EINE STADT IST KEIN BAUM

 

Autor: Christopher Alexander
Objekttyp: Article

Persistenter Link: http://doi.org/10.5169/seals-332904

 

Der Baum meiner Überschrift ist kein grüner Baum mit Blättern. Es ist der Name einer abstrakten Struktur. Ich werde ihn einer anderen, komplexeren abstrakten Struktur gegenüberstellen, dem Halbverband. Die Stadt ist ein Halbverband, aber kein Baum. Um diese abstrakten Strukturen in Beziehung zur Beschaffenheit der Stadt zu setzen, muß ich zunächst eine einfache Unterscheidung treffen.

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Natürliche und künstliche Städte

 

Ich möchte solche Städte, die mehr oder weniger spontan im Laufe einer langen Zeit entstanden sind, »natürliche Städte« nennen. Und ich werde diejenigen Städte und Stadtteile, die von Planern und Stadtplanern bewußt angelegt worden sind, »künstliche Städte« nennen. Siena, Liverpool, Kyoto, Manhattan sind Beispiele natürlicher Städte. Levittown, Chandigarh und die britischen New Towns sind Beispiele künstlicher Städte.

Es wird heute weitgehend anerkannt, daß den künstlichen Städten irgendein wesentlicher Bestandteil fehlt. Wenn man sie mit alten Städten vergleicht, die die Patina des Lebens angesetzt haben, so sind unsere modernen Versuche, künstlich Städte zu schaffen, vom menschlichen Standpunkt aus völlig erfolglos geblieben.

Immer offener geben selbst Architekten zu, daß sie eigentlich lieber in alten als in neuen Gebäuden wohnen. Anstatt den Architekten für ihre Arbeit zu danken, betrachtet das große nicht kunstverständige Publikum den Angriff moderner Gebäude und Städte überall als einen unvermeidlichen und ziemlich traurigen Bestandteil der weit wichtigeren Tatsache, daß die Welt vor die Hunde geht.

Es ist einfach zu bequem, zu sagen, diese Meinungen repräsentierten nur den mangelnden Willen der Menschen, die Vergangenheit und ihre eigene Traditionsgebundenheit zu vergessen. Ich selbst vertraue auf diesen Konservativismus. Gewöhnlich sind die Menschen willens mit der Zeit zu gehen. Ihr wachsender Widerstand, die moderne Stadt zu akzeptieren, drückt augenscheinlich die Sehnsucht nach etwas Bestimmten aus, etwas, das sich augenblicklich unserem Zugriff entzieht.

Die Aussicht, daß wir die Welt in einen Ort verwandeln könnten, der nur mit kleinen Glas- und Betonkisten übersät ist, hat auch viele Architekten alarmiert. Um die Glaskistenzukunft zu bekämpfen, wurden viele mutige Proteste und Entwürfe verfaßt, alle in der Hoffnung, die verschiedenen Charakteristika, die der natürlichen Stadt Leben zu geben scheinen, in moderner Form wiederherzustellen. Aber bisher haben diese Entwürfe nur das Alte wiederholt. Sie waren nicht fähig, Neues zu schaffen.

»Outrage«, die Kampagne von »Architecture Review« gegen die Art und Weise, in der neue Gebäude und Telegraphenmasten die englische Stadt zerstören, gründete die Sanierungsvorschläge im wesentlichen auf die Vorstellung, daß die räumliche Folge von Gebäuden und Freiräumen kontrolliert werden muß, wenn der Maßstab erhalten bleiben soll - eine Idee, die in Wirklichkeit aus Camillo Sittes Buch über alte Plätze und Piazzas stammt.

Ein anderer Sanierungsvorschlag, aus Protest gegen die Monotonie von Levittown, versucht, den Formenreichtum der Häuser einer alten, natürlichen Stadt wieder einzufangen. Llewelyn Davies´ Dorf bei Rushbroke, England, ist ein Beispiel dafür - jedes Häuschen unterscheidet sich leicht vom benachbarten, die Dächer springen in malerischen Winkeln vor und zurück, die Formen sind «interessant« und hübsch.

Der dritte Vorschlag ist, hohe Dichte in die Stadt zurückzubringen. Die Vorstellung scheint die zu sein, daß die Metropole, wäre sie nur insgesamt Grand Central Station, mit einem über die ganze Stadt verteilten Netz von Ebenen und Tunnels und genügend darin herumquirlenden Menschen, vielleicht wieder menschlich würde. Die künstliche Urbanität von Victor Gruens Entwürfen und dem des LCC für Hock verrät in beiden Fällen, daß dieser Gedanke der Arbeit zugrunde lag.

Eine andere brillante Kritik der überall anzutreffenden Leblosigkeit stammt von Jane Jacobs.

Ihre Kritik ist exzellent. Aber wenn man ihre konkreten Vorschläge im Hinblick darauf liest, was man statt dessen tun sollte, hat man den Eindruck, daß sie sich die moderne Großstadt als eine Mischung aus Greenwich Village und irgendeiner italienischen Bergstadt, mit einer Anhäufung kleiner Häuserblocks und in den Straßen sitzenden Menschen, wünscht.

Es ist ein reales Problem, das diese Planer versucht haben anzugehen. Es ist lebenswichtig, daß wir die Eigenschaft alter Städte, die ihnen Leben gab, entdecken und sie auf unsere eigenen künstlichen Städte übertragen. Aber wir erreichen das nicht durch bloßes Nachahmen englischer Dörfer, italienischer Piazzas und Grand Central Stations. Heute scheinen sich zu viele Planer für die physischen und plastischen Charakteristika der Vergangenheit zu interessieren, statt nach dem abstrakten Ordnungsprinzip zu suchen, das die Städte der Vergangenheit zufällig hatten und das unsere modernen Konzeptionen der Stadt noch nicht wiedergefunden haben. Diesen Planern mißlingt es, neues Leben in die Stadt zu bringen, weil sie lediglich die Erscheinung der alten, ihre konkrete Substanz, imitieren: sie können ihre innere Beschaffenheit nicht bloßlegen. Welches ist die innere Beschaffenheit, das ordnende Prinzip, das die künstliche Stadt von der natürlichen Stadt unterscheidet? Man wird nach dem ersten Abschnitt vermuten, was ich für das Prinzip halte. Ich glaube, daß die natürliche Stadt die Organisation eines Halbverbandes hat. Wenn wir jedoch eine Stadt künstlich organisieren, organisieren wir sie als Baum.

 


Bäume und Halbverbände

 

Sowohl der Baum als auch der Halbverband stellen Denkweisen dar, wie eine große Ansammlung vieler kleiner Systeme zu einem großen und komplexen System wird. Allgemeiner sind beides Namen für Strukturen von Mengen.

Um solche Strukturen zu definieren, möchte ich zunächst den Begriff einer Menge definieren. Eine Menge ist eine Ansammlung von Elementen, die wir aus gewissen Gründen als zusammengehörig betrachten. Da wir als Planer mit der physisch lebendigen Stadt und ihrem physischen Skelett befaßt sind, beschränken wir uns natürlich darauf, Mengen zu betrachten, die Ansammlungen von materiellen Elementen sind wie Menschen, Grashalme, Autos, Ziegelsteine, Moleküle, Häuser, Gärten, Wasserleitungen, die Wassermoleküle, die sich darin bewegen, usw.

Wenn die Elemente einer Menge zusammengehören, weil sie kooperieren oder irgendwie zusammenwirken, nennen wir die Menge der Elemente ein System.

