... wenn man die früheren Muster dieser Sprache angewendet hat, so beruhen die Grundrisse auf einer fein abgestimmten Gliederung der sozialen Räume. Aber die Schönheit und Feinheit all dieser sozialen Räume wird von Beginn des Bauens an zerstört, wenn man nicht eine Art zu bauen findet, die den sozialen Räumen folgen kann, ohne sie aus technischen Gründen zu entstellen oder zu verlegen.
Das folgende Muster zeigt den Ansatz einer solchen Art zu bauen. Es ist das erste der 49 Muster, die sich speziell mit Konstruktion und Bautechnik befassen; durch seinen Engpass führen alle Mustersprachen von den größeren Mustern für das Anlegen von Gebäuden und Räumen zu den kleineren, die den Bauvorgang bestimmen. Das Muster hat nicht nur seine eigene innere Begründung des Zusammenhanges zwischen sozialen Räumen und tragender Konstruktion — es enthält auch am Ende eine Aufzählung aller weiteren Beziehungen, die zu Mustern über Konstruktion, Säulen, Wände, Fußböden, Dächer und Baudetails überhaupt führen.
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Kein Gebäude wird von den Menschen darin als richtig empfunden, wenn die baulichen Räume (bestimmt durch Säulen, Wände und Decken) nicht mit den sozialen Räumen (bestimmt durch Aktivitäten und Gruppen von Menschen) zusammenfallen.
Und trotzdem ist diese Kongruenz im modernen Bauwesen kaum jemals vorhanden. Meist stimmen bauliche und soziale Räume nicht überein. Moderne Bauweisen — d. h. die in der Mitte des 20. Jahrhunderts allgemein praktizierte Art des Bauens — zwingen gewöhnlich die sozialen Räume in das Gerüst eines Gebäudes, dessen Gestalt durch technische Überlegungen entsteht.
Es gibt zwei verschiedene Versionen dieser Inkongruenz.
Einerseits gibt es Gebäude, deren Konstruktionsform tatsächlich so anspruchsvoll ist, daß sie den sozialen Raum wirklich zwingt, der konstruktiven Gestalt zu folgen — Buckminster Fullers Kuppeln, hyperbolische Paraboloide, zugbeanspruchte Konstruktionen sind Beispiele.
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Geodätische Kuppel |
Stahl und Glas |
Andererseits gibt es Gebäude mit sehr wenigen konstruktiven Elementen — ein paar riesige Stützen und sonst nichts. In diesen Gebäuden werden die sozialen Räume durch leichte nicht tragende Unterteilungen begrenzt, die frei innerhalb der vom Ingenieurbau vorgegebenen „neutralen" baulichen Struktur liegen. Die Bauten von Mies van der Rohe und von Skidmore, Owings und Merrill sind Beispiele dafür.
Wir werden nun zu zeigen versuchen, daß beide Arten der Inkongruenz grundlegenden Schaden anrichten — aus völlig verschiedenen Gründen.
Im ersten Fall richtet die Konstruktion einfach deshalb Schaden an, weil sie den sozialen Raum einzwängt und ihn anders macht, als er seiner Natur nach sein will. Um genauer zu sein: wir wissen aus unseren Versuchen, daß Leute fähig sind, mit Hilfe dieser Muster-Sprache Gebäude für sich selbst zu entwerfen; und daß die Grundrisse, die — unbeeinflusst durch andere Erwägungen — eine erstaunliche Bandbreite von freien Anordnungen aufweisen, die jeweils fein auf die Einzelheiten ihrer Lebensführung und ihrer Gewohnheiten abgestimmt sind.
Jede Konstruktionsform, die die Ausführung solcher Grundrisse verhindert und sie bloß aus konstruktiven Gründen in die Zwangsjacke einer fremden Geometrie steckt, richtet sozialen Schaden an.
Man könnte freilich einwenden, daß die konstruktiven Erfordernisse eines Gebäudes ebenso Teil seiner Natur sind wie die sozialen und psychologischen Bedürfnisse seiner Bewohner. Dieses Argument wäre vielleicht — vielleicht! — stichhaltig, wenn es tatsächlich keinen Weg gäbe, Gebäude zu errichten, die den lediglich auf Aktivitäten beruhenden freien, lockeren Grundrissen genauer entsprechen.
Aber die nächsten paar Muster in diesem Buch zeigen deutlich, daß es sehr wohl Bauweisen gibt, die konstruktiv richtig und doch vollkommen kongruent mit dein sozialen Raum sind — ohne jeden Kompromiß. Daher ist es legitim, wenn wir jede Bauform ablehnen, die sich nicht vollkommen den von gemeinschaftlichen Aktivitäten beanspruchten Raumformen anpassen kann.
Nun zur zweiten Art von Inkongruenz zwischen sozialem Raum und Bauform — wo die Konstruktion riesige Flächen von fast völlig freiem „flexiblem" Raum schafft, nur gelegentlich durch Stützen unterbrochen, und die sozialen Räume innerhalb dieses Gerüstes durch nicht tragende Unterteilungen geschaffen werden.
