EINE MUSTER-SPRACHE

STÄDTE - GEBÄUDE - KONSTRUKTION

Christopher Alexander, Sara Ishikawa, Murray Silverstein

mit Max Jacobson, Ingrid F. King, Shlomo Angel 

Für Verbreitung, Schulung und Ergänzung digitalisiert von:
THE PATTERN COMMUNITY - Institut zur Förderung menschengerechter Dörfer, Städte und Regionen

STÄDTE

Wir beginnen mit jenem Teil der Sprache, durch den eine Stadt oder Gemeinde definiert wird. Diese Muster können keinesfalls mit einem Schlag "entworfen" oder "gebaut" werden - nur geduldige und schrittweise Entwicklung, daraufhin angelegt, daß jede individuelle Maßnahme zur Entstehung dieser größeren, umfassenden Muster beiträgt, wird langsam und sicher über Jahre ein Gemeinwesen herbeiführen, das diese umfassenden Muster enthält. geduldige und schrittweise Entwicklung, daraufhin angelegt, daß jede individuelle Maßnahme zur Entstehung dieser größeren, umfassenden Muster beiträgt, wird langsam und sicher über Jahre ein Gemeinwesen herbeiführen, das diese umfassenden Muster enthält. 

GEBÄUDE

Hier werden die übergeordneten Muster ergänzt, die eine Stadt oder eine Gemeinde definieren. Wir beginnen jetzt jenen Teil der Sprache, die Gebäudegruppen und Einzelgebäuden ihre Form gibt, dreidimensional auf dem Grundstück. Das sind die Muster, die "entworfen" oder "gebaut" werden können - die Muster, die die einzelnen Gebäude und den Raum zwischen Gebäuden definieren. Zum ersten Mal behandeln wir Muster,die innerhalb der Kontrolle von Einzelpersonen oder kleinen Personengruppen liegen, die diese Muster in einem Zug realisieren können.

 

KONSTRUKTION

In dieser Phase haben wir einen vollständigen Entwurf für ein einzelnes Gebäude. Wenn die gegebenen Muster befolgt wurden,so hat man ein Schema der Räume, sei es mit Stecken auf dem Boden markiert oder auf einem Stück Papier - etwa aufeinen halben Meter genau. Man kennt die Höhe der Räume, die ungefähre Größe und Lage der Fenster und Türen, und man weiß ungefähr, wie die Dächer des Gebäudes und die Gärten anzuordnen sind.

Der nächste und letzte Teil der Sprache erklärt einem, wie man direkt aus diesem groben Raumschema ein baubares Gebäude macht, und erklärt auch im Detail, wie es zu bauen ist.

PROLOG

 

108.0

... dieses Muster dient der Vervollständigung von GEBÄUDEKOMPLEX (95), GEBÄUDEFLÜGEL MIT TAGESLICHT (107) und POSITIVER AUSSENRAUM (106). Besonders trägt es zur Entstehung von positivem Außenraum bei, weil es alle nutzlosen Flächen zwischen Gebäuden beseitigt. Wenn man jedes Gebäude mit dem nächsten verbindet, macht man den Außenraum fast unwillkürlich zu einem positiven.

 

❖ ❖ 

 

Isolierte Gebäude sind Symptome einer zusammenhanglosen, kranken Gesellschaft.

 

Selbst in Gebieten mittlerer und hoher Dichte, wo Gebäude sehr nahe beisammenstehen und viel dafür sprechen würde, sie zu einem einzigen Bau zu verbinden, bestehen die Leute darauf, isolierte Bauwerke mit kleinen Stückchen nutzlosen Raums rundherum zu errichten.

 

108.1

Diese Gebäude geben vor, voneinander unabhängig zu sein - und dieser Anspruch führt zu nutzlosem Raum rundherum.

 

Tatsächlich sind heute isolierte, freistehende Gebäude so alltäglich, daß wir sie bereits als selbstverständlich betrachten, ohne uns klar zu machen, daß ihr bloßes Bestehen den psychosozialen Zerfall der Gesellschaft verkörpert.

Am leichtesten ist das auf der gefühlsmäßigen Ebene zu verstehen. Im Traum bedeutet das Haus zumeist das Selbst, die Person des Träumenden. Eine Stadt von zusammenhanglosen :Gebäuden würde in einem Traum das Bild einer Gesellschaft von zusammenhanglosen, isolierten Egos bedeuten. Und die wirklichen Städte, die diese Form haben, verkörpern wie Träume genau diese Bedeutung: Sie halten an der anmaßenden Annahme fest, daß Menschen für sich allein stehen und unabhängig voneinander existieren.

