39 WOHNHÜGEL

 

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... bei den noch höheren Dichten, die man im inneren Ring der RINGE VERSCHIEDENER DICHTE (29) der Gemeinde braucht, und überhaupt, wo Dichten über 75 Wohnungen/ha steigen oder die Bebauung viergeschossig wird — HÖCHSTENS VIER GESCHOSSE (21) —, werden die Hausgruppen zu Hügeln.

 

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In jeder Stadt gibt es Stellen, die so zentral und attraktiv sind, daß mindestens 75-125 Haushalte/ha dort leben werden. Aber die Geschoßwohnhäuser, die diese Dichte erreichen, sind fast alle unpersönlich.

 

Im Muster DAS EIGENE HEIM (79) behandeln wir die Tatsache, daß jede Familie ihr eigenes Heim braucht, mit Baugrund, mit Boden, um etwas anzupflanzen, und einem Haus, das unverwechselbar und als ihr eigenes deutlich erkennbar ist. Ein typisches Geschoßwohnhaus mit glatten Fronten und identischen Fenstern kann diese Merkmale nicht bieten.

Die Form des Wohnhügels entsteht im wesentlichen aus drei Anforderungen. Erstens brauchen Menschen den Kontakt zum Boden und zu ihren Nachbarn, weit mehr als das Leben im Wohnhochhaus zuläßt. Zweitens wollen die Leute einen Garten oder Hof im Freien. Das ist einer der häufigsten Gründe für die Ablehnung von Geschoßwohnungen. Und drittens sehnen sich die Leute nach Unterschiedlichkeit und Unverwechselbarkeit in ihren Wohnungen. Dieser Wunsch wird in Wohnhochhäusern mit ihren regelhaften Fassaden und identischen Einheiten fast immer unterdrückt.

  

1. Verbindung zum Boden und zum Nachbarn. Eindrückliches Beweismaterial liefert D. M. Fanning („Families in Flats", British Medical Journal, November 1967, S. 382-386). Fanning zeigt eine direkte Korrelation zwischen dem Auftreten psychischer Störungen und dem Leben in Wohnhochhäusern. Diese Ergebnisse werden in HÖCHSTENS VIER GESCHOSSE (21) ausführlich dargestellt. Das Leben in Wohnhochhäusern hat anscheinend eine furchtbare Tendenz, die Leute in ihren Apartments einsam und ausweglos zu lassen. Das Leben daheim wird vom zwanglosen Straßenleben durch Aufzüge, Gänge und Stiegen abgeschnitten. Die Entscheidung, in die Öffentlichkeit hinauszugehen, wird formell und lästig, und wenn es nicht eine bestimmte Notwendigkeit gibt, die die Leute hinaus in die Welt bringt, bleibt man eher zu Hause, allein.

Fanning stellte auch einen auffallenden Mangel an Kommunikation zwischen den untersuchten Familien in Hochhauswohnungen fest. Frauen und Kinder waren besonders isoliert. Die Frauen fanden wenig Grund, die Fahrt von ihrer Wohnung hinunter zu unternehmen, außer um einzukaufen. Sie und ihre Kinder waren tatsächlich Gefangene in ihren Apartments, vom Erdboden und von ihren Nachbarn abgeschnitten.

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Kontakt ist unmöglich.

 

Es scheint, daß der Boden, der Gemeinschaftsgrund zwischen den Häusern, das Medium ist, durch das Menschen Kontakt miteinander und mit sich selbst herstellen können. Wenn man auf ebener Erde lebt, stoßen die Höfe rund um die Häuser an die der Nachbarn und in den besten Lösungen auch an die Nebenwege der Nachbarschaft. Unter solchen Bedingungen ist es leicht und selbstverständlich, Leute zu treffen. Die spielenden Kinder im Hof, die Blumen im Garten oder auch nur das Wetter liefern endlose Gesprächsthemen. Diese Art Kontakt ist in der Hochhauswohnung unmöglich aufrechtzuerhalten.

 

2. Privatgärten. In der Park Hill-Untersuchung (J. F. Demors, „Park Hill Survey", O.A.P., Februar 1966, S. 235) sagte etwa ein Drittel der befragten Hochhausbewohner, ihnen gehe die Möglichkeit ab, im Garten herumzugraben.

Das Bedürfnis nach einem kleinen Garten oder irgendeiner Art von privatem Außenraum ist etwas Elementares. Im Maßstab der Familie entspricht es dem biologischen Bedürfnis einer Gesellschaft, mit dem Landleben integriert zu sein - STADTLAND-FINGER (3). In allen traditionellen Architekturen, überall, wo das Bauen im wesentlichen in der Hand des Volkes ist, drückt sich dieses Bedürfnis aus. Die japanischen Miniaturgärten, Werkstätten im Freien, Dachgärten, Höfe, Rosengärten, Kräutergärten - es gibt tausende von Beispielen. Aber in modernen Geschoßwohnbebauungen gibt es diese Art von Raum einfach nicht.

