EINE MUSTER-SPRACHE

STÄDTE - GEBÄUDE - KONSTRUKTION

Christopher Alexander, Sara Ishikawa, Murray Silverstein

mit Max Jacobson, Ingrid F. King, Shlomo Angel 

Für Verbreitung, Schulung und Ergänzung digitalisiert von:
THE PATTERN COMMUNITY - Institut zur Förderung menschengerechter Dörfer, Städte und Regionen

STÄDTE

Wir beginnen mit jenem Teil der Sprache, durch den eine Stadt oder Gemeinde definiert wird. Diese Muster können keinesfalls mit einem Schlag "entworfen" oder "gebaut" werden - nur geduldige und schrittweise Entwicklung, daraufhin angelegt, daß jede individuelle Maßnahme zur Entstehung dieser größeren, umfassenden Muster beiträgt, wird langsam und sicher über Jahre ein Gemeinwesen herbeiführen, das diese umfassenden Muster enthält. geduldige und schrittweise Entwicklung, daraufhin angelegt, daß jede individuelle Maßnahme zur Entstehung dieser größeren, umfassenden Muster beiträgt, wird langsam und sicher über Jahre ein Gemeinwesen herbeiführen, das diese umfassenden Muster enthält. 

GEBÄUDE

Hier werden die übergeordneten Muster ergänzt, die eine Stadt oder eine Gemeinde definieren. Wir beginnen jetzt jenen Teil der Sprache, die Gebäudegruppen und Einzelgebäuden ihre Form gibt, dreidimensional auf dem Grundstück. Das sind die Muster, die "entworfen" oder "gebaut" werden können - die Muster, die die einzelnen Gebäude und den Raum zwischen Gebäuden definieren. Zum ersten Mal behandeln wir Muster,die innerhalb der Kontrolle von Einzelpersonen oder kleinen Personengruppen liegen, die diese Muster in einem Zug realisieren können.

 

KONSTRUKTION

In dieser Phase haben wir einen vollständigen Entwurf für ein einzelnes Gebäude. Wenn die gegebenen Muster befolgt wurden,so hat man ein Schema der Räume, sei es mit Stecken auf dem Boden markiert oder auf einem Stück Papier - etwa aufeinen halben Meter genau. Man kennt die Höhe der Räume, die ungefähre Größe und Lage der Fenster und Türen, und man weiß ungefähr, wie die Dächer des Gebäudes und die Gärten anzuordnen sind.

Der nächste und letzte Teil der Sprache erklärt einem, wie man direkt aus diesem groben Raumschema ein baubares Gebäude macht, und erklärt auch im Detail, wie es zu bauen ist.

PROLOG

 

112.0

... an welchem Gebäude oder Gebäudekomplex man auch immer arbeitet — es gibt eine ungefähre Lage der wichtigsten Eingänge: Die Tore zum Grundstück ergeben sich aus HAUPTTORE (53); die Eingänge in die einzelnen Gebäude aus FAMILIE VON EINGÄNGEN (102) und aus HAUPTEINGANG (110). In jedem Fall schaffen die Eingänge einen Übergang zwischen „außen" — der öffentlichen Welt — und einer weniger öffentlichen, inneren Welt. Im Fall von HALBVERSTECKTEN GÄRTEN (111) steigern diese Gärten die Schönheit des Übergangs. In diesem Muster nun wird der Übergang, der durch Eingänge und Gärten entsteht, genauer herausgearbeitet und begründet.

 

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Gebäude und besonders Häuser, mit einem reizvollen Übergang zwischen Straße und dem Innern strahlen mehr Ruhe aus als solche, die sich direkt zur Straße öffnen.

 

Das Erlebnis beim Betreten eines Gebäudes hat einen Einfluß darauf, wie man sich innerhalb des Gebäudes fühlt. Wenn der Übergang zu abrupt ist, hat man nicht das Gefühl angekommen zu sein, und das Gebäudeinnere schafft es nicht, zu einer Privatsphäre zu werden.

 

112.1

Ein abrupter Eingang - kein Übergang.