Wenn Gebäude isoliert und freistehend sind, müssen freilich die Leute, die sie besitzen, benutzen und reparieren, gar nicht miteinander in Beziehung treten. In einer Stadt dagegen, in der sich Gebäude physisch aneinander lehnen, zwingt die bloße Tatsache des Angrenzens dazu, die Nachbarn zur Kenntnis zu nehmen, die unzähligen kleinen Probleme zwischen ihnen zu lösen, zu lernen, mit den Schwächen anderer zurechtzukommen, zu lernen, mit den größeren und schwer durchschaubaren Gegebenheiten außerhalb fertig zu werden.

Allerdings haben zusammenhängende Gebäude nicht nur diese gesunde Wirkung und isolierte nur eine ungesunde. Es scheint eher so - obwohl wir es nicht beweisen können`::-,;daß in Wahrheit isolierte Gebäude eben deshalb so beliebt, so zwangsläufig, so selbstverständlich geworden sind, weil die Leute davor flüchten, ihre Nachbarn zur Kenntnis zu nehmen und gemeinsame Probleme lösen zu müssen. In diesem Sinne sind die isolierten Gebäude nicht nur Ausfallserscheinungen, sondern sie verlängern und nähren die Krankheit.

Wenn das stimmt, ist es nicht übertrieben zu sagen, daß in relativ dichten Stadtgebieten isolierte Gebäude und die Gesetze, durch die sie geschaffen und begünstigt werden, das Gesellschaftsgefüge so gewaltsam und nachhaltig unterminieren wie irgendein anderes soziales Übel unserer Zeit.

Im Gegensatz dazu zeigt Sitte in einer schönen Analyse an Hand vieler Beispiele, wie normalerweise in früheren Zeiten Gebäude zusammenhängend errichtet wurden:

... Das Ergebnis ist in der Tat überraschend, denn unter 255 Kirschen sind:

 an einer Seite verbaut  41 Kirchen
 an zwei Seiten verbaut  96 Kirchen
 an drei Seiten verbaut  110 Kirchen
 an vier Seiten verbaut  2 Kirchen
 freistehend  6 Kirchen
 zusammen  255 Kirchen; nur sechs freustehend

Für Rom kann es somit als Regel gelten, dass Kirchen niemals freistehend ausgeführt wurden. Beinahe dasselbe gilt aber für ganz Italien... Diesem festgeschlossenen und sichtlich mit Bewußtsein durchgeführten Systeme läuft bekanntlich unser modernes schnurgerade entgegnen.

Wir scheinen es gar nicht anders für möglich zu halten, als daß jede neue Kirche mitten auf ihren Bauplatz gestellt wird, damit sie ringsherum frei liegt. Diese Aufstellung hat aber nur Nachteile und keinen einzigen Vorteil. Für das Bauwerk ist diese Aufstellung die ungünstigste, weil der Effekt sich nirgends konzentriert, sondern ringsherum gleichmäßig zersplittert. So ein freigelegtes Bauwerk bleibt ewig eine Torte am Präsentierteller. Ein lebensvolles organisches Verwachsen mit ,der Umgebung ist da von vornherein ausgeschlossen .

Es ist eine förmliche Modekrankheit, dieser Freilegungswahn... Camilla Sitte: Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen. 4. Auflage, Wien 1909, Reprint Braunschweig: Vieweg, 1983, 5. 30-33,37)

 

108.2

Ein Bauwerk aus zusammenhängenden Gebäuden.

 

Daraus folgt:

Wo immer es möglich ist, verbinde dein Gebäude mit den rundum bestehenden Gebäuden. Laß keine Vor- oder Rücksprünge zwischen Gebäuden; versuch vielmehr, neue Gebäude als Fortsetzungen der älteren auszubilden.

 Eine Muster Sprache 108 ZUSAMMENHÄNGENDE GEBÄUDE

 

❖ ❖ 

 

Verbinde Gebäude, wo sie nicht tatsächlich — Wand zu Wand— zusammenhängen können, durch Arkaden, geschlossene Außenräume und Höfe — BELEBTE INNENHÖFE (115), ARKADEN (119), ZIMMER IM FREIEN (163) ...

