... die Konstruktionsprinzipien erlauben, uns ein Gebäude vorzustellen, in dem die Baustoffe auf die rationellste Weise verteilt sind und das deckungsgleich mit den im Grundriß vorgegebenen Räumen ist — DIE KONSTRUKTION FOLGT DEN SOZIALEN RÄUMEN (205), RATIONELLE KONSTRUKTION (206). Aber das konstruktive Konzept ist immer noch lediglich schematisch. Es kann erst eine feste und überzeugende Vorstellung werden, wenn wir wissen, aus welchen Materialien das Gebäude gemacht wird. Dieses Muster hilft uns, die Baustoffe festzulegen.
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In der Industriegesellschaft gibt es über die Natur der Baustoffe einen grundlegenden Konflikt.
Einerseits erfordert ein organisches Gebäude Baumaterialien, die aus hunderten kleiner Stücke bestehen, deren jedes von Hand als Einzelstück entsprechend seiner Lage im Bauwerk geformt wird. Andererseits tendieren die hohen Arbeitskosten und die Leichtigkeit der Massenproduktion zur Herstellung von Baustoffen, die großteilig, identisch, nicht zuschneidbar oder modifizierbar und nicht den Eigenheiten eines Planes anpassbar sind. Diese „modernen" Materialien zerstören leicht die organische Qualität natürlicher Gebäude und verhindern sie sogar. Außerdem sind moderne Baustoffe oft wenig dauerhaft und schwer instsndzuhalten, sodaß Gebäude schneller verfallen als in einer vorindustriellen Gesellschaft, als man Gebäude über hunderte von Jahren mit ständiger Sorgfalt in-standhalten und ausbessern konnte.
Das zentrale Problem beim Baumaterial ist also, eine Kombination von Baustoffen zu finden, die in den Stückmaßen klein sind, leicht zuzuschneiden, leicht auf der Baustelle ohne Einsatz großer und teurer Maschinen zu bearbeiten, leicht zu verändern und anzupassen, schwer genug, um fest zu sein, dauerhaft oder leicht instand zuhalten und leicht zu verbauen, ohne Erfordernis von Spezialarbeit, ohne hohe Arbeitskosten und überall erhältlich und billig.
Darüber hinaus muß diese Auswahl guter Baustoffe ökologisch vernünftig sein: biologisch abbaubar, niedrig im Energieverbrauch, nicht auf erschöpfbaren Ressourcen beruhend.
Wenn wir alle diese Anforderungen zusammennehmen, ergibt sich eine eher überraschende Auswahl von „guten Baustoffen" — sehr verschieden von den Baumaterialien, die heute in Gebrauch sind. Die folgende Erörterung ist ein erster Versuch, diese Kategorie von Baustoffen zu definieren. Sie ist sicherlich unvollständig; aber vielleicht kann sie weiterhelfen, das Problem der Baustoffe sorgfältiger zu durchdenken.
Wir beginnen mit den „Hauptbaustoffen" — den Baustoffen, die in einem gegebenen Gebäude in den größten Mengen auftreten. Sie dürften etwa 80% des Gesamtvolumens an Material in einem Gebäude ausmachen. Hauptbaustoffe waren traditioneller weise Erde, Beton, Holz, Ziegel, Stein, Schnee... Heute sind die Hauptbaustoffe im wesentlichen Holz, Beton und, in sehr großen Gebäuden, Stahl.
In einer genauen Analyse dieser Baustoffe nach unseren Kriterien entsprechen Stein und Ziegel den meisten den Anforderungen, kommen aber, wo die Arbeitskosten hoch sind, oft nicht in Frage, weil sie sehr arbeitsintensiv sind.
Holz ist in vieler Hinsicht hervorragend. Wo es zur Verfügung steht, verwenden es die Menschen in großen Mengen, und wo es nicht zur Verfügung steht, versuchen die Menschen, es zu bekommen. Leider sind die Wälder entsetzlich bewirtschaftet worden; viele sind verwüstet; die Preise für Bauholz sind explodiert. Aus der heutigen Zeitung: „Seit dem Ende der staatlichen Preiskontrolle sind die Holzpreise um etwa 15% monatlich hochgeschnellt und liegen nun um rund 55% über den Vorjahrespreisen." San Francisco Chronicle, 11. Februar 1973. Wir müssen deshalb Holz als kostbares Material betrachten, das nicht in großen Mengen oder als Konstruktionsmaterial verwendet werden darf.