 

Vielleicht ist das durch die folgende Überlegung besser zu verstehen. Während sie auf der Straße sind, nehmen die Leute eine Art „Straßenverhalten" an. Wenn sie in ein Haus kommen, wollen sie natürlich dieses Straßenverhalten loswerden und ich ganz der intimeren Stimmung, die einem Haus entspricht, hingeben. Wahrscheinlich können sie das nicht, wenn es keinen Übergang vorn einen zum anderen gibt, der das Ablegen des Straßenverhaltens erleichtert. Der Übergang muß eigentlich das Moment der Verschlossenheit, Anspannung und „Distanz", das dein Straßenverhalten entspricht, zerstören, bevor die Leute sich wirklich entspannen können.

Einen Beweis dafür liefert die Studie von Robert Weiss und Serge Bouterline: Fairs, Exhibits, Pavilions, and their Audiences, Cambridge, Mass., 1962. Die Autoren stellten fest, daß viele :Ausstellungen es nicht schafften, Menschen „festzuhalten"; die Leute ließen sich hineintreiben, aber innerhalb kurzer Zeit auch wieder hinaus. Bei einer Ausstellung jedoch mußte man beim Eintreten einen großen, hochflorigen, hellorangen Teppich überqueren. In diesem Fall blieben die Leute drinnen, obwohl die Ausstellung nicht besser war als die anderen. Die Autoren zogen den Schluß, daß Menschen im allgemeinen unter dem Einfluß ihres eigenen „Straßen- und Massenverhaltens" stehen und daß sie, solange dieser Einfluß andauert, sich nicht genug entspannen können, um auf die Ausstellung einzugehen. Aber der leuchtende Teppich lieferte ihnen beim Eintreten einen so :starken Kontrast, daß er die Wirkung ihres Außenverhaltens aufhob, ihre Gedanken gewissermaßen „leerfegte", sodaß sie sich nun der Ausstellung widmen konnten.

Michael Christiano machte während seines Studiums an der University of California folgendes Experiment: Er zeigte Leuten Fotos und Zeichnungen von Hauseingängen mit verschiedenen .Graden des Übergangs und fragte sie dann, welcher davon am "häuslichsten" wäre. Er fand heraus, daß ein Hauseingang umso „hausartiger" scheint, je mehr Wechsel und Übergänge er enthält. Und der als am „hausartigsten" beurteilte Eingang von allen ist einer mit einer langen, offenen, gedeckten Galerie mit Ausblick in die Ferne.

Ein anderes Argument, mit dem sich die Bedeutung des Übergangs erklären läßt: die Leute wollen, daß ihr Haus, und besonders der Eingang, eine Privatdomäne ist. Mit einer zurückgesetzten Eingangstür und einem Übergangsbereich zwischen ihr und der Straße ist diese Domäne unzweifelhaft definiert. Das würde erklären, warum Leute oft nicht auf einen Vorgartenstreifen verzichten wollen, auch wenn sie ihn nicht „benützen". Cyril Bird stellte fest, daß 90% der Bewohner einer Siedlung ihre etwa 6 in tiefen Vorgärten für gerade ausreichend oder sogar für zu klein hielten — aber nur 15% von ihnen> diese Gärten je als Sitzplatz benutzten. („Reactions to Radburn: A Study of Radburn Type Housing, in Hemel Hempstead", RIBA final thesis, 1960.)

Bisher haben wir hauptsächlich über Häuser gesprochen. Wir glauben aber, daß dieses Muster auf eine breite Vielfalt von Eingängen zutrifft. Sicher trifft es auf alle Wohnformen ein schließlich Geschoßwohnungen zu — obwohl es bei Geschoßwohnungen heute gerade fehlt. Es gilt auch für jene öffentlichen Gebäude, die von einem Gefühl für Zurückgezogenheit leben: eine Klinik, ein Juweliergeschäft, eine Kirche, eine öffentliche Bibliothek. Es gilt nicht für öffentliche Gebäude oder Gebäude, die von der Verbindung mit der Öffentlichkeit leben.