 

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107.0

... nunmehr gibt es aufgrund von AUSSENRAUM NACH SÜDEN (105) und POSITIVER AUSSENRAUM (106) eine ungefähre Lage des-Gebäudes oder der Gebäude auf dem Grundstück. Bevor man die innere Einteilung des Gebäudes festlegt, muß man die Formen der Dächer und der Gebäude näher bestimmen. Dazu muß man zu den früheren Entscheidungen über die elementaren sozialen Bestandteile des Gebäudes zurückkehren. Manchmal werden diese Entscheidungen dem Einzelfall entsprechen; in anderen Fällen sind die elementaren Einheiten vielleicht durch die grundlegenden sozialen Muster definiert worden — DIE FAMILIE (75), HAUS FÜR EINE KLEINFAMILIE (76), HAUS FÜR EIN PAAR (77), HAUS FÜR EINE PERSON (78), SELBSTVERWALTETE WERKSTÄTTEN UND BÜROS (80), KLEINE UNBÜROKRATISCHE DIENSTLEISTUNGEN (81), VERBINDUNG ZWISCHEN BÜROS (82), MEISTER UND LEHRLINGE (83), GESCHÄFTE IN PRIVATBESITZ (87). Jetzt kann man beginnen, dem Gebäude aufgrund dieser sozialen Gruppierungen eine genaue Form zu geben. Fang mit der Einsicht an, daß das Gebäude kein massiver Klotz sein muß, sondern in Flügel zerlegt werden kann.  

 

❖ ❖ 

 

Die Form moderner Gebäude entsteht ohne jede Bedachtnahme auf das natürliche Licht — sie sind fast zur Gänze auf Kunstlicht angewiesen. Aber Gebäude, die die natürliche Belichtung als Hauptlichtquelle ausschalten, sind kein Ort, wo man den Tag verbringen kann.

 107.1

Ein Baumonstrum - Tageslicht im Inneren ist ohne Belang.

 

Wenn man diese einfache Feststellung ernst nimmt, wird sie die-Gestalt der Gebäude revolutionieren. Derzeit halten es die Menschen für selbstverständlich, daß man künstlich beleuchtete Innenräume benutzen kann; deswegen nehmen die Gebäude alle erdenklichen Formen und Dimensionen an.

Wenn wir Tageslicht als ein wesentliches — nicht fakultatives — Merkmal des Innenraums betrachten, kann kein Gebäude tiefer als..6-8 m sein, da kein Punkt im Gebäude, der mehr als 4 m oder 5 m von einem Fenster entfernt ist, gutes Tageslicht erhält.

Weiter unten, in LICHT VON ZWEI SEITEN IN JEDEM RAUM (159), werden wir noch genauer begründen, daß jeder Raum, in dem Menschen sich wohlfühlen können, nicht nur ein Fenster haben muß, sondern zwei, und zwar an verschiedenen Seiten. So erfährt die Gebäudeform eine weitere Gliederung: sie erfordert nicht nur, daß das Gebäude nicht tiefer als 8 m ist, sondern auch, daß seine Außenwände ständig durch Ecken und einspringende Winkel gebrochen sind, damit jedes Zimmer zwei Außenwände hat.

Das vorliegende Muster, dem gemäß Gebäude aus langen lind schmalen Flügeln gebildet sein sollen, ist die Grundlage für das spätere Muster. Wenn man sich das Gebäude nicht von Anfang an als aus langen, schmalen Flügeln bestehend vorstellt, dann ist es im späteren Verlauf nicht mehr möglich, LICHT VON ZWEI SEITEN IN JEDEM RAUM (159) ohne Abstriche einzuführen. Darum bauen wir zuerst die Beweisführung für dieses Muster auf, ausgehend vom menschlichen Bedürfnis nach natürlichem Licht, und befassen uns erst später, in LICHT VON ZWEI SEITEN IN JEDEM RAUM (159), mit der Verteilung der Fenster im einzelnen Raum.

Es gibt zwei Gründe für die Annahme, daß Menschen hauptsächlich von der Sonne belichtete Gebäude brauchen.

Erstens lehnen sich in der ganzen Welt Menschen gegen fensterlose Gebäude auf; die Leute beschweren sich, wenn sie Orten ohne Tageslicht arbeiten müssen. Durch eine Analyse der verwendeten Worte hat Rapoport gezeigt, daß Menschen in Räumen mit Fenstern in besserer Stimmung sind als in Räumen ohne Fenster. (Amos Repoport, „Some Consumer Cormments an a Designed Environment", Arena, Januar 1967, S. 176-178.) Edward Hall erzählt die Geschichte eines Mannes, der eine Zeit lang in einem fensterlosen Büro arbeitete und es dauernd „tadellos" fand, bis er dann plötzlich nicht mehr kam Hall sagt: „Das Problem war so tief und so ernst, daß der Mann nicht einmal eine Diskussion darüber ertragen konnte, da ein bloßes Gespräch die Schleusen geöffnet hätte."