Stahl als Hauptmaterial steht wohl außer Frage. Wir brauchen ihn nicht für hohe Gebäude, da diese gesellschaftlich sinnlos sind — HÖCHSTENS VIER GESCHOSSE (21) —, und für kleinere Gebäude ist es teuer, nicht veränderbar, seine Produktion verbraucht viel Energie
Erde ist ein interessanter Hauptbaustoff. Aber sie ist schwer zu verfestigen, die Wände werden unglaublich schwer, weil sie so dick sein müssen. Wo das angebracht und Erde verfügbar ist, ist sie jedoch sicher einer der „guten Baustoffe".
Normaler Beton ist zu dicht. Er ist schwer und kaum zu bearbeiten. Nach der Abbindung kann man nicht hineinschneiden oder einen Nagel einschlagen. Und seine Oberfläche ist hässlich, kalt, fühlt sich hart an, wenn sie nicht mit teuren, konstruktionsfremden Oberflächen verkleidet wird.
Und doch ist Beton in einiger Hinsicht ein faszinierender Baustoff. Er ist flüssig, von hoher Festigkeit und relativ billig. Er ist fast überall auf der Welt verfügbar. Ein Professor für Ingenieurbauwissenschaften an der University of California, P. Kumar Mehta, hat vor kurzem eine Methode gefunden, Portlandzement aus Reisschalenabfall zu machen.
Gibt es irgendeine Möglichkeit, all diese guten Eigenschaften des Betons zu kombinieren und gleichzeitig einen Baustoff zu erhalten, der leicht ist, gut zu bearbeiten, mit einer angenehmen Oberfläche? Es gibt eine. Es steht eine ganze Reihe von sehr leichten Betonen zur Verfügung, deren Dichte und Druckfestigkeit denen des Holzes sehr ähnlich ist. Sie sind leicht zu bearbeiten, können mit gewöhnlichen Nägeln genagelt, mit Holzwerkzeugen geschnitten und gebohrt und leicht repariert werden.
Wir glauben, daß Leichtbeton ein Grundbaustoff der Zukunft ist.
Um das so klar wie möglich zu zeigen, erörtern wir jetzt die Variationsbreite von Leichtbetonen. Unsere Versuche führen uns zu der Annahme, daß die besten Leichtbetone, nämlich die fürs Bauen geeignetsten, jene mit Dichten von 650 — 1000 kg/m³ sind, die eine Druckfestigkeit von 400 700 N/cm² aufweisen.
Seltsamerweise liegen diese technischen Daten in jenem Bereich, der von den gegenwärtig verfügbaren Betonarten am wenigsten entwickelt ist. Wie das folgende Diagramm zeigt, sind die sogenannten „Konstruktions"-Betone gewöhnlich dichter (mindestens 1500 kg/m³) und viel fester. Die gebräuchlichsten „Leicht"-Betone verwenden Vermikulit als Zuschlagstoff, werden in Fußbodenkonstruktionen und Dämmung verwendet, sind sehr leicht, gewöhnlich aber für konstruktive Zwecke nicht fest genug — ihre Druckfestigkeit beträgt meistens ungefähr 200 N/cm². Mit einer Reihe von Mischungen leichter Zuschlagstoffe, etwa Vermikulit, Perlit, Bims und Blahschiefer in verschiedenen Mengenverhältnissen kann man jedoch überall in der Welt ohne Schwierigkeiten Betone mit 650 —1000 kg /m³ und 400 N/cm² herstellen. Wir haben mit einer Mischung von 1:2:3 Teilen Zement-Kylit-Vermikulit viel Erfolg gehabt.
Neben den Hauptbaustoffen gibt es in geringeren Mengen verwendete Materialien für Unterkonstruktionen, Verkleidungen und Beschichtungen. Das sind „Sekundär"-Baustoffe.