Vier Beispiele gelungener 'Übergangszonen vor Eingängen:

  112.2 5

Jedes Beispiel bewirkt den Übergang mit einer anderen Kombination von Elementen.

 

Wie man an diesen Beispielen sieht, kann der Übergang selbst sehr verschieden ausgebildet sein. In manchen Fällen kann er zum Beispiel direkt hinter der Eingangstür sein — eine Art Eingangshof, der wiederum zu einer Tür oder Öffnung führt, die noch deutlicher „innen" ist. In einem anderen Fall kann der Übergang eine Wegkrümmung bilden, die nach einem Tor an Fuchsien vorbeistreift und dann die Haustür erreicht. Man kann auch einen Übergang durch einen Wechsel der Oberfläche schaffen, sodaß man vom Gehsteig auf einen Kiesweg tritt und dann unter einer Pergola ein oder zwei Stufen hinaufgeht.

in all diesen Fällen ist das Wichtigste, daß der Übergang als physischer Raum zwischen Außen und Innen wirklich existiert und daß, beim Durchschreiten dieses Raums die Aussicht, das Geräusch, das Licht und der Boden, auf dem man geht, wechseln. Es sind die physischen Veränderungen — und vor allem der Wechsel des Gesichtsfelds —, die den psychologischen Übergang im Kopf schaffen

 

Daraus folgt:

Schaff einen Übergangsbereich zwischen der Straße und der Eingangstür. Führ den Weg zwischen Straße und Eingang durch diesen Übergangsbereich und kennzeichne ihn durch einen Wechsel des Lichts, einen Wechsel des Geräuschs, einen Wechsel der Richtung, einen Wechsel der Bodenoberfläche, einen Wechsel der Höhenlage, vielleicht durch Tore und damit einen Wechsel der Umschließung, und vor allem mit einem Wechsel der Aussicht,

 Eine Muster Sprache 112 ZONE VOR DEM EINGANG

 

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Unterstreich die flüchtige Aussicht, die der Übergang liefert durch den kurzen Blick auf etwas Entferntes — Die AUSSICHT DES MÖNCHS (134); mach vielleicht ein Tor oder eine einfache Gartentür, um den Bereich abzugrenzen — GARTENMAUER (173); und unterstreich den Wechsel des Lichts — WECHSEL VON HELL UND DUNKEL (135), LAUBENWEG (174). Die Übergangszone mündet in der Eingangstür, im EINGANGSRAUM (130); danach beginnen STUFEN DER INTIMITÄT (127) ...

 

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... dieses Muster hat mit der grundsätzlichen Anlage von HAUSGRUPPE (37), REIHENHÄUSER (38), GEMEINSCHAFT VON ARBEITSSTÄTTEN (41), DAS EIGENE HEIM (79) und GEBÄUDEKOMPLEX (95) zu tun, weil es die Lagebeziehung der Gebäude und ihrer Gärten betrifft. Da es sich auf die Lage der Gebäude einerseits und die Form und Lage der Gärten andererseits bezieht, kann es auch zur Ausbildung von AUSSENRAUM NACH SÜDEN (105) und zum Einleiten von VERBESSERUNG DES BAUPLATZES (104) herangezogen werden.

 

***

 

Wenn ein Garten zu nahe an der Straße ist, werden ihn die Leute nicht benutzen, weil er nicht privat genug ist. Aber wenn er von der Straße zu weit entfernt ist, wird er auch nicht benutzt werden, weil er zu isoliert ist.

 

Man denke zunächst an die bekannten Vorgärten. Sie sind häufig sehr dekorativ, mit Rasen und Blumen. Aber wie oft sitzen die Leute dort? Außer bei speziellen Gelegenheiten, wo Leute tatsächlich die Straße beobachten wollen, ist der Vorgarten nichts als eine Dekoration. Die halbprivaten Familientreffen, ein Glas mit Freunden, Ball spielen mit den Kindern, im Gras liegen — das braucht mehr Schutz als der typische Vorgarten bieten kann.