Dazu ein Beispiel. In Berkeley, an der Ecke Hearst- und Euclid (street), liegt ein drugstore, davor befindet sich eine Verkehrsampel. Im Eingang zum drug store steht ein Zeitungsständer, an dem Tageszeitungen ausgehängt sind. Wenn die Ampel Rot zeigt, stehen die Leute, die darauf warten, die Straße zu überqueren, untätig neben der Ampel; und weil sie nichts zu tun haben, schauen sie die auf dem Ständer ausgehängten Zeitungen an, die sie von ihrem Standort aus sehen können. Einige von ihnen lesen nur die Schlagzeilen, andere kaufen während der Wartezeit eine Zeitung.

Dieser Effekt bringt den Zeitungsständer und die Ampel in gegenseitige Abhängigkeit. Der Zeitungsständer, die Zeitungen daran, das Geld, das von den Taschen der Leute in den Münzschlitz wandert, die Leute, die an der Ampel stehenbleiben und die Zeitungen lesen, die Verkehrsampel, die elektrischen Impulse, die die Ampel schalten, und der Gehweg, auf dem die Leute stehen, bilden ein System - sie wirken alle zusammen.

Vom Standpunkt des Planers aus ist der physisch unveränderliche Teil dieses Systemsvon besonderem Interesse. Der Zeitungsständer, die Verkehrsampel und der zwischen ihnen liegende Gehweg bilden mit ihren Beziehungen den fixierten Teil des Systems. Er ist der unveränderliche Behälter, in dem die veränderlichen Teile des Systems - Menschen, Zeitungen, Geld und die elektrischen Impulse - zusammenwirken können. Ich definiere diesen fixierten Teil als eine Einheit der Stadt. Er leitet seinen Zusammenhang als eine Einheit sowohl von den Kräften her, die seine eigenen Elemente zusammenhalten, als auch vom dynamischen Zusammenhang des größeren lebendigen Systems, das ihn als fixierten, invarianten Teil enthält.

Andere Beispiele von Systemen in der Stadt sind: die Menge der Teilchen, die Gebäude bilden; die Menge der Teilchen, die einen menschlichen Körper bilden; die Autos auf der Straße, plus die Leute in ihnen, plus die Straße, auf der sie fahren; zwei Freunde am Telefon, plus die Telefone, die sie benutzen, plus die Telefonleitung, die sie verbindet; Telegraph Hill mit all seinen Gebäuden, Diensten und Bewohnern; die Warenhauskette von Rexall; die physischen Elemente von San Francisco, die unter die Verwaltungszuständigkeit des Rathauses fallen; alles innerhalb der physischen Grenze von San Francisco, plus alle Menschen, die die Stadt regelmäßig besuchen und zu ihrer Entwicklung beitragen (wie Bob Hope oder der Generaldirektor von »Arthur D. Little«), plus alle Hauptquellen wirtschaftlichen Wohlstands, die die Stadt mit ihrem Reichtum versorgen; der Hund von nebenan, plus mein Mülleimer, plus der Müll aus meinem Mülleimer, den er frißt; die San-Francisco-Körperschaft der John Birch Society.

Jedes von ihnen ist eine Menge von Elementen, die durch gewisse innerlich bindende Kräfte in Zusammenhang oder zur Kooperation gebracht sind. Und jedes von ihnen hat, genauso wie das Verkehrsampel-Zeitungsständersystem, einen physisch fixierten Teil, den wir als eine Einheit der Stadt betrachten:

Von den ungezählten, fixierten konkreten Untermengen der Stadt, die die Behälter für ihre Systeme bilden und daher als bedeutsame physische Einheiten betrachtet werden können, sondern wir in der Regel ein paar für spezielle Überlegungen aus. In der Tat behaupte ich, was immer jemand für ein Bild von der Stadt hat, es ist definiert durch die Untermengen, die er als Einheiten ansieht.

Nun, eine Ansammlung von Untermengen, die zu einem solchen Bild führt, ist nicht bloß eine amorphe Ansammlung. Dadurch, daß Beziehungen zwischen den Untermengen festgelegt sind, wenn die Untermengen einmal festgelegt sind, hat die Ansammlung automatisch eine definierte Struktur.

Um diese Struktur zu verstehen, wollen wir einen Augenblick lang abstrahieren, indem wir Zahlen als Symbole benutzen. Statt über die realen Mengen von Millionen realer Partikel, die in der Stadt vorkommen, zu sprechen, wollen wir eine einfachere Struktur mit nur einem halben Dutzend Elementen betrachten. Wir bezeichnen diese Elemente mit 1, 2, 3, 4, 5, 6 und können aus diesen 6 Elementen 56 verschiedene Untermengen bilden; darin sind nicht enthalten die Menge selbst (1, 2, 3, 4, 5, 6), die leere Menge 0 und die einelementigen Mengen (1), (2), (3), (4), (5), (6).

Angenommen, wir wählen jetzt von diesen 56 Mengen bestimmte aus (genauso, wie wir bestimmte Mengen auswählen und sie Einheiten nennen, wenn wir unser Bild von der Stadt entwerfen). Wir wollen beispielsweise folgende Teilmengen auswählen: (1, 2, 3), (3, 4), (4, 5), (2, 3, 4), (3, 4, 5), (1, 2, 3, 4, 5), (3, 4, 5, 6).

Welche möglichen Beziehungen gibt es zwischen diesen Mengen? Einige sind in größeren Mengen vollständig enthalten, wie (3, 4) in (3, 4, 5). Einige Mengen weisen Überschneidungen auf, wie (1, 2, 3) und (2, 3, 4). Einige Mengen sind nicht verknüpft, das heißt, sie enthalten keine gemeinsamen Elemente, wie (1, 2, 3) und (4, 5).

Wir können diese Beziehungen auf zweierlei Art und Weise dargestellt sehen. Im Diagramm a ist jede Menge, die als Einheit ausgewählt wurde, durch eine Linie abgegrenzt. Im Diagramm b sind die ausgewählten Mengen nach steigender Größe angeordnet, so daß immer, wenn eine Menge eine andere enthält - wie (3, 4, 5) (3, 4) enthält -, eine vertikale Verbindung von der einen zur anderen führt. Um der Klarheit und der visuellen Ökonomie willen ist es üblich, nur solche Mengen durch Linien zu verbinden, zwischen denen keine weiteren Mengen und Linien angeordnet sind. Die Verbindung von (3,4,5) und (3, 4, 5, 6) und die von (3, 4) und (3, 4, 5) erübrigt daher eine Verbindung von (3, 4) und (3, 4, 5, 6).

Wie wir aus diesen beiden Darstellungen ersehen, stattet die Wahl der Teilmengen allein diese als Gesamtheit mit einer übergeordneten Struktur aus. Dies ist die Struktur, mit der wir uns hier beschäftigen. Wenn die Struktur bestimmte Bedingungen erfüllt, wird sie Halbverband genannt, wenn sie andere, weiter einschränkende Bedingungen erfüllt, nennt man sie Baum.

