen und ein paar Minuten warten. Sind die Sessel alle gleich, werden diese Unterschiede unterdrückt, und manche Menschen fühlen sich unbehaglich.

Weniger offensichtlich, aber noch wichtiger ist vielleicht folgendes: Wir projizieren unsere Stimmungen und Persönlichkeiten in die Sessel, in denen wir sitzen. Das eine Mal ist ein großer, üppiger Fauteuil genau das Richtige; das andere Mal ein Schaukelstuhl; dann wieder ein steifer, gerader Sessel oder vielleicht ein Hocker oder ein Sofa. Und natürlich ist es nicht nur so, daß wir je nach Stimmung wechseln wollen; einer davon ist unser Lieblingssessel, in dem wir uns am sichersten und bequemsten fühlen; und auch das ist für jede Person anders. Eine Zusammenstellung von Sesseln, alle leicht unterschiedlich, schafft sofort eine Atmosphäre, die vielfältige Erfahrungen fördert; ein Raum mit lauter gleichen Sesseln legt auf subtile Weise den möglichen Erfahrungen eine Zwangsjacke an.

 

Daraus folgt:

Verwende an einem Ort nie völlig identische Sessel. Wähl eine Vielzahl verschiedener Sessel aus, große, kleine, manche weicher als andere, Schaukelstühle, ganz alte, neue, mit oder ohne Armlehnen, manche aus Korbgeflecht, manche aus Holz und manche aus Stoff.

 Eine Muster Sprache 251 VERSCHIEDENE SESSEL

 

❖ ❖ 

 

Betone den Charakter von Stellen, wo einzelne oder mehrere Sessel stehen, durch LICHTINSELN (252), jede einer Gruppe von Sesseln entsprechend.

 

< Zurück zu 250 Weiter zu 252 >

 

... das folgende Muster trägt dazu bei, die richtigen GUTEN BAUSTOFFE (207), FUSSBÖDEN (233) und WEICHEN INNENWÄNDE (235) auszuwählen und herzustellen. Belaß die Baustoffe möglichst in ihrem natürlichen Zustand. Füg lediglich genügend Farbe hinzu — aus dekorativen Gründen und um im Innern lebendiges, warmes Licht zu erzeugen.

 

❖ ❖ 

 

Die Grün- und Grautöne in Spitälern und Bürogängen sind deprimierend und kalt. Natürliches Holz, Sonnenlicht und helle Farben erzeugen Wärme. In gewisser Weise ist die Wärme der Farben ausschlaggebend für Behaglichkeit oder Unbehaglichkeit.

 

Welche Farben sind aber nun warm und welche kalt? Sehr vereinfacht gesprochen, sind Rot, Gelb, Orange und Braun warm; Blau, Grün und Grau sind kalt. Nun ist es aber ganz offensichtlich nicht so, daß Zimmer in roter oder gelber Farbe ein angenehmes Gefühl vermitteln, während Zimmer in Blau oder Grau Unbehagen erzeugen. Bis zu einem gewissen Grad ist die Überlegung richtig: Es stimmt, daß Rots, Braun- und Gelbtöne dazu beitragen, einen Raum angenehmer zu machen; es stimmt aber auch, daß sich die Menschen in einem weißen, blauen oder grünen Raum auch wohlfühlen können. Schließlich ist auch der Himmel blau, und das Gras ist grün. Auf dem grünen Gras einer Wiese und unter dem blauen Himmel fühlen wir uns offensichtlich auch wohl.

Die Erklärung dafür ist einfach und faszinierend. Nicht die Farbe der Dinge, der Oberflächen macht einen Ort warm oder kalt, sondern die Farbe des Lichts. Was bedeutet das genau? Die Färbe des Lichts an einem bestimmten Punkt im Raum läßt sich feststellen, wenn man eine vollkommen weiße Fläche hinhält. Bei warmem Licht wird die Fläche leicht ins Rot-Gelbe gefärbt sein, bei kaltem Licht ins Blau-Grüne. Diese Tönung ist sehr schwach: Wahrscheinlich ist sie sogar so schwer wahrzunehmen, daß man ein Spektrometer braucht.

Wenn man aber merkt, daß alles in diesem Raum leicht getönt ist - die Gesichter, Hände, Hemden, Kleider, das Essen, das Papier, überhäupt alles - versteht man rasch, wie groß die Auswirkungen des Lichts auf den emotionalen Zustand der Anwesenden sein können.

Die Farbe des Lichts in einem Raum wird allerdings nicht einfach von der Farbe der Oberflächen bestimmt. Sie hängt von einer komplexen Wechselwirkung zwischen der Farbe der Lichtquelle und der Art, wie das Licht von den vielen Oberflächen reflektiert wird, ab. Bei einer Wiese ist das an einem Frühlingstag vom Gras reflektierte Licht immer noch warm das heißt, es liegt im gelb-roten Bereich. Bei den von Leuchtstoffröhren beleuchteten, grünen Krankenhausgängen ist das reflektierte Licht kalt - im grün-blauen Bereich. Ein Raum mit viel natürlichem Licht wird im ganzen warmes Licht haben. Bei einem Raum, dessen Fenster auf ein graues Gebäude auf der anderen Straßenseite gehen, kann das Licht kalt sein, wenn im Räum nicht viel gelber und roter Stoff vorhanden ist.