Aber der Garten hinterm Haus ist auch keine Lösung. Hintergärten, die völlig isoliert sind, völlig im „Abseits", sind so abgelegen von der Straße, daß man sich oft auch nicht wohl fühlt. Oft ist der Hintergarten so abgeschieden von der Straße, daß man nicht hört, wenn Leute zum Haus kommen; man hat kein Gefühl eines weiteren offenen Raumes, spürt nichts von anderen Menschen — nur die abgeschlossene, isolierte, eingeszäunte Welt einer Familie. Kinder, die viel spontaner und intuitiver sind, geben uns ein Bild im kleinen. Wie selten spielen sie im Hintergarten; wie oft bevorzugen sie jene Seitenhöfe und -gärten, die eine gewisse Privatheit haben und doch auch offen zur Straße sind.

Es scheint also, daß der richtige Platz für einen Garten werder vorne noch ganz hinten ist. Der Garten braucht einen gewissen Grad von Privatheit, erfordert aber auch eine schmale Verbindung zu Straße und Eingang. Dieses Gleichgewicht ist nur zu erreichen, wenn der Garten halb vorne, halb hinten ist mit einem Wort, an der Seite, durch eine Mauer gegen direkten Einblick von der Straße geschützt, und doch durch Wege, Tore, Arkaden, Pergolen offen genug, daß man im Garten immer noch die Straße erahnen kann und die Vordertür oder den Zugangsweg sieht.

Das erfordert eine Revolution in der normalen Vorstellung von einer Parzelle. Parzellen sind im allgemeinen schmal entlang der Straße und nach hinten tief. Damit halbversteckte Gärten entstehen können, müssen die Parzellen breit entlang der Straße und schmal sein, sodaß jedes Haus seitlich einen Garten haben kann. Das ergibt den folgenden Archetyp für Haus und halbversteckten Garten.

 Eine Muster Sprache 110 HAUPTEINGANG 1

Dieser Gedanke kann auf vielerlei Art entwickelt werden. Eine interessante Version lernten wir in einem Haus kennen, wo wir früher unser Büro hatten.

Der Garten, den wir benützten, war hinten, aber hinter dem Nebenhaus. Er funktionierte perfekt als halbersteckter Garten für unser Haus. Wir konnten dort privat sitzen und essen an warmen Tagen auch arbeiten und doch mit dem Eingang in Kontakt bleiben und sogar etwas von der Straße sehen. Aber unser eigener Hintergarten war völlig versteckt — und wir benutzten ihn nie.

 Eine Muster Sprache 110 HAUPTEINGANG 2

 

Daraus folgt:

Leg den Garten nicht ganz vor das Haus und nicht ganz dahinter. Leg ihn vielmehr in eine Art Zwischenlage, Seite an Seite mit dem Haus, halb versteckt und halb offen zur Straße.

 Eine Muster Sprache 110 HAUPTEINGANG 3

 

***

 

Richte womöglich die Form von Hausparzellen nach diesem Muster und leg sie nahezu als Doppel-Quadrate entlang der Straße an; bau um den Garten teilweise eine Mauer und leg den Hauseingang zwischen das Haus und den Garten, sodaß man privat im Garten sitzen kann und doch die Straße und jemand, der zum Haus kommt, wahrnimmt — HAUPTEINGANG (110), GARTENMAUER (173); laß den Garten wild wachsen — WILDWACHSENDER GARTEN (172) —, und mach den Weg durch den Garten oder entlang seines Randes zur Übergangszone zwischen Straße und Haus — ZONE VOR DEM EINGANG (112). Halbversteckte Gärten können BELEBTE INNENHÖFE (115), DACHGÄRTEN (118) oder eine PRIVATTERRASSE AN DER STRASSE (140) sein ...

 

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110.0

... es gibt jetzt einen groben Standort des Gebäudes auf dem Grundstück - VERBESSERUNG DES BAUPLATZES (104), AUSSENRAUM NACH SÜDEN (105), GEBÄUDEFLÜGEL MIT TAGESLICHT (107). Es gibt auch eine Vorstellung der Erschließung im Innern und der Zugangswege von außen - ORIENTIERUNG DURCH BEREICHE (98), FAMILIE VON EINGÄNGEN (102). Jetzt kann man den Ein-gang des Gebäudes festlegen.