 

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Das Axiom des Halbverbandes lautet:

 

»Eine Ansammlung von Mengen bildet einen Halbverband, wenn und nur wenn zwei sich überschneidende Mengen zur Ansammlung gehören und dann auch die beiden gemeinsame Menge von Elementen zur Ansammlung gehört.«

Die in Diagramm a und b dargestellte Struktur ist ein Halbverband. Das Axiom wird erfüllt, da zum Beispiel (2, 3, 4) und (3, 4, 5) und ebenso die beiden gemeinsame Menge von Elementen (3, 4) zur Ansammlung gehören. (Was die Stadt betrifft, so gibt das Axiom lediglich an, daß immer, wo sich zwei Einheiten überschneiden, der Bereich der Überschneidung selbst ein erkennbares Ganzes und daher auch eine Einheit ist. Im Falle der drugstore-Beispiels besteht eine Einheit aus Zeitungsständer, Gehweg und Ampel. Eine andere Einheit besteht aus drugstore, seinem Eingang und dem Zeitungsständer. Die beiden Einheiten überschneiden sich im Zeitungsständer. Deutlich ist dieser Bereich der Überschneidung als Einheit erkennbar und erfüllt daher das oben genannte Axiom, das die Charakteristika eines Halbverbandes definiert.)

 

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Das Axiom des Baumes lautet:

 

»Eine Ansammlung von Mengen bildet einen Baum, wenn und nur wenn von jeden beliebigen zwei Mengen der Ansammlung entweder die eine vollständig in der anderen enthalten ist, oder beide gänzlich getrennt sind.«

Die in Diagramm c und d dargestellte Struktur ist ein Baum. Da dieses Axiom die Möglichkeit sich überschneidender Mengen ausschließt, gibt es keinen Weg, das Axiom des Halbverbandes zu verletzen, so daß jeder Baum ein trivial vereinfachter Halbverband ist.

Jedoch beschäftigen wir uns in diesem Artikel weniger mit der Tatsache, daß ein Baum ein Halbverband sein könnte, als mit dem Unterschied zwischen Bäumen und jenen allgemeineren Halbverbänden, die keine Bäume sind, weil sie sich überschneidende Einheiten enthalten. Wir beschäftigen uns mit Strukturen, in denen keine Überschneidungen, und solchen, in denen Überschneidungen auftreten.

Nicht nur die Überschneidung ist für die Unterscheidung der beiden wichtig. Wichtiger noch ist die Tatsache, daß der Halbverband potentiell eine viel komplexere und feinere Struktur als der Baum ist. Wir können an folgender Tatsache genau feststellen, wie viel komplexer ein Halbverband sein kann als ein Baum: ein auf 20 Elementen aufgebauter Baum kann höchstens 19 weitere Teilmengen dieser 20 Elemente enthalten, während ein Halbverband auf der Basis dieser 20 Elemente mehr als eine Million verschiedener Teilmengen enthalten kann. Diese erheblich größere Vielfalt ist ein Kennzeichen für die große strukturelle Komplexität, die ein Halbverband im Vergleich zu der strukturellen Einfachheit eines Baumes haben kann. Dies Fehlen von struktureller Komplexität, das charakteristisch für Bäume ist, lähmt unsere Vorstellung von der Stadt.

 


Künstliche Städte, die Bäume sind:

 

Zur Demonstration betrachten wir einige moderne Konzeptionen der Stadt; für jede von ihnen werde ich zeigen, daß sie im wesentlichen eine Baumvorstellung ist. Es ist vielleicht nützlich, sich bei der Betrachtung dieser Planungen eines kleinen Liedchens zu erinnern:

"Big fleas have little fleas

Upon their back to bite 'em;

Little fleas have lesser fleas,

And so ad finitum."

Dieser Vers drückt vollkommen und bündig das strukturelle Prinzip des Baumes aus.

 

02 columbia

Columbia

Columbia, Maryland / Community Research and Developement Inc. Nachbarschaften in Fünfergruppen bilden Dörfer«. Ein Verkehrsnetz schließt die Dörfer an ein neues Stadtzentrum an. Die Organisation ist ein Baum.

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Greenbelt

Greenbelt, Maryland/ Clarence Stein. Diese Gartenstadt wurde in Superblocks zerteilt. Jeder Superblock enthält Schulen, Parkanlagen und eine Anzahl Nebengruppen von Häusern, die um die Parkplätze herumgebaut sind. Die Organisation ist ein Baum.

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London

Greater London plan (1943) / Abercrombie und Forshaw. Die Zeichnung gibt die von Abercrombie für London erdachte Struktur wieder. Sie besteht aus einer großen Anzahl von Gemeinden, wobei jede von den übrigen benachbarten scharf getrennt ist. Abercrombie schreibt: »Der Vorschlag soll die Eigenart der existierenden Gemeinden betonen, ihren Grad der Absonderung steigern und, wo nötig, sie als separate und bestimmte Ganzheiten reorganisieren.« Und weiter: »Die Gemeinden selbst bestehen aus einer Reihe von Untereinheiten, im allgemeinen mit eigenen Schulen und Geschäften, die den Nachbarschaftseinheiten entsprechen,. Die Stadt ist als Baum gedacht mit zwei hauptsächlichen Ebenen. Die Gemeinden sind die größeren Einheiten der Struktur, die kleineren Untereinheiten sind Nachbarschaften. Es gibt keine sich überschneidenden Einheiten. Die Struktur ist ein Baum.

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Tokio

Tokio-Plan/ Kenzo Tange. Dies ist ein schönes Beispiel, Der Plan besteht aus einer Reihe von Ringen, die sich über die Bucht von Tokio erstrecken. Es gibt vier Hauptringe, von denen jeder drei mittlere Ringe enthält. Im zweiten Hauptring enthält ein mittlerer Ring den Bahnhof, ein anderer den Hafen. Im übrigen enthält jeder der mittleren Ringe drei kleinere Ringe, die außer dem dritten Hauptring Wohnnachbarschaften enthalten. In diesem enthält einer Behörden- und ein anderer Industrieverwaltungen.

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Mesa

Mesa City/ Paolo Soled. Die organischen Formen verführen uns bei flüchtigem Hinsehen zu glauben, daß dies eine reichere Struktur sei als unsere augenfälliger starren Beispiele. Aber wenn wir sie im Detail betrachten, finden wir genau das gleiche organisatorische Prinzip. Betrachten wir besonders das Universitätszentrum. Hier finden wir das Stadtzentrum in eine Universität und ein Wohnviertel unterteilt, dieses ist wiederum in eine Anzahl Dörfer (in Wirklichkeit Apartmenttürme) für 4000 Bewohner unterteilt, von denen jedes nochmals unterteilt und von Gruppen noch kleinerer Wohneinheiten umgeben ist.

07 chandigarh plan

Chandigarh

Chandigarh (1951) / Le Corbusier. Die ganze Stadt wird durch ein in der Mitte liegendes Geschäftszentrum versorgt, das mit dem Verwaltungszentrum am Rande verbunden ist. Zwei ergänzende verlängerte Geschäftsbereiche erstrecken sich längs der Hauptverkehrsstraßen in Nord-Süd-Richtung. Ergänzend dazu gibt es weitere Gemeindeverwaltungs- und Geschäftszentren, jeweils eins für jeden der 20 Sektoren der Stadt.

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Brasilia

Brasilia / Lucia Costa. Die ganze Anlage ist symmetrisch in Bezug auf die zentrale Achse, jede der beiden Hälften wird von einer einzigen Hauptverkehrsader versorgt. Diese Hauptverkehrsader wird wiederum von parallel zu ihr verlaufenden Nebenadern versorgt. Schließlich münden in diese Straßen ein, die die Superblocks umringen. Die Struktur ist ein Baum.