Zweitens gibt es immer mehr Beweise dafür, daß der Mensch das Tageslicht braucht, weil der Tageslichtzyklus in gewisser' Weise eine entscheidende Rolle bei der Aufrechterhaltung der Biorhythmen des Körpers spielt, und daß der Lichtwechsel Laufe des Tages, bei aller Unterschiedlichkeit, in diesem Sinne eine grundlegende Konstante ist, durch die der menschliche Körper seine Beziehung zur Umwelt wahrt. (Siehe z.B.  R. G. Hopkinson, Architectural Physics: Lighting, Department of Scientific & Industrial Research, Building Research Station, HMSO, London 1963, S. 116-117.) Wenn das stimmt, dann erzeugt zuviel künstliches Licht wirklich einen Bruch im Verhältnis der Person zu ihrer Umgebung und bringt die menschliche Physiologie aus dem Gleichgewicht.

Viele werden diesen Behauptungen beipflichten. Sie geben ja nur genau das wieder, was wir ohnehin wissen: daß es jeinem Gebäude mit Tageslicht viel schöner ist als in einem ohne Tageslicht. Die Schwierigkeit ist, daß viele Gebäude ohne Tageslicht wegen der Bebauungsdichte so gebaut sind. Sie sind kompakt gebaut, in der Annahme, daß man das Tageslicht opfern muß, wenn man hohe Dichten erzielen will.

Lionel March und Leslie Martin haben zu dieser Disktussion einen wichtigen Beitrag geleistet. (Leslie Martin und. Lionel March, Land Use and Built Form, Cambridge Research,.,Cambridge University, April 1966.) Mit dem Verhältnis von Geschoßfläche zu Grundstücksfläche als Maß für die Dichte und. der halben Gebäudetiefe als Maß für die Tageslichtbedingungen haben sie drei verschiedene Anordnungen von Gebäude .und Freiraum verglichen, bezeichnet als S0, S1 und S2.

Von den drei Anordnungen gibt S2, in der die Gebäude. die Außenräume mit schmalen Flügeln umfassen, die besten Tageslichtbedingungen für eine gegebene Dichte. Sie gibt auch, die höchste Dichte für ein gegebenes Tageslichtniveau.

Eine Muster Sprache 107 GEBÄUDEFLÜGEL MIT TAGESLICHT  

Noch ein weiterer Einwand wird oft gegen dieses Muster erhoben. Da es zum Entstehen schmaler und weitläufiger Gebäude tendiert, erhöht es den Gebäudeumfang und steigert daher die Baukosten entscheidend. Wie viel macht das aus? Die folgenden Zahlen sind aus einer Kostenanalyse von Standard-Bürogebäuden entnommen, die von Skidmore, Owings und Merrill in dem Programm BOP (Gebäudeoptimierung) verwendet wurde. Diese Zahlen veranschaulichen die Kosten eines typischen Bürogeschosses und setzen Kosten von 226 Dollar pro m² für Konstruktion, Decken, Ausbau, Haustechnik usw. ohne Außenwand, und Kosten von 360 Dollar pro lfm für die Umfassungswand an. (Kosten von 1969)

 

 Geschoßfläche m²  Grundrißform  Kosten ($) der Umfassungswand  Kosten ($) der Umfassung bezogen auf m² Geschoßfl.  Gesamtkosten ($) pro m²

 1.500

 40,0 x 37,5

 55.800,-

 37,20

 263,20
 1.500  50,0 x 30,0  57.600,-  38,40  264,40
 1.500  60,0 x 25,0  61.200,-  40,80  266,80
 1.500  75,0 x 20,0  68.400,-  45,60  371,60
 1.500  100,0 x 15,0  82.800,-  55,20  281,20

 Der zusätzliche Umfang erhöht die Baukosten nur wenig

 

Wir sehen also, zumindest in diesem einen Fall, daß die Kosten des zusätzlichen Umfangs die Baukosten nur sehr wenig erhöhen. Das schmalste Gebäude kostet nur 6,8% mehr als das dem Quadrat am nächsten kommende. Wir nehmen an, daß dieser Fall repräsentativ ist und daß die bei quadratischen und kompakten Gebäudeformen erzielbaren Einsparungen weit übertrieben worden sind.

Wenn wir nun annehmen, daß dieses Muster mit den Problemen der Dichte und der Außenwandkosten vereinbar ist, müssen wir entscheiden, wie breit ein Gebäude sein kann, das wir entscheiden, wie breit ein Gebäude sein kann, das trotzdem noch im wesentlichen von der Sonne belichtet ist.