Wer sich über die tatsächliche Beschaffenheit des Lichts in einem Raum nicht sicher ist und kein Spektrometer hat, braucht nur einen Farbfilm zu verwenden. Bei warmem Licht und richtiger Belichtung des Films kommen weiße Wände leicht rosa. Bei kaltem Licht werden die Wände leicht bläulich kommen.

Damit ein Raum gemütlich wirkt, muß also eine Zusammenstellung von Färben verwendet werden, die gemeinsam mit den Lichtquellen und den reflektierenden Flächen im Freien in der Mitte des Raums warmes, das heißt, eher gelb-rotes Licht erzeugen. Mit gelben und roten Farben gelingt das immer. Mit Blau, Grün und Weiß ist es nur dann möglich, wenn sie an den richtigen Stellen sind, wenn sie durch andere Farben ausgeglichen werden und die Lichtquelle paßt.

Um diese Überlegungen zu vervollständigen, werden wir nun den Begriff des warmen Lichts im Sinne der Farbmessung genauer erläutern. Betrachten wir einmal das Licht, das auf eine bestimmte Fläche in der Mitte eines Raums fällt. Dieses Licht enthält eine Reihe verschiedener Wellenlängen. Seine Charakteristik wird durch eine spektrale Energieverteilung p (X), welche die proportionalen Anteile der verschiedenen Wellenlängen angibt, genau bestimmt.

Wir wissen, daß jedes beliebige Licht - kurz, jedes p (2) - als ein einzelner Punkt auf dem Farbdreieck - genauer auf dem zweidimensionalen Farbdiagramm - eingetragen werden kann; z.B. gemäß der von Gunter Wyszecki und W. S. Stiles in Color Science, New York, 1967, S. 228-317, beschriebenen Farbbestimmung. Die Koordinaten eines Punktes in diesem Farbdreieck bestimmen die chromatischen Eigenschaften einer bestimmten Energieverteilung.

 Eine Muster Sprache 250 WARME FARBEN

Nun können wir jenen Bereich auf dem Farbdiagramm festlegen, den wir den warmen Bereich nennen wollen. Es handelt sich um die schraffierte Fläche in der Zeichnung.

Diese schraffierte Fläche basiert auf einer Reihe von empirischen Untersuchungen. So wissen wir zum Beispiel, daß Menschen von der relativen Wärme oder Kälte verschiedener Räume einen klaren subjektiven Eindruck haben. Siehe zum Beispiel Committee on Colorimetry of the Optical Society of Arnerica, The Science of Coior, New York, 1953, S. 168. In der Untersuchung von S. M. Newhall, „Warmth and Coolness of Colors”, Psychological Record, 4, 1941, 5.198-212, wird versucht, die objektiven Entsprechungen dessen, was wir als „warm" empfinden, herauszufinden. Diese Untersuchung zeigte, daß die Beurteilung als „am wärmsten" am häufigsten bei einer vorherrschenden Wellenlänge von 610 nm (Nanometer) registriert wurde, also in der Mitte des orangen Bereichs. Die Aussagen der einzelnen Beobachter sind in solchen Untersuchungen als durchaus zuverlässig einzustufen. Eine Untersuchung gibt zum Beispiel Erprobungskoeffizienten von 0,95 für Wärme und 0,82 für Kälte an - N. Collins, „The Appropriäteness of Certain Color Combinations in Advertising", Dissertation, Colurnbia University, New York, 1924.

Schließlich erfordert dieses Muster lediglich, daß das Licht das gesamte Licht in der Mitte eines Raums, der vom Sonnenlicht, von künstlicher Beleuchtung, von der Reflexion von Wänden, aus dem Freien und von Teppichen herrührt -, daß also das gesamte Licht in jenem Bereich des Farbdreiecks liegt, den wir als „warm" bezeichnen. Es setzt nicht voraus, daß bestimmte einzelne Farbflächen im Raum rot, orange oder gelb sind sondern nur, daß durch die kombinierte Wirkung der Flächen und Lichter in der Mitte des Raums ein Licht entsteht, das im warmen Bereich des Farbdreiecks liegt.

 

Daraus folgt:

Wähl Oberflächenfarben, die gemeinsam mit der Farbe des natürlichen, des reflektierten und des künstlichen Lichts in den Räumen ein warmes Licht schaffen.

 Eine Muster Sprache 250 WARME FARBEN 1

 

❖ ❖ 

 

Das bedeutet, daß man bei Deckleisten, Lampenschirmen und diversen Einzelheiten vor allem Gelb-, Rot- und Orangetöne verwenden sollte - SCHMALE DECKLEISTE (240), ORNAMENT (249), LICHTINSELN (252). Bunte MARKISENDÄCHER (244) und WEICHGEBRANNTE FLIESEN UND ZIEGEL (248) tragen ebenfalls zu warmem Licht bei. Blau-, Grün- und Grautöne sind viel schwieriger zu verwenden; vor allem an der Nordseite, wo das Licht kalt und grau ist; sie können aber durchaus beim Ornament verwendet werden, um die warmen Farben hervorzuheben — ORNAMENT (249) ...

 

< Zurück zu 249 Weiter zu 251 >

Förderer:


Wien Kultur