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Communitas

Communitas / Percival und Paul Goodman. Communitas ist ausschließlich als Baum organisiert. Es ist zunächst in vier Hauptgürtel unterteilt. Der innerste ist ein Geschäftszentrum, der folgende eine Universität, im dritten sind Wohnungen und Kliniken und der vierte ist offenes Land. Jeder von ihnen ist weiter unterteilt. Das Geschäftszentrum ist als großer zylindrischer Wolkenkratzer, der in fünf Ebenen unterteilt ist, dargestellt: Flughafen, Verwaltung, leichte Industrie, Einkaufen und Vergnügungen, und am Boden Eisenbahnen, Busse und Versorgungseinrichtungen. Die Universität ist in acht Sektoren unterteilt: Naturgeschichte, zoologische Gärten und Aquarien, Planetarien, wissenschaftliche Laboratorien, bildende Künste, Musik und Drama sind darin enthalten. Der dritte konzentrische Ring ist in Nachbarschaften von jeweils 4000 Bewohnern unterteilt. Die Nachbarschaften bestehen nicht aus einzelnen Häusern, sondern aus Apartmentblocks, von denen jeder weitere Wohneinheiten enthält. Schließlich ist das offene Land in drei Segmente aufgeteilt: Waldgebiete, Landwirtschaft und Erholungsgebiete. Die umfassende Organisation ist ein Baum.

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10 e 11 campo militar

 

Das beste Beispiel habe ich bis zum Schluß ausgespart, weil es das Problem perfekt versinnbildlicht. Es erscheint in Hilbersheimers Buch "Die Natur der Städte". Er beschreibt die Tatsache, daß bestimmte römische Städte ihren Ursprung in Militärlagern hatten, danach zeigt er ein Bild eines modernen Militärlagers als eine Art Archetypus der modernen Stadt. Es ist nicht möglich, eine deutlichere Baumstruktur zu finden. Das Symbol ist bezeichnend, denn natürlich wurde die Organisation des Heeres gerade deshalb geschaffen, um Disziplin und Härte zu erreichen. Das untere Foto zeigt Hilbersheimers Entwurf für den Geschäftsbereich einer Stadt, der auf dem Archetypus des Heerlagers basiert.

 

All diese Strukturen sind Bäume.

 

Die Einheiten, die eine künstliche Stadt bilden, sind immer als Baum organisiert. Damit wir einen klaren Begriff davon bekommen, was das bedeutet, und die Beziehungen besser sehen, wollen wir einen Baum nochmals definieren:

Immer, wenn wir eine Baumstruktur vor uns haben, bedeutet das, daß innerhalb dieser Struktur kein Teil irgendeiner Einheit je mit anderen Einheiten verbunden ist, außer durch das Medium dieser Einheit als Ganzes. Die Ungeheuerlichkeit dieser Einschränkung ist schwer zu fassen. Es ist in etwa so, als hätten die Mitglieder einer Familie nicht die Freiheit, außerhalb der Familie Freundschaften zu schließen, es sei denn, die Familie als Ganzes schlösse eine Freundschaft.

Die strukturelle Einfachheit von Bäumen ist wie das zwingende Verlangen nach Sauberkeit und Ordnung, das darauf besteht, die Leuchter auf der Kaminplatte vollkommen gerade und symmetrisch aufzustellen. Verglichen damit, entspricht der Halbverband der komplexen Struktur eines Gewebes diese Struktur haben Lebewesen, bedeutende Bilder und Symphonien.

Damit der normale Verstand nicht vor etwas zurückschreckt, das nicht deutlich als Baum bezeichnet und kategorisiert ist, muß betont werden, daß der Begriff der Überschneidung, des Doppelsinns, der vielfältigen Betrachtungsweise und damit der Halbverband nicht weniger, sondern eher mit mehr Ordnung verbunden ist als der starre Baum. Er repräsentiert eine dichtere, subtilere und komplexere Sicht der Struktur.

Wir wollen nun sehen, in welcher Weise sich die natürliche Stadt als Halbverband darstellt, wenn ihr nicht durch künstliche Vorstellungen Zwang angetan wird.

 


Eine lebendige Stadt ist und muss ein Halbverband sein.

 

Jede Einheit in jedem Baum, den ich beschrieben habe, ist der festgelegte, unveränderliche Bestandteil irgendeines Systems in der lebendigen Stadt. Beispielsweise ist ein Haus der physische Bestandteil der Wechselbeziehungen zwischen den Familienmitgliedern, ihren Emotionen und ihrer Habe. Eine Straße ist der physische Bestandteil von Bewegung und kommerziellem Austausch. Aber ein Baum enthält nur sehr wenige solcher Einheiten, so daß in einer baumartigen Stadt nur wenige ihrer Systeme ein physisches Gegenstück haben können. Tausende wichtiger Systeme haben kein physisches Gegenstück.

In den ärgsten Bäumen mangelt es den auftretenden Einheiten an Übereinstimmung mit irgendeiner lebendigen Wirklichkeit; und solchen Wirklichkeitssystemen, deren Existenz die Stadt eigentlich lebendig macht, fehlen entsprechende physische Gegebenheiten.

Beispielsweise entsprechen weder der Columbiaplan noch der Stein-Plan gesellschaftlichen Realitäten. Das physische Layout der Pläne und die Art und Weise, in der sie funktionieren, deuten eine Hierarchie von immer stärker abgeschlossenen sozialen Gruppen an, deren jede durch gesellschaftliche Bindungen unterschiedlicher Stärke gebildet wird, Dies ist jedoch völlig unreal.

Traditionelle Gesellschaft

Offene Gesellschaft

Wenn wir in einer traditionellen Gesellschaft jemanden bitten, seine besten Freunde zu nennen, und dann jeden von diesen bitten, wiederum seine besten Freunde zu nennen, so werden sie sich alle gegenseitig nennen und dadurch eine geschlossene Gruppe bilden. Ein Dorf besteht aus einer Anzahl getrennter, geschlossener Gruppen dieser Art. Aber die heutige soziale Struktur ist völlig anders. Wenn wir jemanden bitten, seine Freunde zu nennen, und diese dann wiederum bitten, ihre Freunde zu nennen, so werden alle verschiedene Menschen nennen, höchstwahrscheinlich dem ersten unbekannte. Diese Menschen würden wieder andere nennen, usw. Eigentlich gibt es keine geschlossenen Gruppen in der modernen Gesellschaft. Die Wirklichkeit heutiger Gesellschaftsstrukturen ist dicht bedeckt von Überschneidungen - die Systeme von Freunden und Bekannten bilden einen Halbverband, aber keinen Baum.

 

In der natürlichen Stadt ist sogar das Haus an einer langen Straße (nicht in irgendeinem cluster) eine genauere Bestätigung der Tatsache, daß Freunde nicht nebeneinander sondern weit voneinander entfernt wohnen, und nur durch Autobus oder Auto zu erreichen sind. In dieser Hinsicht hat Manhattan mehr Überschneidungen als Greenbelt. Und obgleich man argumentieren kann, daß auch in Greenbelt Freunde in Minuten zu erreichen sind, so muß man dann fragen: warum sind bestimmte Gruppen, die doch durch physische Einheiten der physischen Struktur betont werden, eigentlich gesellschaftlich irrelevant?

Ein anderer Aspekt der sozialen Struktur der Stadt, den ein Baum eigentlich nie spiegeln kann, wird durch Ruth Glass' Sanierungsplan für Middlesborough, einer Stadt mit 200000 Einwohnern, aufgezeigt. Sie empfiehlt die Stadt in 29 getrennte Nachbarschaften aufzuspalten. Nachdem sie ihre 29 Nachbarschaften durch Bestimmung der Orte, an denen die Diskontinuität der Gebäudetypen, des Einkommens und des Berufstyps am schärfsten zutage tritt, unterschieden hat, stellt sie sich die Frage: »Wenn wir einige der sozialen Systeme, die gegenwärtig für die Menschen in einer solchen Nachbarschaft existieren, prüfen, definieren dann die physischen Einheiten, die wiederum durch diese verschiedenen sozialen Systeme definiert sind, alle die gleiche räumliche Nachbarschaft?« Ihre eigene Antwort auf diese Frage ist »nein«. 