 

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Die  Situierung des Haupteingangs (oder der Haupteingänge) ist vielleicht der wichtigste Einzelschritt, den man während der Entwicklung eines Gebäudegrundtrisses macht.

 

Die Lage der Haupteingänge betrifft die ganze Gliederung des Gebäudes. Sie betrifft die Wege zum und vom Gebäude, und aus dieser Entscheidung fließen alle anderen Entscheidungen über die Aufteilung. Wenn die Eingänge richtig liegen, entfaltet sich die Einteilung des Gebäudes natürlich und ein-fach; wenn die Eingänge schlecht liegen, kommt das ganze Gebäude nie in Ordnung. Deswegen ist es wichtig, daß die Lage des Haupteingangs (oder der Haupteingänge) frühzeitig richtig entschieden wird.

Das funktionelle Problem bei der Platzierung von Haupteingängen ist einfach. Der Eingang muß so liegen, daß man ihn - oder irgendeinen Hinweis darauf, wo er sich befindet - zugleich mit dem Gebäude selbst sieht. Dann kann man seinen Weg bereits auf den Eingang richten, wenn man auf das Gebäude zugeht, und muß nicht die Richtung ändern oder einen anderen Zugangsweg suchen.

Das funktionelle Problem ist ziemlich einleuchtend, aber die Rolle, die es in einem guten Gebäude spielt, ist kaum zu überschätzen. Wir haben immer wieder die Erfahrung gemacht, daß sich ein Projekt, solange diese Frage nicht gelöst und eine geeignete Position gefunden ist, in einer Pattsituation befindet. Und umgekehrt: wenn die Haupteingänge ihren Ort haben und man das Gefühl hat, daß sie richtig liegen, dann kommen andere Entscheidungen plötzlich wie von selbst. Das gilt für Einzelhäuser, Hausgruppen, kleine öffentliche Gebäude und für große öffentliche Gebäudekomplexe. Das Muster ist offen sichtlich grundlegend, unabhängig vom Maßstab des Gebäudes.

Betrachten wir die funktionelle Frage ausführlicher. Nienland irrt gern um ein Gebäude oder einen Gebäudekomplex herum, um den richtigen Eingang zu finden. Wenn man weiß, wo der Eingang ist, muß man gar nicht daran denken. Es geht automatisch — man geht hinein, denkt an irgend etwas anderes, schaut hin, wo man will — man muß nicht auf die Umgebung achten, nur um den Weg nicht zu verfehlen. Dennoch sind die Eingänge vieler Gebäude schwer zu finden; sie funktionieren nicht „automatisch" in diesem Sinn.

Das Problem ist in zwei Stufen zu lösen. Erstens müssen die Haupteingänge richtig liegen, zweitens müssen sie so gestaltet sein, daß man sie deutlich sieht.

 

1. Lage

Bewußt oder unbewußt plant eine Person beim Gehen ihren Weg schon auf einige Entfernung, um den kürzesten Weg nehmen zu können. (Siehe Tyrus Porter, A Study of Path-Choosing Behavior, thesis, University of California, Berkeley, 1964.) Wenn der Eingang nicht zugleich mit dem Gebäude selbst sichtbar wird, kann sie ihren Weg nicht vorausplanen. Um den Weg planen zu können, muß sie den Eingang früh sehen können, zugleich mit dem Gebäude.

Noch aus anderen Gründen muß der Eingang das Erste sein, was man erreicht. Wenn man erst sehr lange am Gebäude entlanggehen muß, bevor man hinein kann, ist es sehr wahrscheinlich, daß man im Innern die Richtung wechseln und denselben Weg zurückgehen muß. Das ist nicht nur lästig,-man beginnt sich auch zu fragen, ob man am richtigen Weg ist und nicht vielleicht den eigentlichen Eingang verfehlt hat. Es ist schwer, das in Ziffern festzulegen; wir schlagen einen Grenzwert von etwa 15 m vor. Ein Umweg von 15 m fällt nicht,auf; wenn er viel länger wird, wird es lästig.