 Zunächst nehmen wir an, daß kein Punkt im Gebäude weniger als 200 lx Beleuchtungsstärke aufweisen soll. Diesen Wert zunächst nehmen wir an, daß kein Punkt im Gebäude weniger als 200 lx Beleuchtungsstärke aufweisen soll. Diesen Wert findet man etwa in einem typischen Flur; er liegt gerade unter dem Wert, der zum Lesen erforderlich ist. Zweitens nehmen wir an, daß ein Ort nur dann als „natürlich" beleuchtet empfunden wird, wenn mehr als 50% seines Lichts Tageslicht ist,  d.h.: selbst an den von den Fenstern am weitesten entfernten Stellen müssen 100 lx der Beleuchtungstärke vom Tageslicht herrühren.

Betrachten wir einen Raum, der von Hopkinson und Kay in allen Einzelheiten analysiert wurde. Dieser Raum, ein Klassenzimmer, ist 5,5 rn breit, 7,3 in lang, mit einem Fenster entlang einer Seite, dessen Unterkante 90 cm über dem Boden liegt. Die. Wände haben einen Reflexionsgrad von 40% ein durchaus typischer Wert. Bei einem Himmel von mittlerer Bedeckung erhalten die Tische 4,5 m vorn Fenster gerade 100 lx Beleuchtungsstärke vom Tageslicht - das entspricht unserem Minimum. Das ist aber noch ein eher gut belichteter Raum (R. G. Hopkinson und J. G. Kay, The Lighting of Buildings.New York: Praeger, 1969, S. 108.)

Man kann sich schwer vorstellen, daß mehr als 4,5.m tiefe Räume im allgemeinen unseren Anforderungen entsprechen werden. Viele Muster in diesem Buch tendieren ja dazu die Fensterfläche zu reduzieren - FENSTER MIT BLICK AUF DIE AUSSENWELT (192), TÜREN UND FENSTER NACH BEDARF (221), TIEFE LAIBUNGEN (223), KLEINE SCHEIBENTEILUNG (239) - sodaß Räume, in vielen Fällen nicht mehr als 3,5 m tief sein sollten - oder nur dann, wenn die Wände sehr hell oder die Decken sehr hoch sind. Daraus ergibt sich, daß ein Gebäudeflügel, der wirklich ein „Tageslichtflügel" sein soll, etwa 7,5 in breit sein darf - jedenfalls nicht breiter als 9 m - mit den Innenräumen in.einer Reihe entlang des Flügels. Bei breiteren Gebäuden nimmt die künstliche Beleuchtung notwendigerweise überhand.

Ein Gebäude, das einfach breit sein muß - etwa eine:große Halle - kann die erforderliche Belichtung durch zusätzliche Oberlichtfenster im Dach erhalten.

 

Daraus folgt:

Leg jedes Gebäude so an, daß es sich in Flügel aufteilt, die ungefähr den natürlichen sozialen Gruppen im Gebäude entsprechen. Mach jeden Flügel lang und so schmal wie möglich — höchstens 7,5 m breit.

 Eine Muster Sprache 107 GEBÄUDEFLÜGEL MIT TAGESLICHT 1

 

❖ ❖ 

 

Bilde mit den Flügeln Außenräume, die eine eindeutige Form haben, also Höfe und geschlossene Räume - POSITIVER AUSSENRAUM (106); verbinde die Flügel womöglich mit benachbarten bestehenden Gebäuden, sodaß das Gebäude einen Platz inner-hab eines weitläufigen zusammenhängenden Gebildes einnimmt - ZUSAMMENHÄNGENDE GEBÄUDE (108). Bei der weiteren Bearbeitung, wenn einzelne Räume festgelegt werden, benütz das Tageslicht der Gebäudeflügel dazu, LICHT VON ZWEI SEITEN IN JEDEM RAUM (159) vorzusehen.

Mach über jedem Flügel ein eigenes Dach, sodaß alle Flügel zusammen eine große DACHKASKADE (116) bilden; enthält der Gebäudeflügel verschiedene Wohnungen und Arbeitsstätten oder eine Reihe größerer Räume, dann leg den Zugang zu diesen Räumen und Raumgruppen auf eine Seite in eine Arkade. oder Galerie, nicht in einen inneren Erschließungsgang - ARKADEN (119), KURZE VERBINDUNGSGÄNGE (132). Was die tragende Konstruktion der Gebäudeflügel betrifft, geh davon aus, daß DIE KONSTRUKTION DEN SOZIALEN RÄUMEN FOLGT (205) ...

 

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106.0

... beim Anlegen eines AUSSENRAUMS NACH SÜDEN (105), muß man sich ebenso über die Lage des Gebäudes wie über die Lage des Außenraums klar werden. Die Form des einen ist nicht ohne .die Form. des anderen möglich. Dieses Muster beschreibt die geometrischen Eigenschaften des Außenraums; das nächste - GEBÄUDEFLÜGEL MIT TAGESLICHT (107) - beschreibt die komplementäre Form des Innenraums.