Jedes der von ihr geprüften sozialen Systeme ist verflochten. Es besteht aus einer Art Kern einschließlich der Menschen, die das Zentrum benutzen. Besonders greift sie Grundschulen, höhere Schulen, Jugendklubs, Postgebäude, Gemüse- und Lebensmittelläden heraus. Jedes dieser Zentren bezieht seine Benutzer aus einem bestimmten räumlichen Bereich oder einer räumlichen Einheit. Diese räumliche Einheit ist der physische Bestandteil des sozialen Systems als Ganzes, und ist daher eine Einheit in der Terminologie dieses Artikels. Die Einheiten, die verschiedenen Arten von Zentren entsprechen, werden für die Waterloo Road gezeigt.

Middlesborough

Die schwarze Umrandung ist die Grenze der sogenannten Nachbarschaft selbst.
Der graue Punkt bezeichnet den Jugendklub, und die kleinen grauen geschlossenen Kreise bezeichnen die Bereiche, in denen seine Mitglieder wohnen.
Der blaue umrandete Punkt ist der Erwachsenenklub, die Wohnungen seiner Mitglieder bilden die durch blaue gestrichelte Grenzen markierte Einheit.
Das grüne Quadrat ist die Post, die grüne punktierte Linie markiert die Einheit, die die Benutzer enthält.
Die höhere Schule wird durch den roten Punkt mit Dreieck markiert. Zusammen mit den Schülern bildet sie das durch die rote strichpunktierte Linie markierte System.

Wie man sofort sieht, stimmen die verschiedenen Einheiten nicht überein. Doch sind sie auch nicht abgetrennt, sie überschneiden sich.

In Begriffen von 29 großen, für sich bestehenden und Nachbarschaften genannten Klumpen, erhalten wir kein entsprechendes Bild von Middlesborough - weder davon was es ist, noch was es sein sollte. Wenn wir die Stadt in Begriffen von Nachbarschaften beschreiben, setzen wir implizite voraus, daß die kleinen Elemente innerhalb jeder einzelnen dieser Nachbarschaften so eng zusammengehören, daß sie mit Elementen in anderen Nachbarschaften nur durch das Medium der Nachbarschaft, zu der sie selbst gehören, in Wechselbeziehung stehen. Ruth Glass zeigt selbst, daß dies nicht der Fall ist.

Waterloo Nachbarschaftpng

Waterloo Sanierungsplan

12 und 13 sind Darstellungen der Waterloo-Nachbarschaft. Zur Beweisführung habe ich sie in eine Anzahl kleiner Bereiche aufgespalten. 12 zeigt, wie diese Teile tatsächlich miteinander verbunden sind, und 13 zeigt, welche Verbindung der Sanierungsplan vorgibt.

Nichts in der Beschaffenheit der verschiedenen Zentren deutet darauf hin, daß ihre Einzugsbereiche die gleichen sein sollten. Ihre Beschaffenheit ist verschiedenartig. Daher sind die Einheiten, die sie definieren, voneinander verschieden. Die natürliche Stadt Middlesborough entsprach der Struktur des Halbverbandes, die sie zeigen. Nur in der künstlichen Baumkonzeption der Stadt sind ihre natürlichen, eigentümlichen und notwendigen Überschneidungen zerstört.

Das gleiche wiederholt sich im kleineren Maßstab. Betrachten wir die Trennung von Fußgänger und Fahrzeugverkehr, eine Baumkonzeption, die von Le Corbusier, Louis Kahn und vielen anderen vorgeschlagen wird. Von einer sehr groben gedanklichen Ebene aus stellt dies eine gute Idee dar. Es ist gefährlich, Autos mit 100 km/h und herumlaufende Kinder zusammenzubringen. Aber die Idee ist nicht immer gut. Es gibt Zeiten, in denen eine ökologische Situation das genaue Gegenteil fordert. Stellen Sie sich vor, Sie kommen aus einem Kaufhaus der Fifth Avenue; Sie haben den ganzen Nachmittag lang eingekauft; Sie haben Durst; Ihre Arme sind bepackt; Ihre Frau hinkt hinterher. Gott sei Dank gibt es Taxis.

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Doch das städtische Taxi kann nur funktionieren, weil Fußgänger und Fahrzeuge nicht streng voneinander getrennt sind. Das herumfahrende Taxi benötigt einen raschen Verkehrsfluß, um ein großes Gebiet befahren zu können und so mit Sicherheit Fahrgäste zu finden. Der Fußgänger muss in der Lage sein, das Taxi an jedem beliebigen Punkt der Fußgängerzone anzuhalten, und an jedem beliebigen Punkt der Fußgängerzone, den er zu erreichen wünscht, auszusteigen. Das System, in dem sich die Taxis befinden, muß sowohl das Schnellverkehrssystem als auch das System der Fußgängerzirkulation überschneiden. In Manhattan teilen Fußgänger und Fahrzeuge bestimmte Bereiche der Stadt, so daß die notwendige Überschneidung garantiert ist.

Ein anderes bevorzugtes Konzept der CIAM-Theoretiker und anderer ist die völlige Abtrennung der recreation. Dies hat sich in den bestehenden Städten in Form von Spielplätzen kristallisiert. Der asphaltierte und eingezäunte Spielplatz ist nichts als eine bildhafte Anerkennung der Tatsache, daß »Spiel« als isolierte Vorstellung in unserem Denken existiert. Das hat mit dem Wesen des Spiels nichts zu tun. Wenige Kinder mit Selbstachtung werden je auf einem Spielplatz spielen.

Spielen selbst, das Spiel, das Kinder praktizieren, findet irgendwo statt, jeden Tag an einem anderen Ort. An einem Tag kann es im Hause stattfinden, an einem anderen Tag in einer vertrauten Tankstelle, wieder an einem anderen Tag am Flußufer, dann in einem verlassenen Gebäude auf einem Baugelände, auf dem übers Wochenende niemand arbeitet. Jede dieser Spielaktivitäten und die Gegenstände, die sie erfordert, bilden ein System. Es stimmt nicht, daß diese Systeme in der Isolation existieren, abgeschnitten von den anderen Systemen der Stadt. Die verschiedenen Systeme überschneiden sich und darüber hinaus noch viele andere Systeme. Die Einheiten, die als physische Standorte anerkannten Spielplätze, müssen es ebenfalls.

In einer natürlichen Stadt ist das der Fall. Spielen findet an tausend Orten statt. Es füllt die Zwischenräume des Erwachsenenlebens. Während des Spiels nehmen die Kinder ihre Umgebung auf. Wie kann ein Kind seine Umgebung in eingezäunter Abgeschlossenheit aufnehmen? Das kann es nicht. In einem Halbverband kann es das, in einem Baum nicht.

Ähnliche Fehler erscheinen in Bäumen, wie denen von Goodmans Communitas oder Soleris Mesa City, in denen die Universität von der übrigen Stadt getrennt ist. Wiederum ist dies tatsächlich realisiert worden in der üblichen amerikanischen Form des isolierten Campus.

Aus welchem Grunde zieht man eine Linie, so daß alles innerhalb der Grenze Universität und alles außerhalb davon Nicht-Universität ist? Von der Vorstellung her ist das klar.