Deshalb ist der erste Schritt beim Anlegen der Eingänge, die Hauptzugangswege zum Grundstück zu erfassen. Leg die Eingänge so, daß, sobald das Gebäude oder die Gebäudegruppe sichtbar wird, auch der Eingang sichtbar wird; und daß der Weg zum Eingang nicht mehr als 15 m entlang des Gebäudes führt.

 110.1

Lage des Eingangs.

 

2. Form

Eine Person, die sich einem Gebäude nähert, muß den Eingang deutlich sehen. Aber ein großer Teil der Leute geht dabei entlang der Front, parallel zum Gebäude. Sie nähern sich in spitzem Winkel. Von diesem Winkel aus sind viele Eingänge kaum zu sehen. Ein Eingang ist aus einem spitzen Winkel unter folgenden Bedingungen sichtbar:

  1. Der Eingang ragt über die Baulinie vor.110.2Form des Eingangs.
  2. Das Gebäude ist beim Eingang höher, und diese Höhe ist beim Näherkommen sichtbar.

Natürlich können auch Farbunterschiede, Licht und Schatte, Gesimse und Ornamente eine Rolle spielen. Das Wichtigste ist, daß sich der Eingang von seiner unmittelbaren Umgebung stark unterscheidet.

 

Daraus folgt:

Leg den Haupteingang des Gebäudes an eine Stelle,Leg den Haupteingang des Gebäudes an eine Stelle,wo er unmittelbar von den Hauptzugangswegen zusehen ist, und gib ihm eine ins Auge fallende Form, die vor das Gebäude herausragt.

 Eine Muster Sprache 110 HAUPTEINGANG

 

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Mach womöglich den Eingang zum Teil einer Gruppe von ähnlichen Eingängen, die alle so sichtbar wie möglich in der Straße oder dem Gebäudekomplex hervorstechen — FAMILIE VON EINGÄNGEN (102) —, bau den herausragenden Teil des Eingangs als eigenen Raum, groß genug, daß ein angenehmer, heller und schöner Ort entstehen kann — EINGANGSRAUM (130) —, und führ den Weg zwischen der Straße und diesem Eingangsraum durch eine Reihe von Übergängen, in denen Licht, Höhenlage und Aus sicht wechseln — ZONE VOR DEM EINGANG (112). Vergewissere dich, daß der Eingang die richtige Relation zu Parkplätzen hat — ABGESCHIRMTES PARKEN (97), VERBINDUNG ZUM AUTO (113) ...

 

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...für ein sehr kleines Haus oder Büro löst sich das Muster GEBÄUDEFLÜGEL MIT TAGESLICHT (107) fast von selbst — niemand würde sich das Haus breiter als 8 m vorstellen. Aber in solchen Fällen gibt es gewichtige Gründe, das Gebäude sogar noch länger und schmäler zu machen. Ursprünglich hat dieses Muster Christie Coffin ausgearbeitet. 

 

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Die Form eines Gebäudes hat große Auswirkungen auf das relative Erlebnis von Privatheit oder Überfüllung, und das wieder hat entscheidende Auswirkungen auf die Behaglichkeit und das Wohlbefinden der Menschen.

 

Es gibt weit verbreitete Belege dafür, daß Überfüllung in kleinen Wohnungen psychologischen und sozialen Schaden anrichtet. (Zum Beispiel Wiliam C. Loring, „Housing Charac-teristics and Social Disorganization," Social Problems, Januar 1956; Chombart de Lauwe, Familie et Habitation, Editions du Centre National de la Recherche Scientifique, Paris, 1959; Bernard Lander, Towards an Understanding of Juvenile Delinquency, New York: Columbia University Press, 1954.) Jeder klebt am anderen; alles ist zu nahe beisammen. Zurückgezogenheit für den Einzelnen oder für ein Paar ist fast ausgeschlossen.

Mit mehr Raum könnte man diese Probleme leicht lösen — aber Raum ist teuer, und es ist gewöhnlich unmöglich, mehr als eine bestimmte, sehr begrenzte Menge davon zu kaufen. So stellt sich folgende Frage: Mit welcher Gebäudeform ist für ein gegebenes Flächenausmaß der Eindruck der größten Geräumigkeit zu erreichen?