Wenn Gebäude aus leicht zu handhabenden Sekundärbaustoffen ausgeführt sind, können sie mit denselben Baustoffen repariert werden: die Reparatur und das ursprüngliche Gebäude bilden ein kontinuierliches Ganzes. Die Gebäude werden auch eher repariert, wenn das leicht zu machen ist und der Benutzer es nach und nach selber machen kann, ohne auf Facharbeit und Spezialausrüstung angewiesen zu sein. Mit vorgefertigten Baustoffen ist das unmöglich; diese Baustoffe sind ihrem Wesen nach unreparierbar. Wenn vorgefertigte Ausbaumaterialien beschädigt sind, müssen sie durch völlig neue Bauteile ersetzt werden. Nehmen wir z. B. eine Gartenterrasse. Man kann sie aus einer zusammenhängenden Betonplatte machen. Wenn der Boden unter der Platte sich leicht verschiebt, reißt und knickt sie. Das kann der Benutzer kaum reparieren. Man muß die gänze Platte herausbrechen (was ziemlich schwere Geräte erfordert) und neu machen — und zwar durch Professionisten. Andererseits hätte man die Terrasse von Anfang an aus vielen kleinen Ziegeln, Fliesen oder Steinen bauen können. Wenn dann der Boden sich verschiebt, kann der Benutzer an der Bruchstelle die Fliesen herausnehmen, etwas Erde dazugeben und die Fliesen wieder einsetzen — alles ohne Einsatz von teuren Maschinen oder Facharbeit. Und wenn Fliesen oder Ziegel beschädigt sind, können sie leicht ausgetauscht werden.
Welche Sekundärbaustoffe sind gut? Holz, das wir als Hauptbaustoff vermeiden wollen, ist ein ausgezeichneter Sekundärbaustoff für Türen, Verkleidungen, Fenster, Möbel. Sperrholz, Spanplatten und Gipskartonplatten kann man schneiden, nageln, zurichten; und sie sind relativ billig. Bambus, Stroh, Putz, Pappe, Wellblech, Maschendraht, Segeltuch, Stoff, Vinyl, Strick, Glasfaser, nicht chlorierte Kunststoffe sind alles Beispiele für Sekundärbaustoffe, die unseren Kriterien ganz gut entsprechen. Einige sind ökologisch bedenklich - nämlich Glasfaser und Wellblech aber diese Materialien sind dünne Bahnen oder Platten und dienen in ihrer geringen Menge nur dazu, den Hauptbaustoffen Form, Oberfläche und Abschluß zu geben.
Schließlich gibt es Materialien, die nach unseren Kriterien völlig ausgeschlossen werden - sowohl als Haupt- wie als Sekundärbaustoffe. Sie sind teuer, individuellen Plänen schwer anzupassen, ihre Produktion erfordert hohen Energieaufwand, ihre Reserven sind begrenzt.... z. B.: Stahltafeln und Walzstahlprofile; Aluminium; Spannbeton; chlorierte Schaumstoffe; Bauholz für Konstruktionen; Zementputz; Glas in großen Flächen....
Und die Optimisten, die glauben, daß wir Stahlbewehrungen in alle Zukunft weiter verwenden können, sollten sich die Tatsache vor Augen halten, daß sogar das überall auf der Erde reichlich vorhandene Eisen ein begrenzter Rohstoff ist. Wenn der Verbrauch mit der gegenwärtigen Wachstumsrate weiter steigt (was leicht möglich ist, da weite Teile der Welt das amerikanische und westliche Verbrauchsniveau noch nicht erreicht haben), werden die Eisenreserven 2050 ausgeschöpft sein.
Daraus folgt:
Verwende nur biologisch abbaubare, nicht energieintensive Baustoffe, die leicht an der Baustelle zu schneiden und anzupassen sind. Als Hauptbaustoffe empfehlen wir Leichtbeton mit 650 — 1000 kg/m³ und auf Erde beruhende Baustoffe wie gestampfte Erde, Ziegel und keramische Fliesen. Als Sekundärbaustoffe verwende Holzdielen, Gips, Sperrholz, Gewebe, Maschendraht, Pappe, Karton, Spanplatten, Wellblech, Kalkputz, Bambus, Strick und Fliesen.
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In ERST LOSE, DANN STARR (208) werden wir herausarbeiten, wie diese Baustoffe im Einklang mit DIE KONSTRUKTION FOLGT DEN SOZIALEN RÄUMEN (205) und RATIONELLE KONSTRUKTION (206) anzuwenden sind. Versuch die Materialien so zu verwenden, daß man ihre besondere Textur sieht — SCHUPPIGE AUSSENWÄNDE (234), WEICHE INNENWÄNDE (235) ...