Doch entspricht es den Realitäten des Universitätslebens? Sicher ist das nicht die Struktur, die sich in nicht-künstlichen Universitätsstädten zeigt.

Nehmen wir Cambridge zum Beispiel. An bestimmten Punkten ist die Trinity-Street physisch von Trinity-College fast nicht zu unterscheiden, ein Fußgängerübergang der Straße ist buchstäblich Teil des College. Obgleich im Erdgeschoß Läden und Banken sind, gibt es in den oberen Geschossen Studentenzimmer. In vielen Fällen verschmilzt das gegenwärtige Geflecht der Straßengebäude mit dem der alten Collegegebäude, so daß das eine nicht ohne das andere verändert werden kann.

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Es wird immer viele Systeme von Aktivitäten geben, in denen Universitäts- und Stadtleben sich überschneiden: volle Kneipen, Kaffeetrinken, Kinos, Hin- und Herlaufen. In einigen Fällen mögen ganze Abteilungen aktiv in das Leben der Stadtbewohner einbezogen sein (zum Beispiel das Krankenhaus mit der medizinischen Fakultät). In Cambridge, einer natürlichen Stadt, wo Universität und Stadt allmählich zusammengewachsen sind, überschneiden sich die physischen Einheiten, da sie die physischen Bestandteile der sich überschneidenden Systeme von Stadt und Universität sind.

 

Als nächstes wollen wir die Hierarchie von Stadtkernen betrachten, wie sie in Brasilia, Chandigarh, dem MARS-Plan für London und in jüngster Zeit im Lincoln-Center in Manhattan verwirklicht worden sind. In letzterem sind verschiedene darstellende Künste zusammengefasst worden, um ein einziges, der Bevölkerung von Groß-New York dienendes Zentrum zu bilden.

Muß ein Konzerthaus unbedingt in der Nähe eines Opernhauses liegen? Können sich die beiden gegenseitig ergänzen? Wird irgendein Unersättlicher beide jemals an einem Abend besuchen, oder auch nur nach dem Besuch des einen Karten für das andere kaufen? In Wien, London und Paris hat jede der darstellenden Künste ihren Platz gefunden. Jede hat ihren eigenen vertrauten Bereich der Stadt hervorgebracht. In Manhattan sind Carnegie-Hall und Metropolitan Oper nicht nebeneinander gebaut worden. Beide fanden ihren eigenen Platz und entfalten jetzt eine eigene Atmosphäre. Der Einfluß überschneidet die Bereiche der Stadt, die durch ihn geprägt werden. Der einzige Grund, warum all diese Funktionen im Lincoln-Center zusammengefaßt worden sind, ist der, daß man die darstellenden Künste in der Vorstellung miteinander verknüpft.

Aber dieser Baum und die Vorstellung einer einzigen Hierarchie städtischer Zentren, die ihn bedingt, beleuchten nicht die Beziehungen zwischen Kunst und Stadtleben. Sie entspringen lediglich der Sucht beschränkt denkender Menschen, Dinge mit gleichem Namen in den gleichen Topf zu werfen.

Die totale Trennung von Arbeit und Wohnung, ausgehend von Tony Garniers Industriestadt (später in die Charta von Athen, 1933, aufgenommen), kann man heute in jeder künstlichen Stadt finden, und sie wird überall dort akzeptiert, wo man auf Zonung besteht. Ist das ein gesundes Prinzip? Es ist leicht festzustellen, wie schlechte Verhältnisse zu Beginn des Jahrhunderts die Planer antrieben zu versuchen, die schmutzigen Fabriken aus den Wohnbezirken herauszuhalten. Aber die Trennung lässt eine Vielfalt von Systemen außer acht, die für ihr Fortbestehen kleine Teile von beiden benötigen.

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Jane Jacobs beschreibt das Gedeihen von Hinterhofindustrien in Brooklyn. Jemand, der ein kleines Unternehmen beginnen möchte, braucht Platz, den er sehr wahrscheinlich im eigenen Hinterhof finden wird. Er muss außer-dem Verbindungen mit verzweigten Unternehmen und ihren Händlern herstellen. Das bedeutet, daß das System der Hinterhof-industrie sowohl zum Wohn- als auch zum Industriegebiet gehören muss - diese Zonen müssen sich überschneiden. In Brooklyn geht das. In einer Baum-Stadt nicht.

 

Schließlich wollen wir die Aufspaltung der Stadt in isolierte Gemeinden untersuchen. Wie wir beim Abercrombie-Plan für London gesehen haben, ist dies eine Baumstruktur. Doch die einzelnen Gemeinden entsprechen nicht der Realität als funktionierende Einheiten. In London wie in irgendeiner Großstadt bringt es niemand fertig, Arbeit in der Nähe seiner Wohnung zu finden. Bewohner einer Gemeinde arbeiten in Fabriken, die in anderen Gemeinden liegen.

Daher gibt es hunderttausende Arbeiter-Arbeitsplatz-Systeme, von denen jedes aus einem Menschen und der Fabrik, in der er arbeitet, besteht, und die über die durch Abercrombies Baum definierten Grenzen hinausgehen. Die Existenz dieser Einheiten und ihre Überschneidungseigenschaft zeigen an, daß die Lebenssysteme von London einen Halbverband bilden. Nur in den Gedanken des Planers wurden sie zum Baum. Die Tatsache, daß wir bisher nicht fähig waren, dies in physische Gegebenheiten umzusetzen, hat lebenswichtige Konsequenzen. So wie die Dinge stehen, nimmt die Gemeinde, - immer, wenn Arbeiter und Arbeitsplatz zu getrennt verwalteten Stadtbezirken gehören - in der der Arbeitsplatz liegt, riesige Steuersummen ein, hat aber nur relativ geringe Ausgaben. Während die Wohngemeinde des Arbeiters, falls sie vorwiegend Wohngebiet ist, nur wenig Steuern einnimmt, jedoch große zusätzliche Haushaltslasten in Form von Schulen, Krankenhäusern usw. zu tragen hat. Das bedeutet, daß die Arbeiter-Arbeitsplatz-Systeme zur Behebung dieser Ungleichheit in physisch erkennbaren Einheiten der Stadt verankert werden müssen, die dann besteuert werden können.

Man könnte argumentieren, daß die selbständigen Gemeinden einer Großstadt, obwohl sie keine funktionale Bedeutung für das Leben ihrer Bewohner haben, dennoch die bequemsten Verwaltungseinheiten sind, und daß sie deshalb in ihrer gegenwärtigen Baumorganisation belassen werden sollten.

Doch selbst das ist bei der politischen Komplexität der modernen Stadt suspect.

Edward Banfield macht in seinem neuen Buch mit dem Titel »Political Influence« eine detailierte Aufzählung der Einfluß- und Kontrollmuster, die gegenwärtig zu Entscheidungen in Chicago geführt haben. Er zeigt, daß die formellen Ketten von Einfluß und Macht, obwohl die administrativen und exekutiven Regelkreise formell eine Baumstruktur haben, völlig überschattet werden von »ad-hoc« — Regelkreisen, die natürlich entstehen, sobald ein neues Stadtproblem erscheint. Diese wiederum hängen davon ab, wer an der Sache interessiert ist, wer was zur Verfügung hat, wer welche Gefälligkeiten mit wem auszutauschen hat.

