65 GEBÄRHÄUSER

 

... sowohl die Geburt als auch der Tod müssen überall in der Gesellschaft, wo überhaupt Menschen sind, als wesentliche Elemente des Gemeinder und Nachbarschaftslebens ausreichende Würdigung erfahren — GEMEINDE VON 7000 (12), IDENTIFIZIERBARE NACHBARSCHAFT (14), LEBENSZYKLUS (26). Was die Geburt betrifft, muß es in jeder Gruppe von Nachbarschaften möglich sein, die Verantwortung für den Gebärvorgang auf örtlicher, menschlicher Basis zu tragen. (Anmerkung: Die Entwicklung dieses Musters ist zum Großteil der Arbeit von Judith Shaw zu verdanken, die zum Zeitpunkt dieser Niederschrift Architekturstudentin an der University of California, Berkeley, und Mutter dreier Kinder war.) 

 

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Eine Vorgangsweise, die die Niederkunft als Krankheit behandelt, kann wohl kaum ein gesunder Bestandteil einer gesunden Gesellschaft sein.

 

„Die Schwangerschaft ist kein Notfall, aus dem die Mutter nach der Geburt hoffentlich wieder zur ,Normalität` zurückge-bracht werden kann . . Sie ist ein höchst aktiver, kraftvoller `Entwicklungsprozeß der Familie, die mit der Entbindung einen natürlichen Höhepunkt erreicht." (I. H. Pearse und L. H. Crokker, The Peckham Experiment, New Haven: Yale University Press, 1946, S. 153.)

Gegenwärtig folgt die Geburtshilfe in den meisten Krankenhäusern einem genau umrissenen Verfahren. Ein Kind zu haben wird als Krankheit betrachtet und der Spitalsaufenthalt als Genesung. Frauen vor der Entbindung werden als „Patienten" behandelt, die eine Operation vor sich haben. Sie werden keimfrei gemacht. Ihre Geschlechtsteile werden geschrubbt und rasiert. Sie werden in weiße Spitalskleidung gesteckt und auf Tischen zwischen den verschiedenen Teilen des Krankenhauses hin und hergefahren. Während der Wehen kommen sie in kleine Kojen und verbringen die Zeit praktisch ohne sozialen Kontakt. Dies kann viele Stunden dauern. Gerade in der Zeit könnten der Vater und die Kinder zur Ermutigung anwesend sein. Das wird aber nicht erlaubt. Die Entbindung findet gewöhnlich in einem Kreißsaal statt, in dem sich ein richtiger „Entbindungstisch" befindet. Abgesehen von den besonderen Funktionen des Entbindungstisches hat der Raum dieselben Eigenschaften wie ein Operationssaal. Die Geburt wird zu einem Ereignis der Trennung, statt zu einem des Zusammenseins. Es kann 12 Stunden dauern, bis die Mutter das Kind berühren darf, und wenn sie unter Medikamenteneinwirkung steht, sogar länger, bis sie ihren Mann sieht.

Seit etwa 15 Jahren gibt es eine gewisse Bewegung, die versucht, das Wesen der Geburt als natürliches Phänomen wiederzugewinnen. Es gab keinen lauten Protest gegen die Regulative der Geburtshilfe in Krankenhäusern, wohl aber einen leisen: einige gute Bücher, Mundpropaganda, interessierte Fachleute und Laien, die La Leche Liga, einige Gruppen im Land, die sich mit der Geburt, dem Stillen und der Wiedereinführung von Hebammen beschäftigten. Die ursprüngliche Stoßrichtung dieser Leute zielte auf eine „natürliche" Geburt, wobei das Wort im Hinblick auf ein Konzept verwendet wurde, die Niederkunft wieder zu einem normalen physiologischen Vorgang zu machen. In letzter Zeit hat sich der Schwerpunkt der Bestrebungen erweitert und schließt eine Änderung der Umwelt und eine positive Einbeziehung der Familie bei der Niederkunft ein. (Der architektonische Gesichtspunkt ist behandelt in Lewis Mumford, The Urban Prospect, New York: Harcourt, Brace and World, 1968, S. 25).

Wir zitieren nun aus Judith Shaws Beschreibung einer guten Geburtsstätte. Sie beschreibt einen Ort, der mit einem kleinen Pflegeheim vergleichbar ist, vielleicht in Zusammenhang mit einem örtlichen Gesundheitszentrum und mit Notfalls-Verbindungen zum örtlichen Krankenhaus:

Für das Kind wäre ein kleiner Korb vorhanden . . . Die Hebamme wäre für die Wochenbettbetreuung ständig zugegen . . . Die Hebamme wohnte dort in einem kleinen Appartement mit Schlafzimmer, Wohnküche und Bad .. .

Es gäbe einen gemeinsamen Speiseraum. Auch jedes Kind hätte einen Platz (nämlich seinen tragbaren Korb), sodaß die Mutter es mitbringen, füttern und beobachten kann . . . Das Muster WOHNKÜCHE (139) müßte eine wichtige Rolle in diesem Gebäude spielen . . . Familien könnten nicht nur zur Geburt, sondern auch zur Schwangerenvorsorge hierher kommen, Methoden der natürlichen Geburt kennenzulernen, über Kinderpflege oder überhaupt mit anderen zu sprechen und sich mit dem Ort der Niederkunft vertraut zu machen.

Das Gebärhaus sollte Platz für die ganze Familie haben. Man könnte in einem Appartement wohnen und die Mutter könnte darin das Kind zur Welt bringen . . Da die Entbindung im Familienappartement stattfindet, wären das Kind, die Mutter und die Familie unmittelbar zusammen. Jedes Appartement hätte Fließwasser und einen einfachen Tisch, auf dem das Kind liegen, gewaschen und untersucht werden kann.

 

Daraus folgt:

Bau örtliche Gebärhäuser, in denen Frauen ihre Kinder bekommen: speziell für die Geburt als ein natürliches, bedeutendes Ereignis eingerichtete Orte - die für die ganze Familie für vorgeburtliche Pflege und Unterweisung zugänglich sind; wo Väter und Hebammen während der Wehen und bei der Niederkunft helfen.

 Eine Muster Sprache 65 GEBÄRHÄUSER

 

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Nach der Geburt sollten Mutter und Kind mit den andern Familienmitgliedern zusammenbleiben können — zusammen schlafen, essen, kochen — GEMEINSCHAFTSBEREICHE IN DER MITTE (129), BEREICH DES PAARS (136), WOHNKÜCHE (139); ein teilweise privater Garten sollte benützbar ein — HALBVERSTECKTER GARTEN (111), GARTENMAUER (173); was die Form des Gebäudes, des Gartens, der Parkplätze und der Umgebung betrifft, fang bei GEBÄUDEKOMPLEX (95) an ...

 

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