 

❖ ❖ 

 

Außenräume, die bloße „Restflächen" zwischen Gebäuden sind, werden im allgemeinen nicht benutzt.

 

Es gibt zwei grundsätzlich verschiedene Arten von Außenraum: negativer Raum und positiver Raum. Außenraum ist 'negativ, wenn er ohne Form ist, der bloße Rest, der übrig bleibt, nachdem Gebäude - die im allgemeinen als positiv angesehen werden - auf dem Gelände platziert sind. Ein Außenraum ist positiv, wenn er eine deutliche und bestimmte Form hat, so bestimmt wie die Form eines Raums, und wenn seine Form ebenso bedeutsam ist wie die Formen der umgebenden Gebäude. Die beiden Arten von Raum haben völlig verschiedene Grundrißgeometrien, die am besten durch die Umkehrung der Figur-Grund-Beziehung zu unterscheiden sind.

Eine Muster Sprache 106 POSITIVER AUSSENRAUM

Wenn man sich den Grundriß einer Bebauung mit negativen Außenräumen anschaut, sieht man die Gebäude als Figur und den Außenraum als Grundfläche. Die Umkehrung ist nicht möglich. Man kann den Außenraum nicht als Figur und die Gebäude nicht als Grund sehen. Wenn man sich den Grundriß einer Bebauung mit positiven Außenräumen anschaut, sieht man die Gebäude als Figur und den Außenraum als Grund  und man sieht auch die Außenräume als Figur gegen den Grund der Gebäude. Die Grundrisse beinhalten eine Figur-Grund-Umkehrung.

Ein anderer Weg, den Unterschied zwischen „positiven" und „negativen" Außenräumen zu erfassen, ist der Grad von Geschlossenheit und der Grad von Konvexität.

In der Mathematik ist ein Raum konvex, wenn die Verbindungslinie zwischen zwei beliebigen Punkten innerhalb des Raums selbst zur Gänze innerhalb des Raums liegt. Er ist nicht konvex, wenn irgendwelche Verbindungslinien von Punkten zumindest teilweise außerhalb des Raums liegen. Nach dieser Definition ist der unregelmäßige grob rechteckige Raum weiter unten konvex und daher positiv; der L-förmige Raum dagegen ist weder konvex noch positiv, weil die Verbindungslinie der beiden Enden die Ecke schneidet und außerhalb des Raums verläuft.

Eine Muster Sprache 106 POSITIVER AUSSENRAUM 1

Positive Räume sind teilweise umschlossen. Zumindest so-. weit, daß ihre Flächen begrenzt erscheinen (wenn das auch tatsächlich nicht der Fall ist, weil es immer hinausführende Wege oder ganze offene Seiten gibt), und die praktisch erscheinende Fläche konvex ist. Negative Räume sind so schlecht definiert, daß man nicht wirklich sagen kann, wo ihre Grenzen sind - und soweit man es sagen kann, sind ihre Formen nicht konvex.

Welche funktionelle Bedeutung hat nun die Unterscheidung zwischen „positiven" und „negativen" Außenräumen? Wir stellen folgende Hypothese auf: Die Menschen fühlen sich' „positiven" „positiven" Räumen wohl und benutzen sie; in „negativen" Räumen fühlen sie sich weniger wohl und lassen sie eher unbenutzt.

Eine Muster Sprache 106 POSITIVER AUSSENRAUM 2

Die umfassendste Begründung für diese Hypothese hat Camillo in Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen (Wien 1889, Reprint Braunschweig: Vieweg, 1983) gegeben. Sitte analysierte eine große Zahl von Plätzen in europäischen Städten, hob jene, die benutzt und lebendig erscheinen, im Gegensatz zu den anderen hervor und versuchte das Gelingen der belebten Plätze zu erklären. Er zeigt an einem Beispiel nach dem anderen, daß die gelungenen — die benutzt werden und den Leuten gefallen — zwei Eigenschaften haben: Einerseits sind sie teilweise umschlossen, andererseits sind sie aber zueinander geöffnet, so daß jeder in einen weiteren führt.

Die Tatsache, daß die Leute sich in einem zumindest teilweise:umschlossenen Raum wohler fühlen, ist schwer zu erklären. Zunächst einmal stimmt es offensichtlich nicht immer. Zum Beispiel fühlen sich doch Menschen an einem offenen Strand oder auf einer welligen Ebene sehr wohl, wo es vielleicht überhaupt keine räumliche Begrenzung gibt. Aus irgendeinem Grund scheint aber in kleineren Außenräumen — Gärten, Parks, Wegen, Plätzen — die räumliche Begrenzung ein Gefühl der Sicherheit zu schaffen.