Diese zweite informelle Struktur, die innerhalb der ersten wirkt, regelt wirklich die öffentlichen Aktionen. Sie variiert von Woche zu Woche, ja von Stunde zu Stunde, sowie ein Problem durch ein anderes abgelöst wird. Niemandes Einflußsphäre steht völlig unter der Kontrolle irgendeines Vorgesetzten, jede Person steht unter verschiedenen Einflüssen, da die Probleme wechseln. Obwohl das Organisationsschema der Stadtverwaltung ein Baum ist, entspricht die wirkliche Regelung und die Ausübung der Macht einem Halbverband.

 


Der Ursprung baumartigen Denkens

 

Obwohl der Baum ein so reiner und schöner gedanklicher Kunstgriff ist, und einen so klaren und einfachen Weg anbietet, ein komplexes Ganzes in Einheiten zu zerlegen, stellt er nicht korrekt die wirkliche Struktur der lebendigen Stadt dar, auch nicht die Struktur der Städte, die wir brauchen.

Wie kommt es nun, daß so viele Planer Städte als Bäume erdacht haben, wenn die natürliche Struktur in jedem Fall ein Halbverband ist? Haben sie es vorsätzlich in dem Glauben getan, daß eine Baumstruktur den Bewohnern einer Stadt besser dient? Oder haben sie es getan, weil sie nicht anders können, weil sie an eine geistige Gewohnheit gebunden sind, vielleicht sogar gebunden sind durch die Art, wie der Verstand arbeitet; weil sie die Komplexität nicht auf bequemere Weise erfassen können; weil der Verstand eine ausgeprägte Voreingenommenheit dafür hat, Bäume zu sehen, wohin er auch sieht, und der Baumvorstellung nicht entkommen kann?

Ich werde versuchen, Sie zu überzeugen, daß aus diesem zweiten Grunde Bäume vorgeschlagen und als Städte gebaut werden. Dies ist so, weil Planer - beschränkt, wie sie es nach der Kapazität des Verstandes sein müssen, um intuitiv erfaßbare Strukturen zu entwerfen - die Komplexität des Halbverbandes in einem Denkvorgang nicht erreichen können.

 

Ich will ein Beispiel beschreiben:

 

ABB 17a

  

ABB 17b

ABB 17c

ABB 17d

 

Angenommen ich bitte Sie, sich der folgenden vier Gegenstände zu erinnern: eine Orange, eine Wassermelone, ein Football* und ein Tennisball. Wie wollen Sie sie im Gedächtnis behalten, sie sich im Geiste vor Augen stellen? Wie Sie es auch sehen, Sie tun es, indem Sie sie gruppieren. Einige von Ihnen werden die beiden Früchte zusammenfassen - Orangen und Wassermelonen, und die beiden Bälle - Football und Tennisball. Diejenigen von Ihnen, die dazu neigen, in Begriffen physischer Gestalten zu denken, mögen sie anders gruppieren, indem sie die beiden kleinen Kugeln - Orange und Tennisball, und die beiden größeren eiförmigen Objekte - Wassermelone und Football zusammenfassen. Einige werden beide Gruppierungen erwägen.

Jede Gruppierung für sich betrachtet ist eine Baumstruktur. Beide zusammen bilden einen Halbverband. Wir wollen nun versuchen, uns diese Gruppierungen im Geiste vor Augen zu stellen. Ich glaube, Sie werden bemerken, daß Sie sich nicht alle vier Anordnungen gleichzeitig vorstellen können, weil sie sich überschneiden. Sie können sich nacheinander ein Paar und dann das andere Paar der Anordnungen vorstellen, und Sie können vom einen zum anderen Paar extrem schnell wechseln, so schnell, daß Sie sich glauben machen, Sie könnten sich beide gleichzeitig vorstellen. Aber tatsächlich können Sie nicht in einem einzigen Gedankengang alle vier Anordnungen gleichzeitig erfassen. Sie können die Struktur des Halbverbandes nicht in eine vorstellbare Form für einen einzigen Gedankengang umwandeln, sondern sich in einem Gedankengang nur einen Baum vorstellen.

Diesem Problem stehen wir als Planer gegenüber. Während wir vielleicht nicht notwendigerweise mit dem Problem totaler Vorstellung in einem Gedankengang beschäftigt sind, ist das Prinzip doch immer dasselbe. Der Baum ist geistig erfassbar und leicht zu handhaben. Der Halbverband ist für das geistige Auge schwer erfassbar und daher schwer zu handhaben.

Es ist heute bekannt, daß Gruppieren und Kategorisieren zu den primitivsten psychologischen Vorgängen gehören. Die moderne Psychologie betrachtet Denken als einen Prozess, neue Situationen bestehenden Fährten und Ebenen des Verstandes anzupassen. Ebenso wie man einen physischen Gegenstand nicht gleichzeitig in mehr als einen physischen Behälter legen kann, so hindern einen analog die Prozesse des Denkens, eine geistige Konstruktion in mehr als eine geistige Kategorie gleichzeitig einzuordnen. Das Studium des Ursprungs dieser Prozesse macht deutlich, daß sie wesentlich von dem Bedürfnis des Organismus herrühren, die Komplexität seiner Umgebung zu reduzieren, indem er Schranken zwischen den verschiedenen Ereignissen, denen er begegnet, errichtet.

Aus diesem Grunde werden, weil es wichtigste Funktion des Geistes ist, Doppelsinn und Überlagerung in einer verwirrenden Situation zu reduzieren, und weil er zu diesem Zweck mit einer grundsätzlichen Intoleranz gegenüber Zweideutigkeit ausgestattet ist, Strukturen wie die Stadt, in denen sich überschneidende Anordnungen erforderlich sind, nichtsdestoweniger dauernd als Bäume gedacht.

Mit der gleichen Starrheit ist sogar die Aufnahme von physischen Mustern verbunden. In Experimenten von Huggins und mir in Harvard zeigten wir Versuchspersonen Muster, deren innere Einheiten sich überschnitten und entdeckten, daß sie fast immer einen Weg erfanden, die Muster als Baum zu sehen, sogar, wenn das Halbverband-Aussehen ihnen geholfen hätte, die Aufgabe durchzuführen.

 

Der aufsehenerregende Beweis, daß die Menschen dazu neigen, sich auch physische Muster als Bäume vorzustellen, ergab sich aus einigen Experimenten von Sir Frederick Bartlett. Er zeigte Versuchspersonen eine Viertel Sekunde lang ein Muster und bat sie dann, aufzuzeichnen-, was sie gesehen hatten. Viele Personen, die unfähig waren, die ganze Komplexität des vorgelegten Musters zu erfassen, vereinfachten die Muster, indem sie die Überlagerung ausließen. Sie zeigt zwei ganz typische Versionen der Nachbildung des darüber dargestellten Musters. In den nachgebildeten Versionen sind die Kreise aus dem Verband herausgelöst, die Überschneidung von Kreisen und Dreiecken ist verschwunden.

ABB 18b

Diese Experimente verdeutlichen sehr, daß die Menschen die unterschwellige Tendenz haben, wenn sie einer komplexen Organisation gegenüberstehen, diese geistig zu reorganisieren in Glieder sich nicht überschneidender Einheiten. Die Komplexität des Halbverbandes wird durch die einfachere und leichter erfaßssare Baumform ersetzt.