Auch hier können viele wichtige Muster nicht in den Entwurf eingearbeitet werden — LICHT VON ZWEI SEITEN IN JEDEM RAUM (159) z.B. ist in einem riesigen Rechteck nicht möglich. Aber in diesem Typ von Gebäude gibt es noch eine zusätzliche Art der Inkongruenz zwischen sozialem Raum und statischer Konstruktion, nämlich aufgrund der Tatsache, daß die beiden praktisch unabhängig voneinander sind. Die Ingenieurkonstruktion folgt ihren eigenen Gesetzen, der soziale Räum den seinen — und beide passen nicht zueinander.
Dieses Mißverhältnis wird durchaus wahrgenommen und nicht bloß als etwas Nicht zusammen passendes empfunden, sondern als eine grundlegende und störende Zusammenhanglosigkeit in der Struktur des Gebäudes, die bewirkt, daß sich die Leute unbehaglich, ihrer selbst und ihrer Beziehung zur Welt unsicher fühlen. Wir können dafür vier Erklärungen geben:
Erstens: Die Räume, die von den soziale und psychologische Bedürfnisse betreffenden Mustern gefordert werden, sind entscheidend. Wenn die Räume nicht richtig sind, so werden die Bedürfnisse nicht erfüllt und die Probleme nicht gelöst. Da diese Räume so entscheidend sind, leuchtet es ein, daß sie als wirkliche Räume empfunden werden müssen, nicht als flüchtige oder willkürliche Abteilungen, die den erlebten Bedürfnissen der Leute quasi nur Lippendienst leisten. Wenn z.B. ein Eingangsraum durch nicht sehr haltbare Scheidewände gebildet wird, ist er nicht glaubwürdig; die Leute werden ihn nicht ernst nehmen. Nur wenn die massivsten Elemente des Gebäudes die Räume bilden, werden die Räume als solche empfunden und die Bedürfnisse, für die sie geschaffen wurden, voll befriedigt werden.
Zweitens: Ein Gebäude wirkt auch befremdend, wenn es seinen Benutzern kein direktes und intuitives Gefühl für seine Konstruktion gibt — einfach, wie es zusammengesetzt ist. Gebäude, deren Konstruktion verborgen ist, schaffen bei den Menschen eine weitere Lücke im Verständnis ihrer Umwelt. Wir wissen, daß das für Kinder wichtig ist, und vermuten dasselbe für Erwachsene.
Drittens: Wenn der soziale Raum ringsum von der Struktur der tragenden Konstruktion umgeben ist, die diesen Raum unterstützt, dann tritt die Schwerkraft in Beziehung mit den sozialen Kräften; man empfindet den Einklang aller Kräfte, die in diesem einen Raum wirken. Das Erlebnis eines Ortes, wo die Kräfte sich ineinander auflösen, ist das einer beruhigenden Ganzheit. Es ist, als würde man unter einer Eiche sitzen: Dinge in der Natur lösen alle auf sie wirkenden Kräfte ineinander auf: sie sind in diesem Sinn eine ausgeglichene Ganzheit.
Viertens: Es ist eine psychologische Tatsache, daß ein Raum durch seine Ecken bestimmt wird. So wie vier Punkte für das Auge ein Rechteck ergeben, so bestimmen vier Pfosten (oder mehr) einen durch sie begrenzten Raum.
Das ist die grundlegendste Weise, wie feste Körper Raum definieren. Wenn die tatsächlichen massiven Teile, die das Gebäude ausmachen, nicht in den Ecken seiner sozialen Räume liegen, schaffen sie stattdessen zwangsläufig praktisch andere Räume, die mit den beabsichtigten Räumen nicht in Einklang stehen. Das Gebäude wird psychologisch nur zur Ruhe kommen, wenn die Ecken seiner Räume klar erkennbar sind und, zumindest in der Mehrzahl der Fälle, mit den massivsten Bauelementen zusammenfallen.
Daraus folgt:
Ein erstes Bauprinzip: laß auf keinen Fall zu, daß die Technik die Form des Gebäudes diktiert. Ordne die tragenden Elemente - die Stützen, Wände und Decken - entsprechend den sozialen Räumen des Gebäudes an; modifiziere nie die sozialen Räume, um sie der statischen Konstruktion des Gebäudes anzupassen.
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Eine Gewähr, daß die Konstruktion den sozialen Räumen folgt, ist gegeben, wenn die Stützen in die Ecke jedes sozialen Raums gelegt werden — PFEILER IN DEN ECKEN (212) - und wenn ein eigenes und getrenntes Gewölbe über jedem Raum errichtet wird — DECKENGEWÖLBE (219).
Die Konstruktionsprinzipien, die ein Gebäude nach diesem Muster möglich machen, beginnen mit RATIONELLE KONSTRUKTION (206); für die Bewertung passender Baustoffe siehe GUTE BAUSTOFFE (207); für die Grundlagen der Baumethode siehe ERST LOSE, DANN STARR (208) ...