 

3. Identität jeder Einheit. Während eines Seminars am Center for Environmental Structure machte Kenneth Radding das folgende Experiment: Er bat Leute, ihre Traumwohnung zu zeichnen und zwar in der Außenansicht, und klebte die Zeichnung auf ein kleines Stück Karton. Dann bat er sie, das Kartonstück auf einen Raster zu legen, der die Fassade eines riesigen Wohnbaus darstellte, und ihre Wohnung auf dem Raster zu verschieben, bis ihnen die Position gefiel. Ohne Ausnahme wollten die Leute, daß ihre Wohnungen am Rand des Gebäudes oder von anderen Einheiten durch fensterlose Wände abgesetzt waren. Keiner wollte, daß seine eigene Wohnung in einem Raster von Wohnungen verschwand.

In einer anderen Umfrage besuchten wir ein neunzehngeschossiges Wohngebäude in San Francisco. Das Gebäude enthielt 190 Wohnungen, jede mit einem Balkon. Die Verwaltung hatte sehr strenge Beschränkungen festgesetzt, was die Benutzung der Balkone betraf - keine politischen Plakate, kein Anstrich, kein Wäschetrockner, keine Mobiles, keine Grillroste, keine Wandbehänge. Aber selbst unter solchen Einschränkungen waren über die Hälfte der Bewohner noch imstande, ihre Balkone in irgendeiner Weise zu individualisieren: mit Topfpflanzen, Teppichen und Möbeln. Kurz, auch angesichts der extremsten Reglementierung versuchen die Leute, ihrer Wohnung ein unverwechselbares Gesicht zu geben.

Welche Bauform ist mit diesen drei grundlegenden Anforderungen vereinbar? Erstens darf das Gebäude, um einen starken und direkten Kontakt zum Boden aufrechtzuerhalten, nicht höher als vier Geschosse sein - HÖCHSTENS VIER GESCHOSSE (21). Wir glauben auch, und das ist vielleicht wichtiger, daß jede Wohnung an einer eher breiten und sanft ansteigenden Treppe liegen muß, die direkt aufs Gelände führt. Wenn diese Treppe offen, zwanglos geführt und sehr bequem ist, wird sie mit der Straße und dem Straßenleben zusammenhängen. Außerdem muß die Treppe, wenn wir dieses Bedürfnis ernst nehmen wollen, am Boden mit einem Grundstück verbunden sein, das die Bewohner gemeinschaftlich besitzen und das als halbprivate Grünfläche ausgebildet ist.

Nun zu den Privatgärten. Sie brauchen Sonnenlicht und Privatheit — zwei Anforderungen, die mit normalen Balkonen schwer zu erfüllen sind. Die Terrassen müssen nach Süden gerichtet, groß, und eng mit den Wohnungen verbunden sein, fest genug für Erde, Büsche und kleine Bäume. Wir kommen so zu einer Art Wohnhügel, mit Abstufungen nach Süden und einer Parkgarage unter dem „Hügel".

Was die Identität betrifft — die einzige echte Lösung des Identitätsproblems ist, jede Familie schrittweise ihr eigenes Heim auf einer terrassierten Primärkonstruktion bauen und umbauen zu lassen. Wenn die Decken dieser Konstruktion ein Haus und etwas Erde tragen können, ist jede Einheit frei, einen eigenen Charakter anzunehmen und ihren eigenen kleinen Garten auszubilden.

Wenn diese Anforderungen an so etwas wie Safdie's Habitat in Montreal denken lassen, muß man sich jedoch vor Augen halten, daß das Habitat zwei der drei hier diskutierten Probleme nicht löst. Es hat Privatgärten; es löst aber nicht das Problem der Verbindung zum Boden — die Einheiten sind völlig abgeschieden vom zufälligen Straßenleben; und die serienproduzierten Wohnungen sind anonym, weit entfernt von Unverwechselbarkeit.

Die folgende Skizze für einen Wohnbau — ursprünglich für die schwedische Gemeinde Märsta nördlich von Stockholm gedacht — beinhaltet alle wesentlichen Eigenschaften eines Wohnhügels.

Eine Muster Sprache 39 WOHNHÜGEL

Daraus folgt:

Wenn mehr als 75 Wohnungen pro Hektar oder drei- bzw. viergeschossige Wohnbebauungen erforderlich sind, bau einen Hügel aus Häusern. Bau sie so, daß sie abgestufte, nach Süden gerichtete Terrassen bilden,erschlossen von einer großen Freitreppe in der Mitte,die ebenso nach Süden gerichtet ist und zu einem Gemeinschaftsgarten führt ...

Eine Muster Sprache 39 WOHNHÜGEL 1

 

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Laß die Leute auf den Terrassen ihre eigenen Häuser individuell entwerfen, als ob es Grundstücke wären - DAS EIGENE HEIM (79). Da die abgestuften Terrassen einander überlappen, hat jedes Haus seinen Garten auf dem Haus darunter - DACHGARTEN (118). Laß die zentrale Treppe offen im Freien, aber in einem Klima mit Regen oder Schnee gib ihr ein Dach, vielleicht ein Glasdach - OFFENE TREPPEN (158); und leg die Gemeinschaftsfläche direkt ans untere Ende der Stiege, mit Spielplätzen, Blumen und Früchten für jedermann - GEMEINSCHAFTSFLÄCHEN (67), SPIELEN MIT ANDEREN KINDERN (68), GEMÜSEGARTEN (177) ...

 

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