 


 

Sie fragen sich jetzt zweifellos, wie eine Stadt aussieht, die ein Halbverband und kein Baum ist. Ich muß gestehen, daß ich Ihnen noch keine Pläne oder Skizzen zeigen kann. Es genügt nicht einfach, die Überschneidung zu demonstrieren, die Überschneidung muss auch die richtige sein. Das ist doppelt wichtig, weil es so verlockend ist, Pläne zu machen, in denen Überschneidung als Selbstzweck erscheint. Genau das ist es, was die »lebenserfüllten« Stadtplanungen hoher Dichte in den letzten Jahren tun. Aber Überschneidung allein ergibt keine Struktur, sie kann ebenso Chaos bedeuten. Auch eine Mülltonne ist voller Überlagerungen. Um Strukturen zu finden, muß man die richtigen Überlagerungen auffinden, und die sind für uns wohl mit Sicherheit von den alten Überlagerungen, die wir in historischen Städten beobachten, verschieden. Wie die Beziehungen zwischen Funktionen sich ändern, so müssen sich die Systeme, die sich überlagern müssen, um diese Beziehungen aufzunehmen, ebenfalls ändern. Die Wiederherstellung alter Überlagerungsarten wird ungeeignet und chaotisch statt strukturiert sein.

Die Arbeit, zu erkennen, zu suchen, welche Überschneidungen die moderne Stadt verlangt, und der Versuch, die erforderlichen Überschneidungen in physische und plastische Bedingungen zu übersetzen, wird fortgesetzt. Bis die Arbeit beendet ist, hat es keinen Sinn, sorglose Skizzen falsch ausgedachter Strukturen zu zeigen.

 


 

 

Simon Nicholson

Simon Nicholson

Simon Nicholson 1

Doch kann ich vielleicht die physischen Konsequenzen der Überschneidung mittels eines Bildes verständlicher machen. Das dargestellte Bild ist eine neue Arbeit von Simon Nicholson. Die Faszination dieses Gemäldes liegt in der Tatsache, daß die wenigen einfachen Dreieckelemente, aus denen es sich zusammensetzt, auf viele verschiedene Weisen verknüpft sind, und dadurch die größeren Einheiten des Gemäldes bilden. Wenn wir eine vollständige Aufzählung der in dem Bild wahrgenommenen Einheiten machen, stellen wir fest, daß jedes Dreieck in vier oder fünf völlig verschiedenen Arten von Einheiten enthalten ist, von denen keine in einer der anderen enthalten ist, die sich jedoch alle in dem Dreieck überschneiden. Wenn wir die Dreiecke nummerieren und die Mengen von Dreiecken, die als starke visuelle Einheiten erscheinen, herausgreifen, erhalten wir den gezeigten Halbverband.

3 und 5 bilden eine Einheit, da sie sich zum Rechteck ergänzen; 2 und 4, weil sie ein Parallelogramm bilden; 5 und 6, weil sie beide dunkel sind und gleich gerichtet sind; 6 und 7, weil das eine der seitwärts verschobene Schatten des anderen ist; 4 und 7, weil sie symmetrisch angeordnet sind; 4 und 6, weil sie ein weiteres Rechteck bilden;3 und 5 bilden eine Einheit, da sie sich zum Rechteck ergänzen; 2 und 4, weil sie ein Parallelogramm bilden; 5 und 6, weil sie beide dunkel sind und gleich gerichtet sind; 6 und 7, weil das eine der seitwärts verschobene Schatten des anderen ist; 4 und 7, weil sie symmetrisch angeordnet sind; 4 und 6, weil sie ein weiteres Rechteck bilden;4 und 5, weil sie eine Art von Z bilden; 2 und 3, weil sie ein verzerrtes Z bilden; 1 und 7, weil sie in entgegengesetzten Ecken liegen; 1 und 2, weil sie ein Rechteck bilden; 3 und 4, weil sie die gleiche Richtung wie 5 und 6 aufnehmen und eine Art von exzentrischer Spiegelung darstellen; 3 und 6, weil sie 4 und 5 einschließen; 1 und 5, weil sie 2, 3 und 4 einschließen. Ich habe nur die Einheiten von je zwei Dreiecken aufgezählt. Die größeren Einheiten sind komplexer. Das Weiß ist noch komplexer und ist nicht einmal im Diagramm mit einbezogen, weil es schwieriger ist, sich seiner elementaren Bestandteile zu versichern.

Das Bild ist nicht so bedeutsam, weil Überschneidungen in ihm enthalten sind (viele Bilder enthalten Überschneidungen), sondern weil dieses Gemälde nichts außer Überschneidungen enthält. Nur die Tatsache der Überschneidung und die daraus resultierende Vielfalt von Aspekten, die von den Formen dargestellt wird, machen das Gemälde so faszinierend. Es scheint fast, als habe der Maler so wie ich den ausdrücklichen Versuch unternommen, Überschneidung als einen wesentlichen Strukturerzeuger herauszustellen.

 

Alle die von mir beschriebenen künstlichen Städte haben mehr die Struktur eines Baumes als die des Halbverbandes, den das Nicholsen-Bild hat. Doch sind es das Gemälde und andere ähnliche Bilder, die unser Denken leiten sollten. Und um präzise zu sein: der Halbverband, der Teil eines großen Bereiches der Mathematik ist, ist ein wirksames Mittel, um die Struktur dieser Bilder zu erforschen. Wir müssen nach dem Halbverband suchen, nicht nach dem Baum.

Wenn wir in Begriffen von Bäumen denken, dann handeln wir die Humanität und die Reichhaltigkeit der lebendigen Stadt gegen eine vorgestellte begriffliche Einfachheit ein, die nur Designern, Planern, Administratoren und Bauträgern Nutzen bringt. Immer, wenn ein Stück aus einer Stadt herausgebrochen und ein Baum daraus gemacht wird, um den vorher bestehenden Halbverband zu ersetzen, bewegt sich die Stadt einen weiteren Schritt auf die Dissoziation zu.

In jedem organisierten Objekt sind extreme Absonderung und die Dissoziation interner Elemente die ersten Zeichen kommender Zerstörung. In der Gesellschaft bedeutet Dissoziation Anarchie. Beim Menschen ist Dissozation das Zeichen von Schizophrenie und drohendem Selbstmord. Ein unheilvolles Beispiel von städtischer Dissoziation ist die Trennung der alten Menschen vom übrigen urbanen Leben, verursacht durch das Entstehen von öden Städten für die Alten, wie Sun City in Arizona. Diese Trennung ist nur unter dem Einfluß von baumartigem Denken möglich.

So wird nicht nur den Jüngeren die Gesellschaft der älter gewordenen fortgenommen, sondern schlimmer noch, dies verursacht die gleiche Spaltung innerhalb jedes individuellen Lebens. Wenn man in Sun City und damit in hohem Alter angelangt ist, werden die Bindungen an die eigene Vergangenheit nicht mehr anerkannt, verloren gehen und also abreißen. Seine Jugend wird einem im Alter nicht mehr lebendig sein, beide werden dissoziiert, das eigene Leben wird in zwei Teile zerschnitten werden.

Für den menschlichen Geist ist der Baum die einfachste Motivation für komplexes Denken. Aber die Stadt ist kein, kann kein und darf kein Baum sein. Die Stadt ist ein Behälter für Leben. Wenn der Behälter die in ihm enthaltenen Überschneidungen der Lebensadern auflöst, weil er ein Baum ist, so wird das wie eine Schale voller aufrechtstehender Rasiermesser wirken, bereit, alles zu zerschneiden, was ihr anvertraut wird. In einem solchen Behälter wird das Leben in Stücke zerschnitten werden. Wenn wir Städte als Bäume bauen, werden sie unser Leben darin in Stücke zerschneiden.

Anmerkung des Übersetzers: »Baum« und »Halbverband« sind Begriffe der kombinatorischen Topologie bzw. der Theorie der Verbände (Math.).