 

106.1 4

Vier Beispiele positiver Außenräume.

 

Es scheint, daß das Bedürfnis nach Umschließung, Einfriedung auf unsere primitivsten Instinkte zurückgeht. Wenn jemand zum Beispiel im Freien eine Stelle zum Hinsetzen sucht, wird er kaum exponiert, in der Mitte einer offenen Fläche, sitzen wollen — gewöhnlich sucht er einen Baum, an den er sich lehnen kann, eine Mulde im Boden, einen natürlichen Graben, der ihn teilweise umschließt und schützt. Unsere Studien über den menschlichen Raumbedarf an Arbeitsplätzen zeigen ein ähnliches Phänomen. Für ihr Wohlbefinden braucht eine Person einen gewissen Grad von Abgeschlossenheit um sich und ihre Arbeit, aber nicht zu viel — siehe ABGRENZUNG DES ARBEITSPLATZES (183). Clare Cooper kam in ihrer Studie über Parks zum gleichen Ergebnis: Menschen suchen Stellen, die teilweise geschlossen und teilweise offen sind — nicht zu offen, nicht zu geschlossen (Glare Cooper, Open Space Study, San Francisco Urban Design Study, San Francisco City Planning Dept., 1969).

 

106.5

Platz vor dem Regierungspalais in Nancy.

 

Häufig wird ein positiver Außenraum zusammen mit ande-ren Mustern geschaffen. Das folgende Bild zeigt einen der wenigen Plätze in der Welt, wo ein beträchtlicher Teil des Bauvolumens keinen anderen Zweck hat, als positiven Außenraum zu schaffen. Irgendwie unterstreicht er die Dringlichkeit dieses Musters.

Wenn ein Außenraum negativ — etwa L-förmig — ist, kann man immer kleine Gebäude, Gebäudevorsprünge oder Mauern so anordnen, daß der Raum in positive Teile zerlegt wird.

Eine Muster Sprache 106 POSITIVER AUSSENRAUM 4

Und wenn ein bestehender Außenraum zu abgeschlossen ist, kann man vielleicht das Gebäude aufbrechen, um den Raum zu öffnen.

 Eine Muster Sprache 106 POSITIVER AUSSENRAUM 5

Daraus folgt:

Mach alle Außenräume, die deine Gebäude umgeben und zwischen ihnen liegen, positiv. Gib jedem einen gewissen Grad von Abgeschlossenheit; umgib jeden Raum mit Gebäudeflügeln, Bäumen, Hecken, Zäunen, Arkaden und Laubenwegen, bis er eine Ganzheit mit einer positiven Qualität wird und nicht unklar an irgendwelchen Ecken ausläuft.

 Eine Muster Sprache 106 POSITIVER AUSSENRAUM 6

 

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Form die Außenräume durch GEBÄUDEFLÜGEL MIT TAGS LICHT (107). Benutz Laubenwege, Mauern und Bäume, um zu exponierte Räume abzuschließen — PLÄTZE UNTER BÄUMEN (171), GARTENMAUER (173), LAUBENWEG (174); aber erhalte jedem Raum immer eine Öffnung zu einem größeren, so daß er nicht zu abgeschlossen ist — HIERARCHIE DER AUSSENRAUME (114). Benutz auch die GEBÄUDEFRONTEN (122) zur Bildung der Raumgestalt. Ergänze den positiven Charakter des Freiraums  durch nutzbare Stellen an allen Gebäudekanten und behandle also den Freiraum mit der gleichen Sorgfalt wie die Gebäude — GEBÄUDEKANTE (160). Zieh dieses Muster heran für BELEBTE INNENHÖFE (115), DACHGÄRTEN (118), DIE FORM VON WEGEN (121), ZIMMER IM FREIEN (163), WILDWACHSENDER GARTEN (172) ...

 

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105.0

... über die allgemeinen Gedanken zur Platzwahl in VERBESSERUNG DES BAUPLATZES (104) hinaus regelt dieses Muster die grundsätzliche Anordnung des Gebäudes und des umgebeden Freiraums im Hinblick auf die Sonne.

 

❖ ❖ 

 

Offener Raum wird benutzt, wenn er sonnig ist, und nicht benutzt, wenn er es nicht ist - außer es handelt sich um Wüstenklima.