Auf diese Frage gibt es eine mathematische Antwort.Auf diese Frage gibt es eine mathematische Antwort.Der Eindruck der Überfüllung entsteht zum Großteil durch die mittleren Punkt-zu-Punkt-Entfernungen im Inneren eines Gebäudes. In einem kleinen Haus sind diese Entfernungen klein, deshalb kann man im Innern nicht weit gehen oder sich von ärgerlichen Belästigungen losmachen; und es ist schwer, Geräuschquellen zu entkommen, selbst wenn sie in anderen Räumen sind.

Diese Wirkung wird durch eine Gebäudeform abgeschwächt, in der die mittlere Punkts zu Punkt-Entfernung hoch ist. (Für jede gegebene Form kann man die mittlere oder durchschnittliche Entfernung zwischen zwei beliebigen Punkten innerhalb der Form berechnen.) In kompakten Formen wie Kreisen und Quadraten ist die mittlere Punkt-zu-Punkt-Entfernung niedrig in ausgedehnten Formen wie langen schmalen Rechtecken, verzweigten Formen und in hohen schmalen Türmen ist sie hoch. Diese Formen verstärken die Trennung zwischen einzelnen Stellen im Gebäude und steigern daher die relative Privatheit, die Personen innerhalb eines gegebenen Flächenausmaßes finden können.

Eine Muster Sprache 109 LANGES SCHMALES HAUS

Natürlich gibt es für die Länge und Schmalheit eines Gebäu des praktische Grenzen. Wenn es zu lang und zu schmal ist werden Außenwandkosten und Heizkosten zu hoch und der Grundriß ist unbrauchbar. Aber das ist kein Grund, sich mit kistenförmigen Gebäuden abzufinden.

Tatsächlich kann ein kleines Gebäude viel schmäler sein, als man glaubt. Jedenfalls viel schmäler als die 8 m, die in GEBÄUDEFLÜGEL MIT TAGESLICHT (107) vorgeschlagen werden. Es gibt ausgezeichnete Gebäude, die keine 4 m breit sind - Richard Neutras eigenes Haus in Los Angeles ist sogar beträchtlich schmäler.

 

109.1 2

Lange schmale Häuser.

 

Ein langes schmales Haus kann auch ein Turm sein, oder zwei Türme, die am Boden verbunden sind. Wie Stockwerke können auch Türme viel schmäler sein als man glaubt. Ein Gebäude mit 3,5 m im Quadrat, dreigeschossig, mit einer außenliegenden Stiege, ergibt ein wunderbares Haus. Die Räume sind psychologisch so weit voneinander entfernt, daß man glaubt, in einem Herrschaftshaus zu sein.

 109.3

Ein russischer Turm.

 

Daraus folgt:

Dräng in kleinen Gebäuden nicht alle Räume im Kreis zusammen; reihe sie vielmehr nacheinander auf, so daß die Entfernung zwischen den Räumen so groß wie möglich wird. Das geht horizontal — dann wird der Grundriß ein schmales langes Rechteck; oder es geht vertikal - dann wird das Gebäude ein hoher schmaler Turm. In beiden Fällen kann das Gebäude erstaunlich schmal sein und doch funktionieren - 2,5 m, 3m oder 3,5 m sind durchaus möglich.

 Eine Muster Sprache 109 LANGES SCHMALES HAUS 3

 

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Verwende den langen schmalen Grundriß, um den Außen- raum auf dem Grundstück zu formen — POSITIVER AUSSENRAUM (106); der lange Außenumfang des Gebäudes schafft die Bedingungen für STUFEN DER INTIMITÄT (127) und DACHKASKADE (116). Sorge für die Ausgewogenheit zwischen der Privatheit die das schmale Gebäude bietet, und der Gemeinschaftlichkeit an den Kernpunkten des Hauses GEMEINSCHAFTSBEREICHEN DER MITTE (129) ...

 

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