 

Das ist vielleicht die wichtigste Einzeltatsache bei-'einem Gebäude. Wenn das Gebäude richtig angeordnet ist, dann wird es mit seinen Gärten zu einem glücklichen Ort werden, erfüllt von Leben und Lachen. Wenn das falsch gemacht wird, werden alle Sorgfalt der Welt und die schönsten Einzelheiten es nicht davor bewahren, ein stummer, düsterer Ort zu werden. Hunderte Hektar Freiraum werden in jeder Stadt verschwendet, weil sie im Norden von Gebäuden liegen und nie Sonne bekommen. Dies gilt ebenso für öffentliche Gebäude wie für Einzelhäuser. Das Gebäude der Bank of America in San Francisco — ein gewaltiger Bau, errichtet von einem großen Architekturbüro — hat seine „Plaza" auf der Nordseite. Zur Mittagszeit ist die „Plaza" leer, und die Leute essen ihre Sandwiches auf der Straße, an der Südfront, wo die Sonne ist.

 

105.1

Nach Norden gerichteter Außenraum.

 

Dasselbe gilt für Einzelhäuser. Die Form und Orientierung der Parzellen, wie sie in den meisten Bebauungen vorkommt erzwingt rund um die Häuser einen Freiraum, den niemand je benützen wird, weil er nicht besonnt ist.

Eine Umfrage in einem Wohnblock in Berkeley, Kalifornien bestätigt dieses Problem drastisch. An der Webster Street — einer Ost-West-Straße — sagten 18 von 20 befragten Personen, daß sie nur die sonnigen Teile ihrer Höfe benutzten. Die Hälfte von ihnen wohnte an der Nordseite der Straße — diese Leute benützten ihre Höfe überhaupt nicht, sondern saßen stattdessen im Vorgarten beim Gehsteig, um in die Sonne zu kommen. Die nach Norden gerichteten Höfe wurden hauptsächlich als Abstellraum verwendet. Nicht eine der befragten Personen gab an, einen schattigen Hof vorzuziehen.

Eine Muster Sprache 105 AUSSENRAUM NACH SÜDEN

Die Umfrage machte auch den Gedanken plausibel, daß sonnige Flächen nicht benutzt werden, wenn man erst durch einen tiefen Schattenstreifen am Haus gehen muß, um zur Sonne zu kommen. Vier nach Norden gerichtete Höfe waren groß genug für eine sonnige Hinterseite. Nur in einem dieser Höfe wurde laut Angaben die sonnige Fläche benutzt — genau der, wo man zur Sonne konnte, ohne einen tiefen Schattenstreifen zu durchqueren.

Obwohl die Idee eines offenen Raums nach Süden sehr einfach ist, hat sie weitreichende Auswirkungen, und es wird größere Veränderungen in der Bodennutzung geben müssen, damit sie zustande kommt. Wohngebiete zum Beispiel werden ganz anders als heute organisiert sein müssen. Parzellen für Einzelhäuser werden in der Nord-Süd-Richtung länger sein müssen, mit den Häusern an der Nordseite.

Eine Muster Sprache 105 AUSSENRAUM NACH SÜDEN 1

Dieses Muster wurde für die San Francisco Bay Area entwickelt. Seine Bedeutung wird natürlich mit geographischer Breite und Klima wechseln. In Eugene, Oregon, zum Beispiel, mit einem eher regnerischem Klima und auf etwa 50° geographischer Breite, ist dieses Muster noch wichtiger: die Südfronten der Gebäude sind an sonnigen Tagen die wertvollsten Außenräume. Im Wüstenklima ist das Muster weniger wichtig, die Leute werden sich in Außenräumen aufhalten wollen, die ein ausgewogenes Verhält-nis von Sonne und Schatten haben. Aber in der einen oder anderen Weise ist dieses Muster absolut grundlegend.

 

Daraus folgt:

Leg die Gebäude immer nördlich der zugehörigen Außenräume an und richte die Außenräume nach Süden. Vermeide stets einen tiefen Schattenstreifen zwischen dem Gebäude und dem sonnigen Teil des Außenraums.

Eine Muster Sprache 105 AUSSENRAUM NACH SÜDEN 2

 

❖ ❖ 

 

Berücksichtige bei der Lage des Freiraums den HALBVERSTECKTEN GARTEN (111). Mach die Außenräume zu positiven Räumen - POSITIVER AUSSENRAUM (106) - und zerleg das Gebäude in schmale Gebäudeflügel - GEBÄUDEFLÜGEL MIT TAGESLICHT (107). Leg die wichtigsten Räume an die Südseite dieser Flügel .- SONNENLICHT IM INNERN (128); und halte die Abstellräume, Parkplätze usw. im Norden - ABGESTUFTE NORDFRONT(162). Sobald das Gebäude weiter durchgearbeitet ist, kann man sich auf die einzelnen Nahtstellen zwischen Außenräumen und Gebäude konzentrieren und jene Stellen genauer bestimmen, wo man in der Sonne sitzen kann - SONNIGE STELLE (161) ...

 

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